Die agrarpolitische Ausgestaltung in Deutschland durchlief im 20. Jahrhundert verschiedene Phasen, wobei der Einfluss der Politik stetig zunahm - von der Kaiserzeit, über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die Bundesrepublik bis hin zur Mitgliedschaft in der EU. Innerhalb der EU ist die Agrarpolitik dabei seit Jahrzehnten der am stärksten vergemeinschaftete Politikbereich. Die wesentlichen Entscheidungen über deren Ausgestaltung in Deutschland fallen daher heute auf EU-Ebene.
Vom Protektionismus der Deutschen Kaiserzeit und der Weimarer Republik
Fast das gesamte 19. Jahrhundert hindurch war der Absatz landwirtschaftlicher Produkte durch den rasanten Bevölkerungsanstieg und die deutliche Zunahme der Kaufkraft gesichert, ohne dass weitere agrarpolitische Regelungen von Staatsseite notwendig waren. Erst mit dem Deutschen Kaiserreich ab 1871 – einer Zeit, in der sich die Nation von einem Agrar- zu einem Industrieland entwickelte – erfolgten mit einer Erhöhung der Agrarzölle, die zu Lasten der Konsumenten ging, protektionistische Maßnahmen, da die landwirtschaftliche Konkurrenz aus dem Ausland die Preise für Getreide sinken ließ und den Absatz heimischer Feldfrüchte reduzierte.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden diese Zölle dann ausgesetzt. Neben dieser Abschottungspolitik versuchte die Politik des Kaiserreichs mit Subventionen, die Forschung in den Bereichen Ackerbau und Viehzucht voranzubringen. Auch die Gründung von Landwirtschaftsschulen wurde intensiviert, um von politischer Seite der gesteigerten Nachfrage an Agrarprodukten aufgrund von Bevölkerungswachstum und Landflucht zu begegnen.
Die Agrarpolitik der Weimarer Republik war gekennzeichnet vom so genannten Reichssiedlungsgesetz. Ziel des Gesetzes war, dass durch neue agrarische Klein- und Mittelbetriebe landwirtschaftliche Nutzflächen verstärkt bewirtschaftet werden sollten. Hierfür wurden die einzelnen Bundesstaaten angehalten, gemeinnützige agrarische Siedlungsunternehmen zu gründen. Hierfür forderte man von den Großgrundbesitzern die Abtretung von Teilen ihrer landwirtschaftlichen Flächen, mit dem Ziel, autark wirtschaftende, kleine Bauernhöfe und mittelgroße landwirtschaftliche Betriebe zu fördern.
Auf den Feldern von „Blut-und-Boden“ – Gleichgeschaltete Landwirtschaft im „Dritten Reich“
Wie in allen zentralen Bereichen der Politik, Gesellschaft und Kultur, begannen die Nationalsozialisten gleich nach der Machtergreifung auch in der Landwirtschaft mit der Gleichschaltung agrarischwirtschaftlicher Strukturen. Bereits in der ersten Jahreshälfte 1933 erfolgte die teils zwanghafte, teils selbst eingeleitete Vereinigung aller landwirtschaftlicher Berufsvertretungen in die „Reichsführergemeinschaft der vereinigten landwirtschaftlichen Verbände“. Hierzu zählten die große Vielzahl an Bauernverbänden und ihre dazugehörigen Dachorganisationen, das agrarische Genossenschaftswesen sowie der „Deutsche Landwirtschaftsrat“, in dem sich die Vertreter der Landwirtschaftskammern aus den einzelnen Bundesstaaten des Deutschen Reichs zusammengeschlossen hatten.
