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Von der Nische in den Discounter?

Ökologische Landwirtschaft

In Supermärkten und Discountern sind Lebensmittel mit einem Bio-Siegel inzwischen ein vertrautes Bild. Sie alle vereint die nachhaltige Erzeugung, die sich durch den Anbau geeigneter Fruchtfolgen, den Verzicht auf chemischen oder synthetischen Pflanzenschutz und mineralische Dünger, einen an die Hoffläche gebundenen Viehbesatz, die Nutzung hofeigenen Futters und den weitgehenden Verzicht auf Antibiotika auszeichnet. Die Entwicklung einer nachhaltigen Sichtweise auf die Landwirtschaft ist aber kein Phänomen der letzten Jahrzehnte. Die Grundsätze einer ökologischen Landwirtschaft gibt es bereits deutlich länger.

Erste Ansätze zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Gummibereifter, einachsiger Wagen mit Fass zum Verspritzen von Pflanzenschutzmitteln, fotografiert in Bornheim-Merten 2005.
Foto: Peter Weber/LVR

In der Landwirtschaft, speziell beim Obstanbau, wurde diese Art von Spritzen zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Als Pflanzenschutzmittel verwendete man Lösungen aus Schwefel, Eisen und anderen chemischen Elementen, erstes Viertel 20. Jahrhundert.
Foto: Vera Tönsfeldt/LVR

Um 1900 war der Raub­bau an na­tür­li­chen Res­sour­cen schon deut­lich spür­bar, ins­be­son­de­re durch den mas­si­ven Ein­satz von mi­ne­ra­li­schem Dün­ger und Pes­ti­zi­den in Kom­bi­na­ti­on mit dem öko­no­mi­schen Zwang zu Ra­tio­na­li­sie­rung und Pro­duk­ti­ons­stei­ge­run­gen. Im Kon­text die­ser Ent­wick­lun­gen fo­kus­sier­ten Be­we­gun­gen wie An­thro­po­so­phie und Le­bens­re­form neue An­sät­ze. Sie ver­such­ten, stär­ker im Ein­klang mit der Na­tur zu ar­bei­ten, als die Er­trä­ge im­mer wei­ter zu stei­gern.

Anthroposophie und Lebensreform

Radieschenpflanzen und Körbe mit bereits geernteten Radieschen auf dem Feld eines Biobauern, Bornheim 2014.
Foto: Stefan Arendt/LVR

Die von der an­thro­po­so­phi­schen Leh­re Ru­dolf Stei­ners ge­präg­te „bio­lo­gisch-dy­na­mi­sche Wirt­schafts­wei­se“ be­ruht in ers­ter Li­nie auf ide­el­len Prin­zi­pi­en. Der Be­trieb wird als Or­ga­nis­mus ver­stan­den, der auch kos­mi­schen Ein­flüs­sen un­ter­steht. Im Lau­fe der Zeit wur­den wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nis­se in die Leh­re der bio­lo­gisch-dy­na­mi­schen Wirt­schafts­wei­se in­te­griert. Der Dach­ver­band die­ser Be­trie­be ist bis heu­te „de­me­ter“. Die Le­bens­re­form­be­we­gung ziel­te zeit­gleich vor dem Hin­ter­grund von In­dus­tria­li­sie­rung und Ur­ba­ni­sie­rung auf ei­ne na­tur­ge­mä­ße ganz­heit­li­che Le­bens­wei­se ab. Selbst­ver­sor­gung und Ver­zicht auf in­dus­tri­el­le Hilfs­mit­tel gal­ten als sinn­vol­le Maß­nah­men. Aus die­sem Ge­dan­ken­ge­rüst ent­wi­ckel­te sich der „Na­tür­li­che Land­bau“, der von Ewald Kö­ne­mann ab 1925 wei­ter­ent­wi­ckelt und in den 1950er Jah­ren durch die Schwei­zer Hei­mat­schutz­be­we­gung wie­der auf­ge­grif­fen wur­de. Zu­nächst lag da­bei der Fo­kus auf dem Schutz von Schöp­fung und Fa­mi­lie, spä­ter er­wei­ter­ten wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nis­se die­se land­wirt­schaft­li­che Rich­tung. Die­ser An­satz sprach auch Land­wir­te an, de­nen ethi­sche und ge­sund­heit­li­che Fra­gen wich­tig wa­ren, die aber mit der An­thro­po­so­phie ei­nes Ru­dolf Stei­ners kei­ne Be­rüh­rungs­punk­te hat­ten. Die Ver­brei­tung in Deutsch­land er­folg­te ab den 1960er Jah­ren. Aus dem Ver­band or­ga­nisch-bio­lo­gi­schen Land­bau wur­de 1971 der bis heu­te be­kann­te Ver­band „bio­lan­d“.

