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Von Blauen Kölnern, Gelben Schafsnasen und Rheinischen Seidenhemdchen

Obstanbau im Rheinland

Blühende Apfel- und Kirschbäume scheinen im Frühling im ganzen Rheinland Betrachterinnen und Betrachter zu erfreuen. Der professionelle Anbau, der sich von Streuobstwiesen zu Plantagen verlagerte, hat hier jedoch stets nur einen kleinen Teil der landwirtschaftlichen Produktion ausgemacht.

Verordnete Anfänge und erster wirtschaftlicher Anbau

Lehrbuch zur Pomologie, der Lehre des Obstbaus, mit fünfzig verschiedenen Apfelsorten, von 1882.

Ei­ne Po­pu­la­ri­sie­rung des Obst­baus be­gann im Rhein­land im 19. Jahr­hun­dert mit der Kö­nig­lich Preu­ßi­schen Ver­ord­nung von 1821/1822. Die­se ver­pflich­te­te al­le Ele­men­tar­schu­len, Obst­an­bau als Lehr­in­halt ein­zu­füh­ren. Auch die im 19. Jahr­hun­dert eta­blier­ten land­wirt­schaft­li­chen Win­ter­schu­len tru­gen zu ei­ner Ver­brei­tung des Obst­baus in der Rhein­pro­vinz bei. De­ren Aus­brei­tung war je­doch re­gio­nal sehr ver­schie­den und die För­de­rung des Obst­baus von den je­wei­li­gen Lehr­kräf­ten ab­hän­gig.

Obst­gär­ten ge­hör­ten zu fast je­dem land­wirt­schaft­li­chen Be­trieb und si­cher­ten zu­nächst die Selbst­ver­sor­gung mit fri­schem Obst. Au­ßer­dem wur­de Obst als Le­bens­mit­tel­vor­rat für den Win­ter ein­ge­la­gert. Über­schüs­se fan­den den Weg auf lo­ka­le Märk­te. Mit ei­ner durch die In­dus­tria­li­sie­rung wach­sen­den Groß­stadt­be­völ­ke­rung, die sich nur in ge­rin­gem Ma­ße über Nutz­gär­ten selbst ver­sor­gen konn­te, wur­de ein kom­mer­zi­el­le­rer Obst­an­bau lu­kra­tiv. So nahm et­wa in der Tex­til­re­gi­on Wup­per­tal die Be­deu­tung des Obst­an­baus ra­pi­de ab, in der Re­gi­on um So­lin­gen da­ge­gen ge­lang­te er zu ei­ner Blü­te. Frü­her als in an­de­ren ber­gi­schen Re­gio­nen wur­de hier Obst, vor al­lem Äp­fel, Bir­nen, Zwetsch­gen und Kir­schen, nicht nur für den Ei­gen­be­darf an­ge­baut. Auf Streu­obst­wie­sen, auf de­nen zu­gleich auch Tie­re wei­de­ten, und in Obst­gär­ten wuch­sen Äp­fel und Bir­nen auf hoch­stäm­mi­gen Bäu­men und wur­den mit ho­hen Lei­tern und Kör­ben oder lang­stie­li­gen Ap­fel­pflü­ckern ge­ern­tet. Auf­grund der An­fäl­lig­keit der Früch­te für Druck­stel­len ließ sich auf­wen­di­ge Hand­ar­beit nicht ver­hin­dern.

Professionalisierung des Obstbaus

Äpfel im Hofladen eines 1896 gegründeten Obstbaubetriebs, Bornheim-Merten 2013.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

1896 fand in Leich­lin­gen der ers­te Obst­markt der Re­gi­on statt. Er exis­tiert bis heu­te. Ne­ben ver­schie­de­nen Sor­ten wur­den auch Ge­rä­te zum An­bau und zur Ver­ar­bei­tung prä­sen­tiert. Vor­ran­gi­ges Ziel des Obst­mark­tes war, die wirt­schaft­li­chen Chan­cen hei­mi­schen Obs­tes zu ver­bes­sern. Gleich­zei­tig mar­kier­te die­ser Obst­markt ei­ne Wei­chen­stel­lung. Die bis­her wich­ti­gen Ele­men­tar­schu­len ver­lo­ren für die Ver­brei­tung des Obst­an­baus an Be­deu­tung, haupt­be­ruf­li­che Fach­kräf­te führ­ten die­sen land­wirt­schaft­li­chen Zweig nach wirt­schaft­li­chen Kri­te­ri­en fort und be­wirk­ten ei­ne zu­neh­men­de Pro­fes­sio­na­li­sie­rung. 1902 gab es al­lein an 30 Win­ter­schu­len spe­zi­el­le Obst­bau­kur­se mit meh­re­ren hun­dert In­ter­es­sier­ten.