In dem im September 1933 gegründeten „Reichsnährstand“ waren bis zum Untergang des „Dritten Reichs“ alle in der Landwirtschaft und der Fischerei tätigen staatlichen Institutionen sowie Interessenvertretungen und Vereine gleichgeschaltet und strikt hierarchisch strukturiert. Zu den Kernaufgaben des Reichsnährstandes zählte die ideologische Indoktrinierung und Überwachung der sogenannten „Blutreinheit“ innerhalb der „arisch-bäuerlichen“ Bevölkerung. Wirtschaftlich zentraler war die Kontrolle des Reichsnährstandes über die gesamte landwirtschaftliche Produktion und die dafür eingesetzten Mittel sowie die Organisation der Verteilung der agarischen Produkte, bei der man mittels Gesetzen und Verordnungen versuchte, die Preise zu kontrollieren. An die Stelle des freien Wettbewerbs trat ein System aus festgelegten Preisen und Produktionsmengen. Das „Reichserbhofgesetz“ sollte darüber hinaus die Besitzverhältnisse und das Erbrecht nach nationalsozialistischer Ideologie umgestalten. Demnach durften Höfe, die als „Erbhöfe“ eingestuft waren, nur noch an familienzugehörige Erben mit deutscher Staatsangehörigkeit übergeben werden. Eine Veräußerung oder Verpachtung an andere Personen, die diesen Kriterien nicht entsprachen, war untersagt.
Für den Krieg strebten die Nationalsozialisten eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion bis zur vollständigen Deckung des eigenen Bedarfs an, die allerdings nie erreicht wurde. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg konnte jedoch die Versorgung der Bevölkerung bis kurz vor Kriegsende auf niedrigem Niveau garantiert werden. Der Mangel wurde erst im zerstörten Nachkriegsdeutschland ein drängendes Problem, in dessen Zuge auch der „Reichsnährstand“ bewusst erst 1948 von den Besatzungsmächten durch den neu ins Leben gerufenen „Deutschen Bauernverband“ ersetzt wurde.
Der Weg zu einer gemeinsamen EU-Agrarpolitik. Landwirtschaft in der Zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Für die BRD – und damit auch für das Rheinland – sind die wesentlichen Ziele der Agrarpolitik seit 1955 im Landwirtschaftsgesetz festgeschrieben. Diese fokussieren die Teilnahme der Landwirtschaft an der volkswirtschaftlichen Entwicklung, die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit Ernährungsgütern, den Ausgleich der naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile der Landwirtschaft, die Steigerung der Produktivität sowie die Angleichung der sozialen Lage der in der Landwirtschaft Tätigen an die vergleichbarer Berufsgruppen (Paritätsziel). Ähnliche Ziele sind in den Römischen Verträgen zur Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 und in der aktuellsten Rechtsgrundlage der EU-Vorgaben, im Vertrag von Lissabon von 2007, formuliert.
Betrachtet man den Verlauf der gemeinsamen EU-Agrarpolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert, so kann man sie grob in vier Abschnitte unterteilen. In den frühen Jahren fokussierte man zunächst die Schaffung von Marktordnungen, die neben der Ernährungssicherung eine Produktivitätssteigerung, Marktstabilisierung und Einkommensstützung forcierten. Diese beinhalteten einen hohen Außenschutz, gewährten über den Weltmarktpreis angesiedelte Mindesterzeugerpreise, staatliche Aufkäufe sowie Exportsubventionen bei Überschuss. In den 1950er Jahren subventionierte die Politik nach den Krisenzeiten viele landwirtschaftliche Produkte, indem sie den Produzenten den Verkauf ihrer Waren zu staatlich garantierten Abnahmepreisen ermöglichte, d. h. die Landwirte mussten sich nicht um die Abnahme ihrer Produkte durch den Verbraucher sorgen, staatliche Einfuhr- und Vorratsstellen der Europäischen Gemeinschaft übernahmen zu Garantiepreisen die Überschüsse aus der Landwirtschaft, um sie später oder auf anderen Absatzwegen zu veräußern. Der darauf drastische einsetzende Anstieg in der Produktion führte mit der Zeit zu gewaltigen Überschüssen.
