Spielzeug ist mehr als ein bloßer Zeitvertreib für Kinder. In Baukästen, Puppen und Gesellschaftsspielen drücken sich oftmals zeitgenössische Charakteristiken, Normen und Wunschvorstellungen der Menschen aus.
Kinderspiel und Spielzeug
Bis in das 20. Jahrhundert hinein fanden Kinderspiele vor allem im Freien statt. Das für spielerische Aktivitäten benötigte Gerät wurde von den Kindern oder Eltern meist selbst hergestellt, wie beispielsweise Bälle aus Wolle und Lumpen. Auch Alltagsgegenstände und Kleidungsstücke, wie etwa zu einem Schlitten umfunktionierte Holzschuhe, wurden als Spielgerät zweckentfremdet. Zudem kamen viele beliebte Kinderspiele wie Fangen oder Verstecken gänzlich ohne Spielmaterial aus. Gekauftes Spielzeug war für die allermeisten Kinder auf dem Land und im Arbeitermilieu ein begehrtes, aber ein für die Eltern nicht finanzbares Gut. Um 1900 war die Spielzeugproduktion noch ausschließlich für die Kinderzimmer des wohlsituierten Bürgertums gedacht.
Spielzeugproduktion
In Heimarbeit hergestellte Puppen aus Thüringen oder Blechspielzeug aus Nürnberg – Anfang des 20. Jahrhunderts war Deutschland mit regionalen Schwerpunktzentren weltweit der wichtigste und größte Produzent von Spielwaren aller Art. 1907 stellten 6.000 Betriebe mit über 30.000 Beschäftigten Holz- und Steinbaukästen, Puppen und Gesellschaftsspiele her. Brettspielklassiker wie „Halma“, das „Leiterspiel“ oder „Mensch ärgere dich nicht“ kamen um 1900 auf den Markt, als immer breitere Bevölkerungsschichten in den Städten über mehr Freizeit verfügten. Erst ab den 1920er Jahren, als auch in anderen Ländern die Spielzeugproduktion anstieg, verlor Deutschland seine Dominanz auf dem Spielzeugmarkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden im gesamten Spielzeugsektor revolutionäre Veränderungen statt. Ab den 1950er und 1960er Jahren begann der Siegeszug der aus Kunststoff produzierten Legosteine, die viele der bisherigen Baukästen aus Holz, Stein und Metall vom Markt verdrängten. Bei den Puppen eroberte ab 1964 „Barbie“ den deutschen Markt und transportierte den amerikanischen Lebensstil in Sachen Mode und Schönheitsideal in viele Kinderzimmer. Im Bereich der Gesellschaftsspiele ist ein Boom der Brettspiele ab den 1970er Jahren zu verzeichnen, als ein bis heute anhaltender Trend zu komplexeren Spielen mit thematisch unbegrenzter Vielfalt einsetzte. Ein neuer Sektor entstand im gleichen Jahrzehnt durch den Einsatz von Batterien und Computerchips. Mit den „Handheld-Konsolen“ wurde ein Spielzeug entworfen, das keine Spielpartner mehr verlangte, sondern bei dem ein virtueller Gegner mittels Steuertasten bezwungen werden musste. Die handlichen Geräte mit kleiner LCD-Anzeige und piepsiger Soundkulisse besaßen in der Regel keine austauschbaren Module, so dass nur ein Spiel pro Konsole „gezockt“ werden konnte. Der Durchbruch der Handheld-Konsolen erfolgte 1989 mit der Einführung des „Game Boy“ der Firma Nintendo, der weltweit über 118 Millionen Mal verkauft wurde.
Funktionen von Spielzeug
Neben den rein unterhaltenden und lehrreichen Funktionen von Spielzeug ist es auch immer Spiegel des Zeitgeistes. In Spielzeugen wie der Barbiepuppe, aber auch Playmobil oder Lego, und in den visuellen Welten etwa auf Spielbrettern repräsentieren sich Geschlechterrollen, Körperbilder und normierte soziale Rollen, die über das Kinderspielzeug vermittelt werden. Zeitgenössische Entwicklungen in moderner Architektur und Maschinenbau drücken sich in Bausätzen aus, wie beispielsweise die Etablierung des Flugzeugs als Verkehrsmittel. Im Bereich der Reisespiele wanderten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer um 1900 noch vorwiegend auf einem Spielbrett durch den Harz oder Thüringen. Mit zunehmender gesellschaftlicher Mobilität entwickelten die Hersteller Brettspiele, welcher die Spieler ab den 1930er Jahren erst ganz Deutschland und später die ganze Welt besuchen ließen. Dass Spielzeug auch zu einem Politikum werden kann, zeigt sich in den noch bis zum Ende der 1950er Jahre in der DDR produzierten Reisespielen, die die Spieler durch die verschiedenen Kontinente führte. Mit Bau der Mauer endete die Produktion solcher Spiele, um kein vergebliches Fernweh zu schüren. Über die im Spielzeug dargestellten Realitäten hinaus, bietet es aber auch Projektionsebenen für Träume und Faszinationen der Menschen. Frühe Baukästen von Landhäusern stellten etwa ein idealisiertes Landleben für die damit spielenden Stadtkinder dar, das so nicht existiert hat. Auch durch Kinoblockbuster ausgelöste Massentrends, wie etwa die durch Filme wie „Star Wars“ oder „Alien“ Ende der 1970er Jahre auftretende Begeisterung für Science-Fiction, drückte sich im Bereich der Handheld-Konsolen durch eine unüberschaubare Vielzahl an Weltraumspielen aus.
Spielzeug heute
Obwohl heute viele Kinder und Jugendliche im Kinderzimmer viel Zeit beim Spielen am Computer verbringen, haben klassische Formen des Spielzeugs, wie etwa das Gesellschaftsspiel, nichts von ihrer Faszination verloren. Auch Lego oder Barbie erfreuen sich mit immer neuem Figurenrepertoire ungebrochener Beliebtheit. Interessant zu beobachten ist, dass die Altersgrenzen für Spielzeug in den letzten Jahrzehnten deutlich angestiegen sind. Dabei ist zu konstatieren, dass sowohl traditionelle Spielformen wie das Brettspiel als auch moderne Computerspiele verstärkt von Erwachsenen gespielt werden. Um 1900 endete die Kindheit auf dem Land und in den Arbeiterhaushalten für die meisten Heranwachsenden mit der Schulentlassung und dem anschließenden Eintritt in das Erwerbsleben. So ließen, beginnend mit etwa dem 14. Lebensjahr, lange Arbeitszeiten und die damit verbundenen physischen Strapazen keine Zeit und keinen Raum mehr zum Spielen. Heutzutage werden „Erwachsenenspiele“ von den Herstellerfirmen explizit entwickelt und auf Spielemessen und im Spielwarenhandel angeboten.
Weiterführende Literatur
Wiese, Gisela (Hrsg.): Spielwelten. Eine Ausstellung zu Spielen und Spielzeug. Ehestorf 2016.
Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): SpielZeitGeist. Spiel und Spielzeug im Wandel. München-New York 1994.
Faber, Michael (Red.): Kindheit - Spielzeit?. Führer durch die Ausstellung mit den Sammlungen H. G. Klein, Maria Junghanns. Köln 1993.