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Landwirtschaft

Die Entwicklung der rheinischen Landwirtschaft im 20. Jahrhundert

Ackerbau und Tierhaltung sowie die Verarbeitung der durch sie gewonnenen Rohstoffe bilden die zentralen Pfeiler der Landwirtschaft, die am Beginn fast aller unserer Lebensmittel stehen. Die damit einhergehende Arbeit auf den Höfen, in den Ställen und Scheunen, auf den Ackerflächen und Wiesen hat seit Ende des 19. und dann vor allem im Verlauf des gesamten 20. Jahrhunderts einen grundlegenden Wandel aufgrund fortschreitender Mechanisierung und Motorisierung erfahren. Gleichzeitig haben sich auch die Höfe selbst sowie die gesamte strukturelle Organisation landwirtschaftlicher Betriebe elementar gewandelt. Während die Zahl der Höfe abnahm, ist bei den weiterbestehenden eine deutliche Zunahme der Betriebsgröße zu verzeichnen. Aus manch einstigem Selbstversorgerhof bildete sich ein großer Wirtschaftsbetrieb mit komplexen und hochspezialisierten Arbeitsfeldern heraus. Parallel dazu sowie in Verbindung mit den technischen Entwicklungen hat sich der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Menschen drastisch reduziert.

Erste Wandlungsprozesse im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik

Stiften- bzw. Spitzdrescher der Landmaschinenfabrik Gebrüder Steimel GmbH & Co., um 1900.
Foto: Suzy Coppens/LVR

Der ge­gen En­de des 19. Jahr­hun­derts ein­set­zen­de suk­zes­si­ve Wan­del auf den land­wirt­schaft­li­chen Hö­fen voll­zog sich vor dem Hin­ter­grund der Hoch­in­dus­tria­li­sie­rung im Deut­schen Reich und dem da­mit ver­bun­de­nen Über­gang von ei­nem Agrar- zu ei­nem In­dus­trie­staat. Im Zu­ge der in­dus­tri­el­len Re­vo­lu­ti­on wa­ren seit der Mit­te die­ses Jahr­hun­derts im­mer mehr Ar­beits­kräf­te vom Land in die ur­ba­nen Re­gio­nen ge­zo­gen, um dort Ar­beit in den neu ent­stan­de­nen Fa­bri­ken zu fin­den. In den Städ­ten ver­füg­ten die We­nigs­ten über ei­nen ei­ge­nen Gar­ten oder die Mög­lich­keit, Nutz­tie­re zu hal­ten, so dass im­mer we­ni­ger Men­schen ih­re Nah­rungs­mit­tel selbst pro­du­zier­ten und auf den Er­werb land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­te an­ge­wie­sen wa­ren.
Par­al­lel da­zu wuchs die Be­völ­ke­rung im Deut­schen Reich zwi­schen 1871 und 1910 um mehr als die Hälf­te an. Im Ver­bund mit der Land­flucht muss­te des­halb im­mer mehr Nah­rung durch im­mer we­ni­ger Ar­beits­kräf­te in der Agrar­wirt­schaft pro­du­ziert wer­den. Tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen bei den Ar­beits­ge­rä­ten so­wie ver­bes­ser­te An­bau­me­tho­den soll­ten hier Ab­hil­fe schaf­fen. So führ­ten et­wa der Ein­satz me­cha­ni­scher Land­ma­schi­nen, z. B. Dreschkäs­ten - die vie­le der bis­lang zeit­in­ten­si­ven und stra­pa­ziö­sen Ar­bei­ten deut­lich ver­kürz­ten und er­leich­ter­ten - so­wie die ver­mehr­te An­wen­dung syn­the­ti­scher Dün­ge­mit­tel zu ei­nem ra­pi­den Er­trags­an­stieg land­wirt­schaft­li­cher Feld­früch­te. Ei­ne er­wünsch­te Nah­rungs­mit­tel­aut­ar­kie, die das Deut­sche Reich un­ab­hän­gig von Im­por­ten ma­chen soll­te, blieb je­doch trotz der ge­nann­ten Maß­nah­men und staat­li­cher Sub­ven­tio­nen ein Traum na­tio­na­lis­ti­scher Füh­rungs­eli­ten.
In der Rhein­pro­vinz schrumpf­te die An­zahl land­wirt­schaft­li­cher Be­trie­be von der Jahr­hun­dert­wen­de bis zur Macht­er­grei­fung durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten 1933 um fast die Hälf­te. Trotz der me­cha­ni­schen und jetzt so­gar zum Teil be­reits mo­to­ri­sier­ten Ge­rä­te und Ma­schi­nen wa­ren vie­len Hö­fen mit ei­ner klei­nen Be­triebs­grö­ße, bei de­nen ne­ben dem Hof­be­sit­zer in der Re­gel al­le Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen in der Land­wirt­schaft mit­ar­bei­te­ten, bei der Er­trags­stei­ge­rung en­ge Gren­zen ge­setzt. Be­son­ders im dicht be­sie­del­ten Ruhr­ge­biet, aber auch in den vom Re­a­ler­brecht be­trof­fe­nen Re­gio­nen wie dem Ber­gi­schen Land, be­sa­ßen vie­le Hö­fe we­ni­ger als zwei Hekt­ar Land und man­che Par­zel­le hat­te nur die Grö­ße ei­nes Nutz­gar­tens. Zahl­rei­che Land­wir­te such­ten des­halb nach ei­ner an­der­wei­ti­gen Be­schäf­ti­gungs­mög­lich­keit. Be­son­ders die wach­sen­de In­dus­trie im Rhein­land bot neue Ar­beits­plät­ze, so dass im­mer mehr Men­schen ih­re Hö­fe auf­lös­ten und in die Städ­te ab­wan­der­ten.

