Direkt zum Inhalt

Vom romantisch verklärten Bauern zum betriebswirtschaftlichen Landwirt

Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit veränderte sich das bäuerliche Leben und Arbeiten im Zuge rasanter technischer Fortschritte auf grundlegende Weise. Zudem wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Landwirt immer mehr zu einem vom Weltmarkt abhängigen Betriebsleiter, der kaum noch Ähnlichkeiten mit dem oftmals noch heute in der Werbung dargestellten und romantisierend verklärten Bauern hat. Ein Bild, das nie dem bäuerlichen Alltag entsprochen hat.

Zwischen Symbolgestalt und Realität – Der Wandel des Bauernbildes

Handzettel vom Ernährungsamt Schleiden aus dem Jahr 1942.

Spä­tes­tens seit der Ro­man­tik wur­de der Bau­er zum Be­wah­rer kul­tu­rel­len Er­bes sti­li­siert, der an­geb­lich un­er­schüt­ter­lich am Alt­her­ge­brach­ten fest­hielt und so als Ge­gen­part zu ei­ner als be­droh­lich emp­fun­de­nen Ent­wick­lun­gen der Mo­der­ne fun­gier­te. Die­ses Bild er­fuhr im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ei­ne ex­tre­me Über­hö­hung, wur­de der an­geb­lich jahr­hun­der­te­lang gleich­blei­bend auf sei­ner Schol­le tä­ti­ge Bau­er hier doch, wie kaum ein an­de­rer Er­werbs­stand, sym­bol­träch­tig auf­ge­la­den. Ne­ben der ihm zu­ge­spro­che­nen Be­deu­tung als „bio­lo­gi­scher Kern“ des „deut­schen Vol­kes“ ob­lag ihm die land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­ons­leis­tung, die sich nicht pro­fit­ori­en­tiert am Welt­markt, son­dern aus­schlie­ß­lich am Wohl und den Be­dürf­nis­sen der „Volks­ge­mein­schaf­t“ ori­en­tie­ren soll­te.
Die­ses idea­li­sie­ren­de Bild passt aber nicht wirk­lich zu den agrar­po­li­ti­schen Maß­nah­men des NS-Re­gimes, das auf Pro­duk­ti­ons­stei­ge­rung durch Tech­ni­sie­rung und In­dus­tria­li­sie­rung setz­te. Im Ver­lauf des Zwei­ten Welt­krie­ges wur­den die­se Maß­nah­men deut­lich ver­stärkt, als die mi­li­tä­ri­schen Fol­gen ein öko­no­mi­sches Um­den­ken jen­seits der „Blut-und-Bo­den-Ideo­lo­gie“ ein­for­der­ten und von staat­li­cher Sei­te zum in­ten­si­vier­ten An­bau kriegs­re­le­van­ter Er­zeug­nis­se auf­ge­ru­fen wur­de, wie et­wa dem Öl­f­rucht­an­bau für Kraft­stoff. Par­al­lel da­zu muss­ten land­wirt­schaft­li­che Er­zeug­nis­se, wie z. B. Ei­er, ob­li­ga­to­risch an staat­li­che Ein­rich­tun­gen ab­ge­führt wer­den.

Die Betriebswirtschaft hält Einzug

Ländliche Idylle? Ein romantisches Trugbild, Mayen-Kehrig 1958.
Foto: Josef Ruland/LVR

Eben­falls nicht recht zum ras­sisch-ideo­lo­gisch ver­bräm­ten Bild des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bau­ern pas­send, war die von staat­li­cher Sei­te an­ge­ord­ne­te Ein­füh­rung be­triebs­öko­no­mi­scher Struk­tu­ren auf den Bau­ern­hö­fen. Die Land­wir­te muss­ten Aus­wer­tungs­bo­gen füh­ren, auf de­nen die Grö­ße der land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­che, al­le an­ge­bau­ten Ge­trei­de­sor­ten, die Er­trä­ge und der Ver­bleib, der Vieh­be­stand, die Fut­ter­kos­ten, der Ver­brauch an Han­dels­dün­ger, die Geld­bi­lanz, die per­so­nel­le und tech­ni­sche Ar­beits­wirt­schaft, die Be­triebs­er­geb­nis­se u.v.m. ge­naus­tens ver­zeich­net wer­den muss­ten. Die­se be­triebs­öko­no­mi­sche Do­ku­men­ta­ti­on wur­de in der Nach­kriegs­zeit naht­los wei­ter­ge­führt und muss­te von den „Be­triebs­lei­tern“, wie die Bau­ern jetzt hie­ßen, für je­des Wirt­schafts­jahr ver­fasst wer­den. Ein Wi­der­spruch zum Bild des „dum­men Bau­ern“, das ge­ra­de von Städ­tern bis heu­te ger­ne hoch­ge­hal­ten wird und die­sen kom­ple­xen Tä­tig­kei­ten und im­mer spe­zia­li­sier­ter wer­den­den Auf­ga­ben, das auch im­mer mehr Vor­wis­sen vor­aus­setz­te, nicht ge­recht wird.

