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Die Landwirtschaft und das „liebe Vieh“

Der Wandel der Nutztierhaltung

Bei der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Rheinland gibt es weit mehr Ackerflächen zum Anbau von Getreide als Weiden und Wiesen. Zudem dienen nicht alle diese Grünflächen ausschließlich der Beweidung durch Tiere. Trotzdem spielt die Viehhaltung im Rheinland seit dem 19. Jahrhundert nicht nur für den Eigenbedarf, sondern auch aus ökonomischen Gründen eine wichtige Rolle. Neben Schweinen, Hühnern und Gänsen ist es vor allem das Rind, das auf vielfältige Weise in der Landwirtschaft zum Einsatz kam und noch heute für viele rheinische Landwirte die Existenzgrundlage als Milch- oder Fleischlieferant bildet. Die Art der Unterbringung, die Versorgung der Tiere, die Nutzung und schließlich das Rind selbst haben dabei im Laufe des 20. Jahrhunderts starke Veränderungen erfahren.

Vom Mehrnutzungsrind zum spezialisierten Milchvieh

Glanrind als Zugtier bei einem Ernteumzug, Mechernich 1970-1980.
Foto: Karl Guthausen/LVR

Hölzernes Genickdoppeljoch für Rinder, mit Deichseljochriemen und einer U-förmigen Deichselaufhängung aus Eisen, 19. Jahrhundert.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Bis weit in das 20. Jahr­hun­dert hin­ein war das Rind nicht nur ein an das Joch­ge­schirr an­ge­spann­tes Zug­tier und ein Fleisch- so­wie Milch­lie­fe­rant. Sein Dung wur­de auf den Äckern be­nö­tigt, die Haut zu Le­der ver­ar­bei­tet, das Horn dien­te als Be­häl­ter für Wetz­stei­ne, Talg bzw. Kno­chen­fett kam bei der Sei­fen­her­stel­lung zum Ein­satz und so­gar die spär­li­chen Haa­re wur­den als Pols­ter­ma­te­ri­al für das Joch­ge­schirr ver­wen­det. Ei­ne be­deu­ten­de Rin­der­ras­se im Rhein­land war bis et­wa zur Mit­te des 20. Jahr­hun­derts das Glan-Don­ners­ber­ger Rind, das ne­ben sei­ner gu­ten Milch­leis­tung auch her­vor­ra­gend als Ar­beits­tier fun­gier­te, wie es sonst nur die kräf­ti­gen Kalt­blut­pfer­de ta­ten.
Dien­te das dem rau­en Ei­fel­kli­ma aus­ge­setz­te und auf kal­ten und kar­gen Wie­sen fris­ten­de klei­ne Haus­rind mit sei­ner schwäch­li­chen Kon­sti­tu­ti­on höchs­tens der Selbst­ver­sor­gung, pro­du­zier­ten die spä­ter ein­ge­setz­ten Glan-Don­ners­ber­ger Rin­der seit En­de des 19. Jahr­hun­derts Milch­über­schüs­se, die sich ver­mark­ten lie­ßen. Zu­dem war die­ses Mehr­nut­zungs­rind mit sei­ner Wi­der­stands­fä­hig­keit und Ge­nüg­sam­keit ide­al an­ge­passt an die zum Teil an­spruchs­vol­len kli­ma­ti­schen und geo­gra­phi­schen Be­din­gun­gen, wie sie z. B. in der Ei­fel vor­herr­schen.
Mit dem Auf­kom­men und der flä­chen­de­cken­den Eta­blie­rung von mo­to­ri­sier­ten Zug­ma­schi­nen ab Mit­te des 20. Jahr­hun­derts ver­lor das Mehr­nut­zungs­rind an wirt­schaft­li­cher Be­deu­tung. Zu­dem reich­te die ei­gent­lich gu­te Milch­leis­tung die­ser Ras­se im­mer we­ni­ger aus, setz­te doch in et­wa zeit­gleich suk­zes­siv die Ten­denz zur Spe­zia­li­sie­rung in der Land­wirt­schaft ein. Die Kon­zen­tra­ti­on vie­ler Be­trie­be auf ei­ne rei­ne Milch­vieh­hal­tung führ­te zur ver­stärk­ten Züch­tung von Rin­der­ras­sen mit deut­lich er­höh­ter Milch­pro­duk­ti­on.

Milchwirtschaft als wichtiges Standbein der Landwirtschaft

Milchkühe auf einer Weide, Hellenthal-Udenbreth 1990.