Ökologische Landwirtschaft im gesamtgesellschaftlichen Fokus

Heft
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Das Heft 1982 veröffentlichte Heft informiert über die Bedeutung der Biene für die Ökologie des Menschen und spricht sich für einen artgerechten Pflanzenschutz aus.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Wei­te­re Ver­bän­de ka­men hin­zu, die sich 1988 in der Ar­beits­ge­mein­schaft Öko­lo­gi­scher Land­bau (AG­ÖL) zu­sam­men­schlos­sen, die auch die po­li­ti­sche In­ter­es­sen­ver­tre­tung wahr­nahm – 2002 er­setzt durch den Bund öko­lo­gi­sche Le­bens­mit­tel­wirt­schaft (BÖWL), in dem ne­ben den Pro­du­zen­ten nun auch Ver­ar­bei­tungs­be­trie­be und der Han­del in­te­griert sind.
Seit den 1970ern rück­ten die­se öko­lo­gi­schen An­sät­ze in der Land­wirt­schaft durch das En­ga­ge­ment von Um­welt­schüt­zern in den ge­samt­ge­sell­schaft­li­chen Fo­kus. Auch ge­samt­ge­sell­schaft­lich wur­de die Knapp­heit von Res­sour­cen zu ei­nem wich­ti­gen The­ma, da­mit ge­riet auch die kon­ven­tio­nel­le Land­wirt­schaft in das Vi­sier der Na­tur­schüt­zer. Der Staat griff die Um­welt­be­stre­bun­gen erst re­la­tiv spät auf. Das lag un­ter an­de­rem dar­an, dass der Na­tur­schutz ein Res­sort des Mi­nis­te­ri­ums für Land­wirt­schaft, Er­näh­rung und Fors­ten war. Staat­li­che Um­welt­schutz­maß­nah­men, die über kul­tur­po­li­ti­sche As­pek­te hin­aus­gin­gen, setz­ten erst in den frü­hen 1980er Jah­ren ein. Par­al­lel da­zu wan­del­te sich die EG-Agrar­po­li­tik in den 1980er Jah­ren. Die zu­neh­men­de Welt­markt­in­te­gra­ti­on und der da­mit ver­bun­de­ne Über­schuss an Pro­duk­ten führ­ten zu ei­ner För­der­kul­tur, die Be­gren­zung von Pro­duk­ti­on ho­no­rier­te, bis hin zur Still­le­gung von Flä­chen. Da­mit wur­de ein öko­lo­gi­sches, we­ni­ger auf ma­xi­ma­le Er­trä­ge aus­ge­rich­te­tes Land­wirt­schaf­ten er­leich­tert.
Auch Be­trie­be, die nicht auf öko­lo­gi­sches Wirt­schaf­ten um­stie­gen, über­nah­men Kon­zep­te, die in Tei­len an die Voll­er­werbs­hö­fe im Fa­mi­li­en­be­trieb an­schlie­ßen: sie er­wei­ter­ten ih­re Pro­duk­ti­on wie­der hin zu mehr Viel­falt, ver­trie­ben min­des­tens ei­nen Teil der Pro­duk­te im ei­ge­nen Hof­la­den. Und sie schlos­sen sich zu Ge­nos­sen­schaf­ten zu­sam­men, um sich et­wa gro­ße Ge­rä­te ge­mein­sam an­schaf­fen zu kön­nen.

Agrarwende in Deutschland?