Modernisierung in kleinen Schritten

Zwei über Joche eingespannte Rinder ziehen eine Mähmaschine, Kelberg 1920-1938.
Foto: Limm/LVR

Ernte mit Schlepper und Mähbinder - ohne Zugtiere, Mannebach 1920-1950.

Der Über­gang vom Bau­ern hin zum Be­triebs­lei­ter ließ sich in den 1950er Jah­ren auch in der Zu­nah­me im­mer grö­ße­rer land­wirt­schaft­li­cher Be­trie­be her­aus­le­sen, bei gleich­zei­ti­ger Ab­nah­me von klei­ne­ren Hö­fen mit Voll­er­werbs­stel­len. Klei­ne Spe­zi­al­be­trie­be bzw. Hö­fe mit Ne­ben­er­werbs­stel­len, wo der Land­wirt ei­ner wei­te­ren au­ßer­land­wirt­schaft­li­chen Ar­beit zum Geld­er­werb nach­ging, konn­ten sich bes­ser hal­ten. Ein wei­te­res Ele­ment, ne­ben der Flä­chen­ver­grö­ße­rung pro Kopf, war die zu­neh­men­de Tech­ni­sie­rung, bei der vor al­lem die Schlep­per cha­rak­te­ris­tisch wa­ren, wel­che die tra­di­tio­nel­len Zug­tie­re Pferd und Och­se ab­lös­ten. Auch in den Wohn­räu­men der Bau­ern­hö­fe hiel­ten ab der Mit­te des 20. Jahr­hun­derts mo­der­ne Ein­rich­tun­gen und Ein­bau­ten Ein­zug. An­bau­kü­chen, Kom­bi­her­de und Spül­be­cken mit Was­ser­an­schluss er­leich­ter­ten die Haus­halts­füh­rung, so wie in Woh­nun­gen des ur­ba­nen Rau­mes auch.
Die Mo­der­ni­sie­rung auf den Bau­ern­hö­fen er­folg­te da­bei nicht ra­di­kal, son­dern suk­zes­siv. Ne­ben Trak­to­ren wur­den auch wei­ter­hin klas­si­sche, hand­ge­führ­te land­wirt­schaft­li­che Ge­rä­te, wie et­wa Sen­sen, er­wor­ben und auf dem Feld ein­ge­setzt. Auch die Spe­zia­li­sie­rung auf Mo­no­kul­tu­ren oder ein­zel­ne Vieh­gat­tun­gen, wie sie für die mo­der­ne Land­wirt­schaft heut­zu­ta­ge ty­pisch ist, er­folg­te nicht so­fort flä­chen­mä­ßig, wie die be­triebs­wirt­schaft­li­chen Aus­wer­tungs­bo­gen na­he­le­gen. Nichts­des­to­trotz hat sich das Ar­bei­ten und Le­ben auf den Hö­fen zwi­schen den 1930er und 1950er Jah­ren we­sent­lich ge­wan­delt. Zu­dem stan­den die Dör­fer auf­grund der zu­neh­men­den Mo­bi­li­tät in ei­nem im­mer en­ge­ren Kon­takt zu Bal­lungs­räu­men, de­ren Ein­fluss auf den länd­li­chen Raum dem­entspre­chend zu­nahm.
Wäh­rend äl­te­re Bau­ern den agrar­tech­ni­schen und so­zio­kul­tu­rel­len Wan­del auf und in ih­ren Hö­fen so­wie im dar­an an­gren­zen­den länd­li­chen Mi­lieu oft­mals mit Arg­wohn be­geg­ne­ten und teil­wei­se mit of­fen ge­äu­ßer­ter Kri­tik ra­di­kal ab­lehn­ten, ori­en­tie­ren sich be­reits ab den 1960er Jah­ren im­mer mehr Land­wir­te ei­ner  jün­ge­ren Ge­ne­ra­ti­on an städ­ti­schen Le­bens­wei­sen und dis­tan­zier­ten sich vom „klas­si­schen“ Bild des Bau­ern mit den ihm zu­ge­spro­che­nen Wer­ten und Glau­bens­vor­stel­lun­gen. Die­se Ten­den­zen nah­men in den fol­gen­den Jah­ren und Jahr­zehn­ten wei­ter zu. Vie­le jün­ge­re Land­wir­te er­kann­ten, dass der tech­ni­sche Wan­del und Fort­schritt auf den Bau­ern­hö­fen al­ter­na­tiv­los war, woll­te man den ei­ge­nen, aber im­mer stär­ker mit dem Welt­markt ver­floch­te­nen Hof­be­trieb auf­recht­er­hal­ten. Für die nach­fol­gen­de Ge­ne­ra­ti­on war und ist heu­te auf die­sen Hö­fen der mo­der­ne, in das glo­ba­le Ge­sche­hen ein­ge­bun­de­ne Land­wirt­schafts­be­trieb in ers­ter Li­nie nicht mehr ein not­wen­di­ger, son­dern ein all­täg­li­cher Zu­stand und die „alt­bäu­er­li­che Welt“ der Gro­ßvä­ter und -müt­ter mit ih­ren oft­mals noch vor­in­dus­tri­el­len Ge­rät­schaf­ten, aber auch Wer­ten und Vor­stel­lun­gen teil­wei­se ge­nau­so fremd wie man­chem Stadt­be­woh­ner.

