Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Voraussetzungen für die Schulbildung besonders in den ländlichen Gebieten Deutschlands oft schlecht oder gar nicht gegeben. Dies galt auch für das Rheinland, das ab 1815 zum preußischen Staat gehörte. Zwar hatte die preußische Regierung schon 1717 die allgemeine Schulpflicht eingeführt, doch waren die Elementarschulen und deren Lehrer meist finanziell unterversorgt. Darüber hinaus war es vielen Familien aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage oder der großen räumlichen Entfernung nicht möglich, ihren Kindern den Schulbesuch zu erlauben.
Die Anfänge des landwirtschaftlichen Schulwesens im 19. Jahrhundert
Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts ließen die Schulbildung immer stärker in den Fokus der Politik rücken. Die beginnende Industrialisierung und der technische Fortschritt steigerten den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften in Industrie und Handwerk. Darüber hinaus sorgten hohe Geburtenraten ab 1820 für eine erhebliche Bevölkerungszunahme im Rheinland. Dementsprechend wurden die Förderung der Landwirtschaft und die Steigerung der Erträge immer wichtiger, um eine ausreichende Versorgung der Menschen mit Nahrung zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Ausbildung der künftigen Landwirte verbessert werden. Zu diesem Zweck entstanden in ganz Deutschland zahlreiche landwirtschaftliche Vereine. In der Rheinprovinz etwa wurde 1833 der landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen ins Leben gerufen. Dank seiner Initiative verbesserte sich das landwirtschaftliche Bildungswesen in den darauffolgenden Jahrzehnten wesentlich.
Bereits seit den 1830er Jahren existierten im Rheinland sogenannte Ackerbauschulen. Diese waren meist mit einem landwirtschaftlichen Betrieb verbunden und boten einen zweijährigen praktischen und theoretischen Unterricht für angehende Landwirte an. Da diese Schulen aber einen ganzjährigen Unterricht abhielten und nur wohlhabende Familien in der Lage waren, für die Dauer der Ausbildung auf die Mithilfe ihrer Söhne auf dem eigenen Hof zu verzichten, war der Andrang recht gering. Andernorts boten auch Wanderlehrer mit thematischen Vortragsreihen einen ersten Schritt zur beruflichen Fortbildung.
Die landwirtschaftlichen Winterschulen
Die landwirtschaftlichen Vereine erkannten die Unzulänglichkeit der Ackerbauschulen und begannen, auch im Auftrag der preußischen Regierung, mit der Einrichtung einer neuen Schulform, der sogenannten landwirtschaftlichen Winterschule. Diese sah einen durchgehenden Unterricht von November bis März vor, sodass die Schüler in den Sommermonaten im Betrieb ihrer Familien mitarbeiten konnten. Die einzige Aufnahmebedingung bestand im Abschluss der Elementarschule. Bei diesem Konzept waren der Staat und die Kommunen an der Finanzierung der Schulen mitbeteiligt. In der Anfangszeit standen vor allem Rechnen und Deutsch sowie Betriebslehre, Buchführung, Chemie, Physik, Bodenkunde, Pflanzenkunde und Tierzucht auf dem Lehrplan. Die Lehrtätigkeit übernahmen häufig frühere Wanderlehrer.
Die erste landwirtschaftliche Winterschule in der Rheinprovinz wurde 1870 in Sankt Wendel eröffnet, ein Jahr später folgte eine zweite in Simmern. 1875 entstand auch im Bergischen Land eine erste Winterschule in Gummersbach. Ihr Einzugsgebiet umfasste die Kreise Gummersbach, Waldbröl, Wipperfürth, Mühlheim am Rhein und den Siegkreis. Weitere Schulen entstanden 1879 in Wülfrath und 1888 in Lennep bei Remscheid sowie in Ratingen und Xanten. Im Jahr 1900 übernahm die Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz die Trägerschaft für die mittlerweile 29 Winterschulen im Rheinland. Später wurden sie Landwirtschaftsschulen genannt.