Landwirtschaft auf „Blut und Boden“ im Nationalsozialismus

Mähmaschine in Form eines Balkenmähers der Landmaschinenfabrik J. F. Jacobi GmbH für einen zweispännigen Pferdezug, ca. 1920 bis 1949.
Foto: Suzy Coppens/LVR

Der Bau­ern­stand er­fuhr in sei­ner Rol­le als Nah­rungs­mit­tel­lie­fe­rant der Be­völ­ke­rung im Drit­ten Reich un­ter dem pro­pa­gan­dis­ti­schen Schlag­wort „Blut und Bo­den“ ei­ne enor­me ideo­lo­gi­sche Auf­wer­tung. Wäh­rend der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus nahm die Zahl der land­wirt­schaft­li­chen Be­trie­be im Rhein­land so­gar vor­über­ge­hend wie­der zu, al­ler­dings über­nahm das Re­gime mit Hil­fe zahl­rei­cher Maß­nah­men viel­fach die Kon­trol­le über Be­sitz­ver­hält­nis­se, Be­triebs­grö­ßen und Pro­duk­ti­ons­struk­tu­ren.
Die Ein­füh­rung des „Reichs­nähr­stan­des“ im Jahr 1933 ver­folg­te die Ab­sicht, al­le land­wirt­schaft­li­chen Er­zeu­ge­rin­nen und Er­zeu­ger, al­le ver­ar­bei­ten­den Be­trie­be so­wie al­le Ver­bän­de und Land­wirt­schafts­kam­mern in ei­ner hier­ar­chisch ge­glie­der­ten Ge­samt­or­ga­ni­sa­ti­on zu­sam­men­zu­fas­sen und zu struk­tu­rie­ren.  Ein zen­tra­les Ziel der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Maß­nah­men im Be­reich der Land­wirt­schaft war für den ge­plan­ten Krieg und die da­mit ver­bun­de­ne Ver­sor­gungs­la­ge der Be­völ­ke­rung, die in­län­di­sche Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung im Agrar­sek­tor enorm zu er­hö­hen und sich gleich­zei­tig un­ab­hän­gig von land­wirt­schaft­li­chen Im­por­ten zu ma­chen. Al­ler­dings blieb die an­ge­streb­te Nah­rungs­mit­tel­aut­ar­kie auch im „Drit­ten Reich“ un­er­reicht.