Diese Politik wird rückblickend als eine Fehlkonstruktion angesehen, die in einem zweiten Abschnitt, den 1970er bis 1980er Jahren, durch Krisen gekennzeichnet war. Die Fortschritte in der Züchtung und die Zugabe speziellen Kraftfutters steigerten beispielsweise die Milchproduktion um ein Vielfaches. Dadurch kam es in den 1970er Jahren zu einer Überproduktion von Milch. „Milchseen“, „Butter-“ und „Getreideberge“ wurden zu Metaphern für die europäische Agrarpolitik. Es gab eine immense Überproduktion, die mit einer Explosion der Ausgaben einherging und aufgrund der subventionierten Agrarexporte negative Auswirkungen für den globalen Süden nach sich zog. So versuchte man seit den 1970er Jahren dem Überschuss landwirtschaftlicher Produkte in Europa mittels politischer Regulierungen zu begegnen. 1984 führte die Europäische Gemeinschaft z. B. die sogenannte Milchquote ein. Sie legte die Milchmenge fest, die jeder Mitgliedsstaat jährlich in den Markt einführen durfte. Wurde bei einem Erzeugnis die festgeschriebene Menge überschritten, griff ein niedrigerer Preis. Das machte das Geschäft für viele Betriebe unrentabel und die Regulierungsprozesse führten zur Aufgabe vieler kleiner milchwirtschaftlicher Betriebe. Die Anzahl der Milchkühe ist seitdem ebenfalls rückläufig. 1970 wurden in Nordrhein-Westfalen noch 725.831 Milchkühe gehalten, bis 2013 schrumpfte ihr Bestand auf 420.572 Tiere zusammen.
Eine weitere umfassende Reform, die so genannte MacSharry-Reform wurde 1992 auf den Weg gebracht. Diese zielte auf Überschussreduzierung, Umweltschutz sowie Einkommens- und Budgetstabilisierung. Drei konkrete Maßnahmen wurden dabei verfolgt: Die Kürzung der Interventionspreise um 35 %, ein dieser Kürzung entgegensteuernder Ausgleich in Form von Flächenbeihilfe sowie eine Eindämmung der Überproduktion durch eine verbindliche Flächenstilllegung. So mussten Landwirte einen Teil ihrer Felder bewusst ungenutzt lassen, um einen Anspruch auf Zahlungen zu bekommen. Neben dieser Markt- und Preispolitik beschloss man zudem eine Vorruhestandsregelung für Landwirte ab 55 Jahren. Wenn diese ihre landwirtschaftlichen Flächen aufgaben und an andere Betriebe übertrugen, konnten sie eine gesonderte Rente sowie Ausgleichszahlungen für die Familie beziehen. Dies zielte unter anderem auf die Reduzierung und Modernisierung bestehender landwirtschaftlicher Betriebe ab. Die vierte Phase schließt das 20. Jahrhundert ab und führt die Landwirtschaft in das neue Jahrtausend. 1999 wurde die Agenda 2000 beschlossen, die sich auf die Vertiefung des Reformprozesses, die Wettbewerbsfähigkeit sowie die ländliche Entwicklung fokussierte. In der Zusammenschau wird die EU-Politik in Bezug auf die Landwirtschaft gerne als „Überregulation“ oder „Subventionsmaschine“ dargestellt. Doch waren die politischen Leitgedanken eines zusammenwachsenden Europas vor allem auf die Sicherung der Nahrungsgrundlage – nach der existenzbedrohenden Erfahrung der Weltkriege besonders zentral – ausgerichtet. Erst in der Folge zeigten sich die Nachteile dieser Regelungen, die heute durch ein kompliziertes System von Geldflüssen ausbalanciert werden sollen. Die meisten Landwirte sind heute deshalb auch Buchhalter, die einen guten Teil ihrer Zeit in das Ausfüllen von Formularen stecken.