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Wenn die Kugeln wieder rollen – Der Schneemann als...

Der Schneemann wandelte sich im Laufe der Zeit vom personifizierten Winter hin zu einem lustigen Kinderfreund. Heute ist er ein beliebtes Winter- und Weihnachtsmotiv.

Der eisige weiße Mann

Kleine und große Schneemannfreuden
Foto: Sammlung Reisgen/20142106-065/Archiv des Alltags im Rheinland/LVR

Drei fes­te Schnee­ku­geln un­ter­schied­li­cher Grö­ße, ei­ne Ka­rot­te, ein Topf und ein Be­sen aus Rei­sig, viel­leicht noch Au­gen aus Koh­le­stü­cken oder Stein­chen – das sind die klas­si­schen Zu­ta­ten für den Bau ei­nes Schnee­manns. Und wahr­schein­lich hat fast je­der und je­de von uns schon ein­mal ei­nen ge­baut, als Kind viel­leicht, als die Win­ter nicht nur sub­jek­tiv auch bei uns schnee­rei­cher und käl­ter wa­ren. Heu­te be­ob­ach­ten ei­nen die Schnee­män­ner und (sel­ten) auch -frau­en eher von den Schei­ben an Ki­tas oder Kin­der­zim­mern, die dort mit Fin­ger­far­ben auf­ge­malt wur­den. Aber fällt dann mal Schnee, dann ma­chen sich die gro­ßen und klei­nen Bau­meis­ter an die Ar­beit. Vor al­lem 2021, dem ers­ten Co­ro­na-Win­ter, als der strik­te Lock­down Schu­len und Ki­tas ge­schlos­sen hielt, war die Freu­de über Schnee im Rhein­land groß! Fast pünkt­lich zum „Tag des Schnee­mann­s“ am 18. Ja­nu­ar fie­len hier die Schnee­flo­cken vom grau­em Win­ter­him­mel und brach­ten Ab­wechs­lung in die Co­ro­na-Tris­tesse. Und schnell sah man al­ler­orts Schnee­män­ner- und manch­mal, aber im­mer noch viel sel­te­ner auch Schnee­frau­en ent­ste­hen. Dem ge­sell­schaft­li­chen Trend und der au­gen­zwin­kern­den Ver­ar­bei­tung der pan­de­mi­schen Si­tua­ti­on fol­gend, häu­fig mit Mas­ke vor der Schnee­mann­na­se. Über­haupt ist der Schnee­mann kul­tur­his­to­risch in­ter­es­sant, kann man an ihm und sei­ner Ge­ne­se doch ge­sell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen ganz un­mit­tel­bar ab­le­sen.

Zu­nächst war der Schnee­mann der per­so­ni­fi­zier­te Win­ter, der in Ge­mäl­den und Bü­chern vi­sua­li­siert wur­de, eher als fins­te­re Fi­gur, denn als Kin­der­freund. Ei­ne Fi­gur, die ex­pli­zit als „Schnee­man­n“ be­zeich­net wird, taucht erst­mals 1770 in der Lie­der­samm­lung für Kin­der von Chris­ti­an Fe­lix Wei­ße, ei­nem da­mals über­aus be­kann­ten und er­folg­rei­chen Au­tor und ei­nem der Vor­rei­ter der deut­schen Kin­der- und Ju­gend­buch­li­te­ra­tur auf. In dem kur­zen Text mit dem Ti­tel „Schnee­man­n“ hei­ßt es:
„Der schö­ne Schnee­mann – eh wie groß! Ein rie­sen­mä­ßi­ger Ko­loss! Doch ach! Die lie­be Son­ne scheint, und er zer­rinnt, eh man`s ge­meint. Ihm gleicht ein eit­ler, lee­rer Kopf, von wei­tem glänzt der ar­me Tropf: Doch der Ver­stand be­leucht` ihn nur, so schmilzt die schim­mern­de Fi­gur.“ (Aus: Der Schnee­mann. Lie­der für Kin­der von Chris­ti­an Fe­lix Wei­ße, 1770).
Die Ver­gäng­lich­keit des Schnee­manns, die hier the­ma­ti­siert wird, macht viel­leicht auch sei­nen gro­ßen Reiz und sei­ne An­zie­hungs­kraft aus. Zu­nächst wur­den Ar­me und Bei­ne noch aus ei­nem Teil ge­formt und an­ge­setzt, dann setz­te sich die Drei­glie­de­rung durch.