Modernisierung der Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg

Traktor der Firma Porsche-Diesel-Motorenbau G.m.b.H aus Friedrichshafen, Baujahr 1958.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Nach dem En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges setz­te in Deutsch­land die flä­chen­de­cken­de Mo­der­ni­sie­rung der Land­wirt­schaft ein. Die so ge­nann­te Flur­be­rei­ni­gung in West­deutsch­land sah die Um­struk­tu­rie­rung und Neu­ver­tei­lung der Agrar­flä­chen vor, um die Wirt­schaft­lich­keit zu stei­gern. Klei­ne Be­trie­be er­hiel­ten mehr Land und Ge­höf­te in be­eng­ten dörf­li­chen Sied­lungs­struk­tu­ren wur­den aus den Wohn­ge­bie­ten aus­ge­la­gert. Die fort­schrei­ten­de Tech­ni­sie­rung er­reich­te nun end­gül­tig die brei­te Mehr­heit der Hö­fe. Denn erst auf den ver­grö­ßer­ten An­bau­flä­chen konn­te der Leis­tungs­um­fang neu­ar­ti­ger Ma­schi­nen ganz aus­ge­schöpft wer­den. Be­son­ders der Ein­satz von Trak­to­ren nahm seit 1950 stark zu. Dies be­schleu­nig­te das Ar­beits­tem­po, eb­ne­te den Weg in den in­ten­si­ven Land­bau und führ­te zu ei­ner dras­ti­schen Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung. Gleich­zei­tig wur­den durch die Mo­to­ri­sie­rung der Land­wirt­schaft in den 1950er und 1960er Jah­ren vie­le Ar­beits­kräf­te im Agrar­sek­tor frei­ge­setzt, die Ein­gang in die boo­men­den In­dus­trie­zwei­ge der „Wirt­schafts­wun­der­jah­re“ fan­den.
Die Agrar­po­li­tik Deutsch­lands und der Eu­ro­päi­schen Uni­on ver­stärk­te den In­ten­si­vie­rungs­pro­zess und die Land­wirt­schaft ent­wi­ckel­te sich zu ei­nem leis­tungs­ori­en­tier­ten und ka­pi­tal­in­ten­si­ven Ge­schäft. Für vie­le klei­ne Un­ter­neh­men al­ler­dings ren­tier­te sich der Be­trieb bald nicht mehr, und die Zahl der Hö­fe ging stark zu­rück. Die Flä­chen, die man­che Land­wir­te auf­ge­ge­ben muss­ten, wur­den oft­mals von an­de­ren Bau­ern auf­ge­kauft oder ge­pach­tet, um den ei­ge­nen Be­trieb zu ver­grö­ßern. Um auf dem in­ter­na­tio­na­len Markt wett­be­werbs­fä­hig be­ste­hen zu kön­nen, voll­zog sich bei den ver­blei­ben­den, grö­ße­ren Land­wirt­schafts­be­trie­ben in den 1960er Jah­ren der Über­gang von ei­nem viel­fäl­ti­gen An­bau und ei­ner ge­misch­ten Tier­hal­tung hin zu ei­ner Spe­zia­li­sie­rung auf ein­zel­ne Feld­früch­te oder Tier­ar­ten zur Fleisch- oder Milch­pro­duk­ti­on. Die Pro­duk­ti­vi­tät der we­ni­gen, aber grö­ße­ren und spe­zia­li­sier­ten Land­wirt­schafts­be­trie­be war um ein Viel­fa­ches er­trag­rei­cher als bei den klei­ne­ren Hö­fen, so dass es noch im sel­ben Jahr­zehnt, auch be­güns­tigt durch Agrar­sub­ven­tio­nen, zu Über­pro­duk­tio­nen bei land­wirt­schaft­li­chen Er­zeug­nis­sen kam.
Im wei­te­ren Ver­lauf des 20. Jahr­hun­derts spitz­te sich der Ra­tio­na­li­sie­rungs­pro­zess land­wirt­schaft­li­cher Hö­fe mit ei­ner Ab­nah­me an Be­trie­ben und Be­schäf­tig­ten bei gleich­zei­ti­ger Ver­grö­ße­rung, zu­neh­men­der und kos­ten­in­ten­si­ver Tech­ni­sie­rung und Au­to­ma­ti­sie­rung von Ar­beits­pro­zes­sen so­wie der Kon­zen­tra­ti­on auf Mo­no­kul­tu­ren bei den be­ste­hen­den Hö­fen wei­ter zu. So sank die An­zahl der Hö­fe in Nord­rhein-West­fa­len in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts um mehr als die Hälf­te. Die­ser Trend setzt sich bis heu­te fort. Im Jahr 2013 wa­ren nur noch et­wa 34.000 Be­trie­be in NRW ak­tiv, das ent­spricht et­wa 13 Pro­zent der 1949 ge­zähl­ten Men­ge.
Die Mo­der­ni­sie­rung und Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Agrar­wirt­schaft hat be­wirkt, dass die ver­gleich­bar ge­rin­ge An­zahl an Land­wir­tin­nen und Land­wir­ten we­sent­lich ef­fek­ti­ver und wirt­schaft­li­cher pro­du­zie­ren als frü­her. Heu­te ver­sorgt ein ein­zi­ger Be­trieb in Deutsch­land durch­schnitt­lich 145 Men­schen mit Le­bens­mit­teln. 1950 konn­ten ge­ra­de ein­mal 10 Per­so­nen durch ei­nen Land­wirt er­nährt wer­den.
Um ei­nen land­wirt­schaft­li­chen Be­trieb er­folg­reich zu füh­ren, ist mitt­ler­wei­le ei­ne Viel­zahl an Kom­pe­ten­zen und Fä­hig­kei­ten not­wen­dig. Die Be­triebs­lei­te­rin­nen und Be­triebs­lei­ter müs­sen nicht nur die Pro­duk­ti­ons­ab­läu­fe be­herr­schen, son­dern auch über Kennt­nis­se in der Be­triebs­wirt­schaft ver­fü­gen und sich mit den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten und För­der­richt­li­ni­en aus­ken­nen. Ei­ne be­ruf­li­che Aus­bil­dung zum Land­wirt oder zur Land­wir­tin ist zwar nicht ge­setz­lich vor­ge­schrie­ben, stellt je­doch in den meis­ten Fäl­len ei­ne Grund­vor­aus­set­zung dar. Auch ein Hoch­schul­ab­schluss in Agrar­wis­sen­schaf­ten ist in Deutsch­land nicht sel­ten.