Die Milch­vieh­hal­tung war be­son­ders in den Ge­bie­ten ver­brei­tet, in de­nen auf­grund der Bo­den­ver­hält­nis­se mehr Grün­land als Acker­flä­chen vor­han­den war. Da­zu zähl­ten im Rhein­land vor al­lem die Ei­fel und das Ber­gi­sche Land. Aber auch in den Land­krei­sen Bonn und Köln so­wie im Ruhr­ge­biet war der An­teil an Milch­vieh ver­hält­nis­mä­ßig hoch. Die­se Krei­se pro­fi­tier­ten durch ih­re Nä­he zu den Städ­ten von güns­ti­gen wirt­schaft­li­chen Vor­aus­set­zun­gen. Die In­dus­tria­li­sie­rung und das Be­völ­ke­rungs­wachs­tum hat­ten den Be­darf an Milch­pro­duk­ten seit dem En­de des 19. Jahr­hun­derts ge­stei­gert. Da­her war die Nach­fra­ge im städ­ti­schen Raum grund­sätz­lich grö­ßer als in den dünn be­sie­del­ten, länd­li­chen Ge­gen­den.
Ein Bau­ern­hof hielt um 1900 im Schnitt we­ni­ger als fünf Kü­he. Dar­über hin­aus er­gänz­ten die Men­schen ih­ren Be­darf an tie­ri­schen Pro­duk­ten häu­fig mit Klein­vieh wie Hüh­nern, Ka­nin­chen und Zie­gen. Mitt­ler­wei­le sind Be­stän­de von weit über 100 Kü­hen in ei­nem Be­trieb kei­ne Sel­ten­heit mehr. Da­bei wer­den die Milch und Milch­pro­duk­te aus dem Rhein­land nicht mehr nur re­gio­nal oder deutsch­land­weit ge­han­delt, son­dern in­ter­na­tio­nal, so dass et­wa Milch in Form von Milch­pul­ver von im Land­kreis Eus­kir­chen ge­hal­te­nen Kü­hen ih­ren Weg be­reits bis auf den afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent ge­fun­den hat.

Die Fleischproduktion gewinnt an Bedeutung

Schlachtreifes Schwein, Gemeinde Alpen um 1940.

In vie­len Haus­hal­ten kam Fleisch frü­her nur zu be­son­de­ren An­läs­sen auf den Tisch. Doch schon in den Jah­ren vor dem Ers­ten Welt­krieg nahm der Fleisch­kon­sum lang­sam zu. Mit dem Wirt­schafts­auf­schwung der 1950er Jah­re stieg auch das Pro-Kopf-Ein­kom­men in Deutsch­land an, so­dass sich mehr Men­schen re­gel­mä­ßig Fleisch leis­ten konn­ten. Die­sem Trend fol­gend, wech­sel­ten vie­le Land­wir­tin­nen und Land­wir­te vom Acker­bau zur Mast und so wie sich man­cher Groß­be­trieb auf Milch­vieh­hal­tung spe­zia­li­sier­te, re­du­zier­ten an­de­re ih­re Tier­hal­tung aus­schlie­ß­lich auf Rin­der für die Fleisch­pro­duk­ti­on, Hüh­ner oder Schwei­ne. Im Rhein­land er­lang­te ne­ben der Milch­wirt­schaft die Schwei­ne­mast be­son­de­re Be­deu­tung. Hier wuchs der Schwein­e­be­stand zwi­schen 1960 und 1990 auf das Dop­pel­te an. In ganz Nord­rhein-West­fa­len ver­grö­ßer­te er sich bis zum Jahr 2013 so­gar um das Sie­ben­fa­che. Die nörd­li­chen Krei­se Nord­rhein-West­fa­lens wie Bor­ken, Wa­ren­dorf und Coes­feld wa­ren die Spit­zen­rei­ter. Heu­te lie­gen die wich­tigs­ten Stand­or­te für die Schwei­ne­hal­tung al­ler­dings in den neu­en Bun­des­län­dern.

Vom dunklen Verschlag zum lichtdurchfluteten High-Tech-Stall

Milchkühe in einem Anbindestall, Hellenthal-Udenbreth 1990.