Die Rindfleisch-Etikettierung wurde auf Grund der Tierseuche BSE eingeführt, 1998.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Land­wirt­schaft­li­che Kri­sen wie die Rin­der­seu­che BSE stürz­ten die kon­ven­tio­nel­le Land­wirt­schaft in den 1990er Jah­ren in ei­ne tie­fe Image­kri­se. 2001 wur­de ei­ne Agrar­wen­de mit ei­ner Ab­kehr von ei­nem rei­nen Wachs­tums­pfad in der Land­wirt­schaft, hin zu mehr öko­lo­gi­schem Land­bau zur Leit­li­nie der deut­schen Par­tei­po­li­tik. 2015 gab es in Deutsch­land 24.736 Öko­be­trie­be, ei­ne Flä­che von 1.088.838 Hekt­ar wur­de öko­lo­gisch be­wirt­schaf­tet. Das sind 8,7 Pro­zent al­ler deut­schen land­wirt­schaft­li­chen Be­trie­be und ei­ne Flä­che von nur 6,5 Pro­zent der ge­sam­ten land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­che. Die Quo­te der Flä­che hat sich von 2,1 Pro­zent 1996 auf 6,5 Pro­zent 2015 jähr­lich ge­stei­gert, die der Be­triebs­zah­len so­gar von 1,3 Pro­zent auf 8,7 Pro­zent. Die Bun­des­re­gie­rung will noch ei­nen hö­he­ren An­teil er­rei­chen. In der Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie aus dem Jahr 2016 spricht sie von ei­nem Ziel von 20 Pro­zent Öko­land­bau „in den nächs­ten Jah­ren“.

Ökologische Landwirtschaft als Mainstream?

Einkaufsratgeber, in dem detaillierte Einkaufs- und Verarbeitunshinweise und -tipps für alle möglichen Arten von Lebensmitteln, Lebensmittelkennzeichnungen, die gesetzlichen Regelungen zu diesem Thema und die Haltbarkeit vorgestellt werden, 1996.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Wenn wir heu­te in den Su­per­markt ge­hen, so be­geg­nen uns dort wie auch im Dis­coun­ter An­ge­bo­te mit Bio-La­bels. Der Ab­satz­markt für „Öko“ im Le­bens­mit­tel­ein­zel­han­del steigt so­wohl in ei­ge­nen Bio­la­den-Ket­ten als auch in den kon­ven­tio­nel­len Su­per­märk­ten. Den­noch ist der Markt­an­teil wei­ter­hin re­la­tiv ge­ring, nur ei­ne be­stimm­te Grup­pe von Ver­brau­chern kauft re­gel­mä­ßig Le­bens­mit­tel in Bio-Qua­li­tät: Je­ne, die sich be­wusst er­näh­ren, po­li­tisch in­for­miert han­deln und die auch über das öko­no­mi­sche Ka­pi­tal ver­fü­gen, ent­spre­chend hö­he­re Prei­se zu zah­len.
Die ers­ten Bio-Bau­ern­hö­fe ha­ben mitt­ler­wei­le den ers­ten Ge­ne­ra­ti­ons­wech­sel hin­ter sich ge­bracht, die Pio­nie­re der 1970er und 1980er Jah­re set­zen sich ver­stärkt zur Ru­he und ge­ben ih­re Be­trie­be an jün­ge­re Land­wir­te wei­ter, die sich oft schon vor dem Stu­di­um der Agrar­wis­sen­schaft ent­schie­den ha­ben, in Zu­kunft in Bio-Qua­li­tät zu pro­du­zie­ren. Sie tref­fen auf ei­nen fes­ten Ab­neh­mer-Kreis, der die re­gio­na­len Pro­duk­te ger­ne an­nimmt. Den­noch ist Deutsch­land heu­te auf den Im­port von Bio-Le­bens­mit­teln an­ge­wie­sen, der Be­darf kann nicht durch die ei­ge­ne Pro­duk­ti­on ge­deckt wer­den. Die ver­schie­de­nen La­bel mit ih­ren un­ter­schied­lich stren­gen An­for­de­run­gen an die Land­wirt­schaft ma­chen es zu­dem manch­mal schwer, den Über­blick zu be­hal­ten.

Weiterführende Literatur

Ditt, Karl: Zwi­schen Markt, Agrar­po­li­tik und Um­welt­schutz: Die deut­sche Land­wirt­schaft und ih­re Ein­flüs­se auf Na­tur und Land­schaft im 20. Jahr­hun­dert. In: Ders.; Gu­der­mann, Ri­ta; Rü­ße, Nor­wich (Hrsg.): Agrar­mo­der­ni­sie­rung und öko­lo­gi­sche Fol­gen. West­fa­len vom 18. bis zum 20. Jahr­hun­dert. Pa­der­born 2001.

Klu­ge, Ul­rich: Agrar­wirt­schaft und länd­li­che Ge­sell­schaft im 20. Jahr­hun­dert. En­zy­klo­pä­die deut­scher Ge­schich­te Band 73. Mün­chen 2005.

BMEL (Hrsg.): Öko­lo­gi­scher Land­bau in Deutsch­land, Stand Ja­nu­ar 2017

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