Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren, lassen sich an Hedwig W.s Leben und dem ihrer Familie die Veränderungen in der Landwirtschaft nachvollziehen, von denen viele kleine Höfe im ländlichen Raum betroffen waren.
Ein Hof zu Beginn des 20. Jahrhunderts
1980 zeigte die 75-Jährige Hedwig W. als Hauptdarstellerin des Dokumentarfilms "Futterholen mit dem Krauttuch" eine der Aufgaben, für die sie als junge Frau zuständig war. Sie stammte aus der kleinen Ortschaft Kürten-Busch im Bergischen Land, wo die meisten Bewohner bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Landwirtschaft tätig waren. Bereits als Kind übernahm Hedwig W. Aufgaben auf dem elterlichen Hof. Neben der alltäglichen Hilfe mussten die Kinder aus Landwirtsfamilien besonders zur Erntezeit, in ihren Sommerferien, die anfallenden Arbeiten mittragen.
Selbstversorgung
Wie viele der kleinen Höfe der Bergischen Region, besaß auch der Hof von Familie W. als kleinbäuerlicher Betrieb bis in die 1930er Jahre nie mehr als fünf Kühe und vier Jungtiere sowie zwei bis drei Mastschweine. Etwa 20 Hühner ergänzten den Viehbestand. Andere Familien hielten dazu auch Kaninchen oder Ziegen. Die Tiere dienten zur Selbstversorgung mit Milch, Fleisch und Eiern. Überschüsse wurden verkauft. Familie W. besaß 30 Morgen Land (das entspricht etwa sieben Hektar), von denen zehn als Weide für das Milchvieh dienten, während sie zehn Morgen als Wiese zur Heugewinnung für die Versorgung der Tiere im Winter und die verbleibenden zehn als Ackerland nutzte. Der Acker versorgte die Hofbewohner mit Kartoffeln, Roggen und Hafer, eine für die Region typische Nutzung, da durch das raue Klima andere, anspruchsvollere Getreidesorten wie Weizen nicht gediehen.
Zusätzliche Futterquellen
Für die tägliche Fütterung der Tiere mit frischem Gras reichte bei vielen Kleinbauern jedoch die Weide nicht aus. Daher war es im Sommer üblich, zur Zufütterung gemähtes Gras und andere Grünpflanzen zu nutzen, die an Hängen und Wegrändern wuchsen. Diese Flächen konnten für landwirtschaftliche Zwecke nicht anderweitig genutzt werden und die Nutzungsrechte zur Futtergewinnung wurden von der Gemeinde an die Bauern verpachtet. Das Futterholen gehörte zu Hedwig W.s Aufgaben, da ihr Mann auf einem der größeren Höfe der Nachbarschaft als Tagelöhner beschäftigt war, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Doch auch in anderen Familien holten die Frauen das Gras. Zum Transport wurde es in ein Tuch eingebunden, das "Krauttuch", und auf dem Kopf oder über der Schulter in den Stall transportiert. Um genügend Gras für die vier bis fünf Milchkühe sowie einige Rinder und Kälber zu sammeln, musste Frau W. etwa vier- bis fünfmal täglich frisches Futter holen. Dies war bei einer Dauer von einer halben Stunde pro Gang eine zeitintensive Aufgabe, bei der die Frauen oft von einem ihrer Kinder unterstützt wurden. Diese Vorgehensweise war in Kürten-Busch noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitet. In anderen Orten wurde auch die Kuh zum Gras gebracht statt das Gras zur Kuh: die Tiere wurden an den Wegen entlang "spazieren geführt", so dass sie sich ihr Futter hier selbst suchen konnten.
Strukturelle Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg
Zur Zeit der Dreharbeiten waren solche und andere schweren manuellen Tätigkeiten längst von Maschinen übernommen und der Hof an die nächste Generation übergeben worden. Hedwig W.s Sohn Hermann Josef führte den Hof bereits seit den 1960er Jahren. Der Einsatz moderner Technik erlaubte ihm einen Ausbau und eine Spezialisierung auf Milchviehhaltung. Da im Bergischen Land aufgrund der Bodenverhältnisse und klimatischen Bedingungen Grünland über Ackerland überwiegt, konzentrierten sich viele Höfe auf die Viehwirtschaft. Dies wurde ab den 1950er Jahren durch staatliche Subvention in Form festgelegter Milchpreise gefördert.
Der Bestand der Familie W. war 1980 auf 25 Kühe, 25 Jungtiere und 60 Morgen Land angewachsen, von denen 30 von einem Bauern zugepachtet wurden, der seinen Hof aufgegeben hatte. Hermann Josef W. vergrößerte 1965 das ursprünglich Ende des 18. Jahrhunderts errichtete Stallgebäude, in dem nun 30 Milchkühe und acht Rinder Platz fanden. Den Sommer über lebten die Tiere auf der Weide. Im Zuge der Modernisierung stattete die Familie den Stall mit einer Milchkammer, Melkmaschine, Milchkühlanlage, automatischen Tränke und einem über dem Stall liegenden Bergeraum für Heu und Stroh aus. Der Einsatz moderner Maschinen ermöglichte es, das gestiegene tägliche Arbeitspensum mit einer geringeren Personenanzahl zu erledigen.
Aufgabe des Hofes
Die Einführung der Milchquote, d.h. staatlich festgesetzte Höchstwerte für die Milchproduktion, machte der Familie W. jedoch zu schaffen. Die Preise für Milch blieben durch die staatlichen Regelungen stabil, die allgemeinen Lebenshaltungskosten sowie die Kosten für moderne Maschinen stiegen jedoch kontinuierlich. Um 1990 entschloss sich die Familie zur Aufgabe des Hofes, da die Erträge den Lebensunterhalt kaum noch sichern konnten. Eine weitere Modernisierung zur Erhöhung der Produktion hätten hohe finanzielle Investitionen erfordert, die jedoch nicht zwangsläufig einen Erfolg garantiert hätten. Das Stallgebäude ist einem Wohnhaus für sechs Parteien gewichen. Das alte Wohnhaus blieb erhalten und wird vermietet. Familie W. selbst bewohnt einen Teil des Neubaus, der an moderne Lebensstandards angepasst ist. Das zum Hof gehörende Land wurde zunächst an andere Landwirte verpachtet und schließlich verkauft.