Der ho­he Pfle­ge­auf­wand be­son­ders für äl­te­re Sor­ten be­wirk­te ei­ne Re­duk­ti­on der Ar­ten­viel­falt vor al­lem bei Äp­feln. So pro­pa­gier­te die 1898 ge­grün­de­te Land­wirt­schafts­kam­mer für die Rhein­pro­vinz im Jahr 1908 ein An­bausor­ti­ment aus zehn Ap­fel-, sechs Bir­nen-, sechs Pflau­men-, je vier Sü­ß­kirsch- und Pfir­sich­sor­ten so­wie je zwei Sau­er­kirsch-, Apri­ko­sen- und Mi­ra­bel­len­sor­ten. Pfle­gein­ten­si­ve und we­nig ro­bus­te Sor­ten soll­ten da­ge­gen ver­schwin­den. 1929 wur­de das emp­foh­le­ne Sor­ti­ment noch wei­ter auf vier Ap­fel- und drei Bir­nen­sor­ten als Han­dels­sor­ten ein­ge­schränkt.

Regionale Verbreitung

Streuobstwiese - die im Rheinland bis in die 1950er Jahre gängige Anbaumethode für Äpfel, Keidelheim 2005.
Foto: Josef Mangold/LVR

Um 1900 gab es in der Rhein­pro­vinz 6,7 Mil­lio­nen Obst­bäu­me. Durch ge­ziel­te För­de­rung des Obst­baus stieg die­se Zahl bis 1930 auf ex­akt 15.182.894 Obst­bäu­me: da­von über sie­ben Mil­lio­nen Ap­fel­bäu­me, ge­folgt von mehr als 3,5 Mil­lio­nen Pflau­men- und Zwetsch­gen­bäu­men, 2,7 Mil­lio­nen Birn­bäu­men und knapp ei­ner Mil­lio­nen Kirsch­bäu­men. Die Be­deu­tung schwank­te re­gio­nal er­heb­lich, auch ab­hän­gig von den kli­ma­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen. Spit­zen­rei­ter war der Sieg­kreis mit mehr als 700.000 Obst­bäu­men, ge­folgt von den Land­krei­sen Trier, Bonn, Wetz­lar, So­lin­gen und Neu­wied. Die meis­ten Be­trie­be wa­ren Klein­be­trie­be mit ge­rin­ger An­bau­flä­che in Fa­mi­li­en­hand.

Änderung der Anbauweise

Blühende Apfelbäume auf einer Apfelplantage, Bornheim-Merten 2005.
Foto: Peter Weber/LVR

Im Zwei­ten Welt­krieg ging ein Gro­ß­teil der Obst­bäu­me ver­lo­ren. Ei­ne re­prä­sen­ta­ti­ve Um­fra­ge der Land­wirt­schafts­kam­mer Rhein­land er­gab 1953, dass 42 Pro­zent der Kern­obst­bäu­me un­wirt­schaft­lich und 85 Pro­zent der Be­stän­de nicht oder un­ge­nü­gend ge­pflegt wa­ren. Auch wa­ren die an­ge­bau­ten Sor­ten ver­al­tet: 30 Pro­zent der Ap­fel- und 54 Pro­zent der Birn­bäu­me hat­ten kei­nen nen­nens­wer­ten Markt­wert. Nicht nur der zu­neh­men­de Im­port aus süd­li­chen Län­dern führ­te zu Ab­nah­me von Obst­bau im Rhein­land. Auch der Em­ser Be­schluss des Bun­der­näh­rungs­mi­nis­te­ri­ums ver­stärk­te den Rück­gang. Er pro­kla­mier­te, dass für her­kömm­li­che hoch- und halb­stäm­mi­ge Sor­ten kein Platz mehr sein wer­de. Streu­an­bau, Stra­ßen­an­bau und Misch­kul­tur sei zu Guns­ten von nied­rig­stäm­mi­gen Obst­plan­ta­gen zu ver­wer­fen. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­de da­her beim Baum­obst zu­neh­mend auf Busch­bäu­me und Spin­del­bü­sche um­ge­stellt. Die­ses An­bau­ver­fah­ren er­leich­tert durch die nied­ri­ge Hö­he der Bäu­me und Pflan­zung in gleich­mä­ßi­gen Rei­hen die Ern­tear­bei­ten. Der Pro­fes­sio­na­li­sie­rungs­grad des An­baus und die ge­setz­li­chen Vor­ga­ben der Bun­des­re­gie­rung und der Eu­ro­päi­schen Ge­mein­schaft stei­ger­te den An­spruch an die Aus­bil­dung der Be­triebs­lei­tung. Die wach­sen­de Be­triebs­grö­ße er­for­dert den Ein­satz von Sai­son­ar­beits­kräf­ten.