Wandel der Arbeit in der Landwirtschaft

Mähbinder erleichterten die Getreideernte und verbanden verschiedene Ernteschritte. Mähbinder von der Maschinenfabrik Fahr AG, um 1960.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Um 1900 war Voll­er­werbs­land­wirt­schaft in den länd­li­chen Re­gio­nen des Rhein­lan­des die Re­gel. Mit ein­fa­chem, aber spe­zia­li­sier­tem Hand­werks­ge­rät aus Holz und Me­tall, wie der Hand­ro­de­ga­bel oder dem von Pfer­den ge­zo­ge­nen Köpf­schlit­ten für die Rü­ben­ern­te, wur­den bis in die 1930er Jah­re die viel­fäl­ti­gen Ar­beits­schrit­te auf dem Hof und dem Feld per Hand ver­rich­tet. Bei der Be­stel­lung der Fel­der oder beim Trans­port von Wa­ren hal­fen Pfer­de, Och­sen und Hun­de als Zug- und Ar­beits­tie­re, die ab den 1950er Jah­ren zu­neh­mend durch mo­tor­be­trie­be­ne Ma­schi­nen er­setzt wur­den. Von der Aus­saat bis zum Ein­fah­ren der Ern­te und den nach­fol­gen­den Ar­beits­schrit­ten be­schleu­nig­ten sich die Ab­läu­fe in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts. Ent­wick­lun­gen der che­mi­schen In­dus­trie för­der­ten dar­über hin­aus die Stei­ge­rung des Flä­chen­er­tra­ges. Kunst­dün­ger, Pes­ti­zi­de und züch­te­risch be­ar­bei­te­tes Saat­gut er­leich­ter­ten des­sen Aus­brin­gen, ver­bes­ser­ten die Keim­fä­hig­keit und min­der­ten den Schäd­lings­be­fall. Un­ter In­kauf­nah­me der Schä­di­gung von Le­bens­be­din­gun­gen für Mensch, Tier und Na­tur wur­de der Ern­te­er­trag er­höht.

Weiterführende Literatur

Achil­les, Wal­ter: Deut­sche Agrar­ge­schich­te im Zeit­al­ter der Re­for­men und der In­dus­tria­li­sie­rung. Stutt­gart 1993.

Eckardt, Eli­sa­beth; Wie­se, Rolf (Hg.): Im Mär­zen der Bau­er. Land­wirt­schaft im Wan­del (Schrif­ten des Frei­licht­mu­se­ums am Kie­ke­berg, Bd. 13). Ham­burg 1993.

Löff­ler, Gün­ter: Die Agrar­wirt­schaft im 20. Jahr­hun­dert (Ge­schicht­li­cher At­las der Rhein­lan­de, Bei­heft VII / 13), Köln 2002.

Ue­köt­ter, Frank: Die Wahr­heit ist auf dem Feld: Ei­ne Wis­sens­ge­schich­te der deut­schen Land­wirt­schaft. 3. Auf­la­ge Göt­tin­gen 2012.

We­ber-Kel­ler­mann, In­ge­borg: Land­le­ben im 19. Jahr­hun­dert. Mün­chen 1987.

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