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Von der Rodegabel zur Rübenmaus

Der Zuckerrübenanbau im Rheinland

Hoch mit Rüben beladene Anhänger und durch herabfallende Erde verschmutzte Landstraßen sind im Herbst bis heute ein vertrauter Anblick im Rheinland. Der Zuckerrübenanbau hat hier seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine herausragende wirtschaftliche Bedeutung, obwohl sie von der Aussaat im Frühling bis zur Ernte im Herbst lange zu den kraft- und zeitintensivsten Anbauweisen in der Landwirtschaft gehörte.

Die Anfänge der Zuckerrübe

Unkrautschneider für den Rübenbau, ca. 1900-1939.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Zwar wur­den im Rhein­land be­reits An­fang des 19. Jahr­hun­derts Rü­ben zur Zu­cker- und Rü­ben­kraut­ge­win­nung an­ge­baut, der ho­he Hand­ar­beits­auf­wand mit vie­len Ar­beits­kräf­ten und ge­rin­ger Zu­cker­ge­halt der Rü­ben mach­ten den An­bau je­doch un­at­trak­tiv. Erst die Wei­ter­ent­wick­lung von Ar­beits­ge­rä­ten so­wie Saat­gut und Un­kraut­ver­nich­tungs­me­tho­den sorg­te für Ar­beits­er­leich­te­rung und stei­ger­te die Ern­te­er­trä­ge. Wäh­rend um 1860 nur 3.000 Hekt­ar der rhei­ni­schen Äcker dem Zu­cker­rü­ben­an­bau dien­ten, wa­ren es um 1900 be­reits et­wa 28.000, die sich auf An­bau­ge­bie­te um Köln, Düs­sel­dorf, Aa­chen und am Nie­der­rhein er­streck­ten. Der An­bau wirk­te sich po­si­tiv auf die Frucht­bar­keit der Bö­den aus, da er die bis­he­ri­ge Frucht­fol­ge von Ge­trei­de und Fut­ter­mit­teln auf­lo­cker­te. Rü­ben­fel­der ver­spra­chen ei­nen grö­ße­ren Ern­te­er­trag als et­wa der wit­te­rungs­an­fäl­li­ge­re Ge­trei­de­an­bau. Rü­ben­blät­ter dien­ten au­ßer­dem als Fut­ter­grund­la­ge für Milch­vieh, des­sen Be­stand die Land­wir­te er­hö­hen konn­ten. Der Stall­mist wie­der­um war für die In­ten­siv­kul­tur Zu­cker­rü­be not­wen­dig. Mit der zu­neh­men­den Nut­zung der Zu­cker­rü­be zur Zu­cker­ge­win­nung wur­de der Markt un­ab­hän­gig von teu­ren Im­por­ten von Rohr­zu­cker, die Kon­junk­tur von Süß­wa­ren, und die Mas­sen­pro­duk­ti­on von Zu­cker für die Le­bens­mit­tel­in­dus­trie ist die Fol­ge.

Harte Handarbeit

Vorratsdose für Zucker, ca. 1900-1930.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Bis um 1900 war rei­ne Hand­ar­beit vor­herr­schend. Man ern­te­te die Rü­ben mit ei­ner Ro­de­ga­bel, um sie an­schlie­ßend mit Hau­mes­sern von ih­ren Blät­tern zu be­frei­en. Im Zu­ge des Ers­ten Welt­kriegs sank der An­bau auf­grund von Ar­beits­kräf­te- und Ma­te­ri­al­man­gel fast auf die Hälf­te ab, da zur Ver­sor­gung der Be­völ­ke­rung die Pro­duk­ti­on der Grund­nah­rungs­mit­tel Ge­trei­de, Kar­tof­feln, Fleisch und Milch im Vor­der­grund stand. Im Lau­fe der Kriegs­jah­re stieg der Be­darf nach Zu­cker­rü­ben je­doch wie­der, da Rü­ben­kraut zu­neh­mend als Sur­ro­gat un­ter an­de­rem für But­ter als Brot­auf­strich dien­te.

Das Pommritzer Verfahren

Vertreterprospekt, u. a. für Rübenschneider, um 1930.

Durch Och­sen oder Kalt­blü­ter ge­zo­ge­ne Ro­de­pflü­ge lös­ten die Ro­de­ga­bel zwar all­mäh­lich ab, erst das 1922 ein­ge­führ­te „Pomm­rit­zer Ver­fah­ren“ stell­te je­doch ei­ne wirk­li­che Ar­beits­er­leich­te­rung dar und sorg­te für ei­ne bis zu zehn­fa­che Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung. Hier­bei wur­den die Rü­ben noch im Bo­den mit Köpf­schlit­ten von den Blät­tern be­freit und erst dann ge­ern­tet. Durch die Ver­bil­li­gung der Ar­grar­tech­nik zwi­schen 1924 und 1929 konn­ten sich – teil­wei­se mit staat­li­cher Un­ter­stüt­zung – im­mer mehr klei­ne­re Be­trei­be tech­ni­sche Ge­rä­te leis­ten. Ro­de­pflug und Köpf­schlit­ten blie­ben vor al­lem in Fa­mi­li­en­be­trie­ben lan­ge die ein­zi­ge tech­ni­sche Ern­te­u­n­ter­stüt­zung.

Der Zweite Weltkrieg

Rübenschlitten aus Metall, Lich-Steinstraß 1977.