Der Schneemann wird zum Kinderfreund

Schneemann mit Skiern auf der Piste
Foto: Sammlung Vahrenbrink (20141813-005/Archiv des Alltags im Rheinland)/LVR

Schnee­män­ner fan­den bald dar­auf ver­mehrt Ein­gang in Kin­der­bü­cher, die vor al­lem von bür­ger­li­chen Schich­ten kon­su­miert wur­den. Der Schnee­mann wur­de zum Kin­der­freud, meist lus­tig, hu­mor­voll re­zi­piert mit grin­sen­dem Mund und la­chen­den Au­gen. Ganz wun­der­bar pass­te er in die Er­zie­hungs­welt der bie­der­mei­er­li­chen Ge­sell­schaft und in ei­ne Zeit, als Schnee nicht mehr als be­droh­lich wahr­ge­nom­men wur­de. Im Ge­gen­teil, das Bür­ger­tum ent­deck­te das Rei­sen und auch die idyl­li­sche Win­ter­welt der Al­pen mit Ski­ern und Schlit­ten wur­de en vogue. En­de des 19. Jahr­hun­derts, als Post­kar­ten auch durch in­no­va­ti­ve Druck­tech­ni­ken und die Er­schlie­ßung neu­er Ver­kehrs­we­ge grö­ße­re Ver­brei­tung fan­den, ver­brei­te­te sich das Mo­tiv der wei­ßen Win­te­ridyl­le ra­pi­de und der Schnee­mann wur­de im­mer häu­fi­ger Teil da­von. Dies ist bis heu­te so ge­blie­ben. Dank Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit wird er im­mer häu­fi­ger zum win­ter­li­chen Sym­bol und zur jah­res­zeit­lich pas­sen­den De­ko­ra­ti­on von Weih­nachts­märk­ten, Schau­fens­tern oder Vor­gär­ten ge­nutzt – ob auf­ge­bla­sen oder als Kitsch­fi­gur.
Auch in mo­der­ne Spiel­wel­ten hat der wei­ße Ge­sell längst Ein­gang ge­fun­den: Play­mo­bil hat­te be­reits in den 1980er Jah­ren die schlit­ten­fah­ren­den Kin­der in­klu­si­ve Schnee­mann-Fi­gur mit Be­sen und Hut im Pro­gramm. Auch im Film taucht er im­mer wie­der auf – ob im Thril­ler The Snow­man von 2017 oder, et­was harm­lo­ser, als von der Eis­kö­ni­gin El­sa durch Ma­gie er­schaf­fe­ne, treu­her­zi­ge Fi­gur na­mens Olaf. Zum Tag des Schnee­manns wer­den sie al­le ge­fei­ert. Und für Kin­der war und ist es im­mer ei­ne Freu­de, wenn sie ih­ren wei­ßen Mann aus Schnee for­men und mit Schal, Hut oder eben auch Mas­ke aus­ge­stat­tet zum Le­ben er­we­cken kön­nen.

Literaturhinweise:

Gün­ther, Mai­ke/Har­tin­ger, An­selm (Hrsg.): Schnee… von ges­tern? Die Kul­tur­ge­schich­te des Win­ters in Leip­zig. Be­gleit­buch zur Son­der­aus­stel­lung im Stadt­ge­schicht­li­chen Mu­se­um Leip­zig 2021, Leip­zig 2021.

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