Rückgang des Obstanbaus

Birnenernte, Plombières-Hombourg/Belgien, 1980.
Foto: Landesbildstelle Rheinland/LVR

Par­al­lel da­zu nahm die An­zahl der Be­trie­be stark ab. Zwi­schen 1964 und 1988 sank die An­zahl der Obst­bau­be­trie­be im Rhein­land von 1684 um mehr als zwei Drit­tel auf 572. Dem­entspre­chend ver­rin­ger­te sich auch die Obst­an­bau­flä­che in ganz Nord­rhein-West­fa­len von 10.218 Hekt­ar 1960 auf 3.419 Hekt­ar 2014. Pro­zen­tu­al än­der­te sich der An­teil von 0,5 der ge­sam­ten land­wirt­schaft­li­chen Flä­che auf 0,2 Pro­zent. Der An­teil von Baum­schul­flä­chen nahm in­ter­es­san­ter­wei­se gleich­zei­tig zu, was auf ei­nen wie­der zu­neh­men­den An­bau im pri­va­ten Gar­ten schlie­ßen lässt.

Heu­te ver­trei­ben rhei­ni­sche Er­zeu­ger nur et­wa zehn Obst-, aber 50 Ge­mü­se­sor­ten. Die­se ge­rin­ge Be­deu­tung des Obst­baus in der rhei­ni­schen Land­wirt­schaft steht heu­te in ei­nem in­ter­es­san­ten Kon­trast zu der ge­sell­schaft­li­chen Auf­merk­sam­keit ge­gen­über re­gio­na­lem Obst und Obst­wie­sen. Be­son­ders seit den 1980er Jah­ren hat die Di­rekt­ver­mark­tung wie­der zu­ge­nom­men, die den Kun­den Ein­bli­cke in die Pro­duk­ti­on ih­rer Le­bens­mit­tel bie­tet. Re­gio­na­le Sor­ten sind be­liebt und ha­ben ein ge­sun­des Image, ver­meint­lich idyl­li­sche Obst­wie­sen be­die­nen nost­al­gi­sche Ge­füh­le. Doch in den Ob­st­re­gio­nen des Rhein­lands do­mi­nie­ren wei­ter­hin Mo­no­kul­tu­ren und nied­ri­ge Busch­bäu­me, die im­mer noch die gro­ße Mas­se des Be­darfs pro­du­zie­ren.

Weiterführende Literatur:

Bartl, Al­fred: Obst­bau im Ber­gi­schen Land. Öko­lo­gi­sche Se­mi­na­re im Ber­gi­schen Frei­licht­mu­se­um. Köln 1997.

Kei­pert, Kon­rad: Die Land­wirt­schafts­kam­mer im Diens­te des rhei­ni­schen Obst­baus. Rhein­bach 2014. [URL: http-blank://obst­bau-mu­se­um-rhein­land.de/his­to­rie_da­ta/do­ku­ment/doc007.pdf] Tho­mas-Zieg­ler, Sa­bi­ne: Zur Ge­schich­te des Ap­fel­an­baus im Rhein­land. In Ke­ß­ler, Ca­ro­lin/Schür­mann, Tho­mas: Der Ap­fel. Kul­tur mit Stiel. Ehestorf 2014. S. 99-105.

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