Ab 1933 in­ten­si­vier­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten den Zu­cker­rü­ben­an­bau wei­ter, der wie die üb­ri­ge Land­wirt­schaft nun vom Reichs­nähr­stand kon­trol­liert wur­de, der ei­ne Le­bens­mit­tel­aut­ar­kie Deutsch­lands an­streb­te. Die Zahl der Rü­ben­bau­ern wuchs im Rhein­land auf 14.000, die Grö­ße der An­bau­flä­chen bis 1940 auf 38.000 Hekt­ar. Mit Kriegs­be­ginn stell­ten die Land­ma­schi­nen­fa­bri­ken und Dün­ge­mit­tel­her­stel­ler auf Kriegs­tech­nik um, was zu ei­nem Rück­gang der Rü­ben­an­bau­flä­chen auf 13.000 Hekt­ar führ­te.
Trotz im Krieg zer­stör­ter Be­triebs­stät­ten und Fel­der, wur­de der An­bau von Rü­ben zur Be­kämp­fung der Le­bens­mit­tel­knapp­heit schnell wie­der auf­ge­nom­men. Auch wenn das Vor­kriegs­ni­veau be­reits 1946 fast wie­der er­reicht war, fie­len die Er­trä­ge und der Zu­cker­ge­halt auf­grund feh­len­den Dün­gers und gu­ten Saat­guts eher ge­ring aus. Die Rü­ben wur­den we­ni­ger für Zu­cker als für Rü­ben­kraut, Mus oder als Vieh­fut­ter ver­wen­det.

Unkrautbekämpfung

Zwei Frauen sammeln Runkelrüben von einem Feld auf, die zuvor von einem Roder aus dem Boden gehoben wurden, Mayen-Kehrig 1958.
Foto: Josef Ruland/LVR

Noch um 1950 mach­te das Ver­ein­zeln der jun­gen Rü­ben­pflan­zen so­wie die Un­kraut­be­sei­ti­gung ei­nen Gro­ß­teil des Ar­beits­auf­wands aus, den erst die Er­fin­dung von Sa­at­ma­schi­nen, die das Saat­gut in gleich­mä­ßi­gen Ab­stän­den aus­sä­ten, um die Hälf­te re­du­zier­te. Statt in der Ho­cke oder auf Kni­en, konn­ten die nun in Rei­hen wach­sen­den Pflan­zen mit lang­stie­li­gen Ha­cken ver­ein­zelt wer­den. Das Ver­zie­hen wur­de im Lau­fe der 1950er Jah­re durch tech­ni­schen und züch­te­ri­schen Fort­schritt un­nö­tig, da statt der Sa­men­bün­del ein­zel­ne Saat­kör­ner aus­ge­sät wer­den konn­ten. Bes­se­re Hack­ma­schi­nen und die Ent­wick­lung von Un­kraut­be­kämp­fungs­mit­teln re­du­zier­ten den Zeit- und Ar­beits­kräf­te­auf­wand ab Mit­te der 1960er Jah­re wei­ter. Ab En­de der 1980er Jah­re wa­ren so­gar gar kei­ne Hack­ma­schi­nen mehr not­wen­dig. Die eben­falls ab den 1960er Jah­ren ein­ge­setz­ten Bun­ker­köpf­ro­dern, die das Köp­fen, Ro­den, Vor­rei­ni­gen und Auf­sam­meln der Rü­ben in ei­ner Ma­schi­ne ver­ein­ten, nah­men der Ern­te den gro­ßen Zeit­druck. En­de der 1980er Jah­re wur­den sie auf 80% der rhei­ni­schen Zu­cker­rü­ben­an­bau­flä­chen ein­ge­setzt. Die um 1990 ein­ge­führ­ten Rü­ben­rei­ni­gungs­la­der, auch Rü­ben­maus ge­nannt, rei­ni­gen und ver­la­den die nach der Ern­te in lan­gen Mie­ten am Feld­rand ab­ge­leg­ten Rü­ben auf be­reit­ste­hen­de Fahr­zeu­ge, mit de­nen sie so­fort zur Zu­cker­fa­brik ge­bracht wer­den kön­nen.

Vollautomatisiereter Betrieb

Befüllen einer Sämaschine mit Rübensaatgut, Moers 1980-2000.
Foto: Wolfgang Schiffer/LVR

Ein rhei­ni­scher Rü­ben­an­bau­be­trieb be­wirt­schaf­te­te En­de der 1990er Jah­re durch­schnitt­lich 7 bis 9 Hekt­ar mit ei­nem Er­trag von 50 Ton­nen pro Hekt­ar. Die Ma­schi­nen wer­den auf­grund der ho­hen An­schaf­fungs­kos­ten und kur­zen Ein­satz­zei­ten meist über­be­trieb­lich ge­nutzt. In der Zeit zwi­schen 1900 und 2000 hat sich der Ar­beits­auf­wand durch den Ein­satz mo­der­ner Ma­schi­nen von 250 auf nur 2,5 Ar­beits­stun­den pro Hekt­ar re­du­ziert, wäh­rend sich die Zu­cker­pro­duk­ti­on von 50.000 auf 520.000 Ton­nen stei­ger­te. Die Ra­tio­na­li­sie­rung der Ar­beits­schrit­te sorg­te für ei­ne zu­neh­men­de Preis­sen­kung der Rü­ben, so­dass Zu­cker heu­te kein Lu­xus­gut mehr, son­dern für je­den er­schwing­lich ist.

Weiterführende Literatur:

Pe­ter Joeri­ßen; Ri­ta Wag­ner (Hrsg.): Sü­ßes Rhein­land. Zur Kul­tur­ge­schich­te des Zu­ckers. Bonn 1998.

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