Ausbau des Bildungswesens im 20. Jahrhundert und das Bildungsangebot für Frauen
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen erfuhr das landwirtschaftliche Schulwesen einen enormen Aufschwung und auch die Schülerzahlen nahmen stetig zu. Die Erfahrungen der Hungerjahre und der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg ließen die Förderung der Landwirtschaft durch eine solide Berufsausbildung wichtiger denn je erscheinen. In der Weimarer Republik wurde somit erstmals auch die schulische Ausbildung junger Bäuerinnen systematisch gefördert. An diese Politik knüpfte auch das NS-Regime an. So existierten im Jahr 1940 rund 70 Landwirtschaftsschulen im Rheinland. Nach der Ausgliederung der Regierungsbezirke Koblenz und Trier waren es noch 42. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde an einem schnellen Wiederaufbau der Bildungsanstalten gearbeitet. Obwohl die Mehrheit der Schulgebäude teilweise oder ganz zerstört war, konnten im Schuljahr 1947/48 alle 42 Einrichtungen wieder in Betrieb genommen werden.
War der Schulbesuch im 19. Jahrhundert zunächst nur männlichen Schülern vorbehalten, führte die Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz 1925 die erste Mädchenklasse in Lennep ein. Kurz darauf folgten auch andere Schulen wie in Hennef und Lindlar diesem Beispiel. Die jungen Frauen erhielten Unterricht in Hauswirtschaftslehre sowie Kranken- und Säuglingspflege. Der Lehrplan enthielt aber auch landwirtschaftliche Fächer wie Viehhaltung, Gartenbau, Buchführung und Geschäftsverkehr. Trotzdem spiegelte sich im Aufbau und Ablauf der Ausbildung für Bäuerinnen die damalige Vorstellung der Rollenverteilung im landwirtschaftlichen Betrieb wider. Noch bis in die 1960er Jahre lagen die Schwerpunkte der Ausbildung im Bereich der familiären Aufgaben sowie der Ernährung und der Hausarbeit. Außerdem blieben die Mädchenklassen stets eine separate Einrichtung im Schulbetrieb, die von Hauswirtschaftslehrerinnen geleitet wurden. Erst mit dem Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 1969 wandelten sich der Ausbildungsweg und so auch das Berufsbild der Landwirtin zunehmend.
Die Entwicklung des Schulwesens seit 1950
Der Höhepunkt wurde Mitte der 1950er Jahre mit über 3000 Schülern im Gebiet der Landwirtschaftskammer Rheinland erreicht. Darunter befanden sich auch 800 Schülerinnen in insgesamt 36 Mädchenklassen. Mit dem Strukturwandel in der deutschen Landwirtschaft gingen jedoch die Schülerzahlen in den Folgejahren stetig zurück. Gleichzeitig wurden mit dem Berufsbildungsgesetz von 1969 die landwirtschaftlichen Bildungsangebote vereinheitlicht und dem allgemeinen schulischen Bildungssystem in Deutschland angepasst. Heute können angehende Landwirtinnen und Landwirte verschiedene Wege des Berufseinstiegs wählen. Ein erster Schritt ist die dreijährige Berufsausbildung zur Landwirtin oder zum Landwirt im dualen System an einem Berufskolleg und in einem Betrieb. Anschließend bestehen verschiedene Möglichkeiten der weiteren beruflichen Qualifikation, von der Weiterbildung zum staatlich geprüften Agrarbetriebswirt bis hin zum Hochschulstudium.
Weiterführende Literatur
Büschner, Karl: Entstehung und Entwicklung des landwirtschaftlichen Bildungswesens in Deutschland, Münster 1996.
Inhetveen, Heide; Blasche, Margret: Frauen in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Opladen 1983.
Majewski, Rut; Walther, Dorothea: Landfrauenalltag in Schleswig-Holstein im 20. Jahrhundert. (Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 32), Neumünster 1996.
Weber-Kellermann, Ingeborg: Landleben im 19. Jahrhundert. München 1987.
Uekötter, Frank: Die Wahrheit ist auf dem Feld. Eine Wissensgeschichte der deutschen Landwirtschaft, 2. Auflage, Göttingen 2012.