Der digitalisierte Landwirt in einer globalen Welt

Schon lange kommt kein landwirtschaftlicher Betrieb ohne Büro aus, wo alle Arbeiten auf dem Hof koordiniert werden, Lohmar-Schiefelbusch 2012.
Foto: Andrea Graf/LVR

In der mo­der­nen und von glo­ba­len Preis­kämp­fen ge­präg­ten Land­wirt­schaft des 21. Jahr­hun­derts ist das Band zwi­schen der Ar­beits­welt auf dem Acker und im Stall ei­ner­seits so­wie dem Pri­vat­le­ben an­de­rer­seits we­sent­lich lo­ser ge­wor­den, als noch um die Mit­te des 20. Jahr­hun­derts. Dies be­trifft nicht nur ei­ne stär­ke­re Aus­dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Wohn- und Wirt­schafts­räu­men, son­dern auch den stär­ke­ren Ein­fluss und Kon­takt mit der Welt au­ßer­halb des Ho­fes und der ei­ge­nen Ge­mein­de, die im Zeit­al­ter glo­ba­ler Me­di­en und Di­gi­ta­li­sie­rung letzt­end­lich kei­ne räum­li­chen Gren­zen mehr kennt. Be­reits seit dem En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges, aber erst ver­stärkt in den letz­ten zwei bis drei Jahr­zehn­ten, ist ei­ne Plu­ra­li­sie­rung der Le­bens­for­men im Agrar­sek­tor aus­zu­ma­chen, wel­che die – zu­min­dest vor­der­grün­di­ge – Ein­heit­lich­keit des bäu­er­li­chen Le­bens auf­brach und neue Er­fah­run­gen und Le­bens­mo­del­le in das land­wirt­schaft­li­che Le­ben in­te­grier­te. Un­ge­ach­tet des­sen wird zu Wer­be­zwe­cken wei­ter­hin gern auf die ste­reo­ty­pen Bil­der der von Hand mel­ken­den Bäue­rin und des Sen­se schwin­gen­den Bau­ern zu­rück­ge­grif­fen. Hier­mit soll ei­ne bo­den­stän­di­ge Na­tur­ver­bun­den­heit jen­seits mo­der­ner Tech­ni­sie­rung und ei­ne na­tür­li­che Rein­heit der land­wirt­schaft­lich er­zeug­ten Pro­duk­te sug­ge­riert wer­den. Die­se Ste­reo­ty­pe ha­ben je­doch mit den heu­te al­ler­orts ein­ge­setz­ten, voll­au­to­ma­ti­sier­ten Mäh­dre­schern und den über­di­men­sio­nier­ten Tier­zucht­be­trie­ben, in de­nen für je­de ein­zel­ne Kuh die Aus­schüt­tung für Fut­ter und der idea­le Zeit­punkt des Mel­kens über ei­nen Com­pu­ter­chip in­di­vi­du­ell und di­gi­tal ge­steu­ert wer­den, nur noch we­nig bis gar nichts zu tun. Und sie hat­ten es auch in der Ver­gan­gen­heit kaum, denn die oft be­schwo­re­ne ro­man­ti­sche, länd­li­che Idyl­le hat es so nie ge­ge­ben.

Zurück nach oben