Metallkette mit doppelter Verlängerung zum Anbinden von Kühen und Bullen, 1. Hälfte 20. Jahrhundert.
Foto: Suzy Coppens/LVR

In An­bin­de­stäl­len sah man noch bis vor we­ni­gen Jahr­zehn­ten Rin­der, die mit so ge­nann­ten Kuh­ket­ten an Ort und Stel­le fi­xiert wa­ren. Vor al­lem in är­me­ren Re­gio­nen des Rhein­lan­des, wie et­wa der Ei­fel, wur­den die Tie­re da­mals oft in feuch­ten und dunk­len Stäl­len ge­hal­ten, wo sie in der ab­ge­stan­de­nen und mit Am­mo­ni­ak er­füll­ten Luft auf engs­tem Raum zu­sam­men­ge­pfercht da­hin­ve­ge­tie­ren muss­ten. Heu­te wer­den fast durch­weg Lauf­stäl­le ver­wen­det, in de­nen sich die Tie­re art­ge­rech­ter und frei­er be­we­gen kön­nen. Vie­le die­ser mo­der­nen Stäl­le sind zu­sätz­lich mit Schleu­sen ver­se­hen, in die au­to­ma­ti­sche Melk- und Füt­te­rungs­an­la­gen in­te­griert sind. Im Ge­gen­satz zum Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts sind Luft­aus­tausch, viel Licht so­wie der Ab­fluss des Dungs und Urins in die­sen Stäl­len heu­te gän­gi­ge Stan­dards. Ein Pro­blem in den Stäl­len sind hin­ge­gen oft noch die har­ten Bö­den aus Be­ton, auf de­nen die an wei­che Erd­ober­flä­chen an­ge­pass­ten Klau­en Schä­den da­von­tra­gen.

Heu, Gras und Kräuter vs. Kraftfutter

Mit Futterstampfern wurde in hölzernen Fässern das vor allem aus Kartoffeln und Rüben bestehende Viehfutter zerkleinert, 1. Hälfte 20. Jahrhundert.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Futterquetsche mit Kurbelantrieb, um 1900.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Wie die Stäl­le, so hat sich auch das Fut­ter im Lau­fe des letz­ten Jahr­hun­derts ge­wan­delt. Wich­tigs­te Be­stand­tei­le der Nah­rung wa­ren frü­her die Grä­ser und Kräu­ter auf den Wei­den und Wie­sen so­wie das dar­aus für den Win­ter her­ge­stell­te Heu. Ei­ne wei­te­re Fut­ter­quel­le, spe­zi­ell in der Win­ter­zeit, wa­ren Rü­ben, die zu­vor mit Stamp­fern oder Fut­ter­quet­schen zer­klei­nert wer­den muss­ten. Heut­zu­ta­ge sind Gras­si­la­ge bzw. an­de­re Grün­fut­ter­ar­ten, die durch Milch­säu­re­gä­rung halt­bar ge­macht wer­den, die Haupt­nah­rung für Rin­der. Dies liegt nicht zu­letzt dar­an, dass ak­tu­ell zwei Drit­tel al­ler Rin­der in der kon­ven­tio­nel­len Hal­tung kei­nen Wei­de­gang mehr be­kom­men, so dass ein Gra­sen auf Grün­flä­chen gar nicht mehr mög­lich ist. Bei­ge­mengt wird den Si­la­gen, ne­ben Heu und Schrot, auch be­son­ders nähr­stoff­rei­ches Kraft­fut­ter, das die Milch­leis­tung der Tie­re, die oh­ne­hin schon auf ei­nen enor­men Er­trag hin spe­zi­ell ge­züch­tet wer­den, zu­sätz­lich noch er­höht.
Lag die Milch­leis­tung ei­nes Rin­des in den 1920er Jah­ren noch bei 10 Li­tern pro Tag, so gibt es heu­te bis zu fünf­mal so­viel Milch. Nicht sel­ten al­ler­dings auf Kos­ten ei­nes über­stra­pa­zier­ten und ent­zün­de­ten Eu­ters, das die rie­si­ge Milch­men­ge kaum noch auf­neh­men kann, so wie ge­ne­rell die mo­der­ne Hoch­leis­tungs­kuh auf­grund ih­rer Über­züch­tung we­sent­lich krank­heits­an­fäl­li­ger ist. Zu­dem wer­den die Kü­he in den gro­ßen Zucht- und Melk­be­trie­ben nur et­wa fünf Jah­re alt, ob­wohl die Le­bens­er­war­tung ei­ner na­tür­li­chen Milch­kuh bei ca. 20 Jah­ren liegt.

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