Der Schneemann wandelte sich im Laufe der Zeit vom personifizierten Winter hin zu einem lustigen Kinderfreund. Heute ist er ein beliebtes Winter- und Weihnachtsmotiv.
Der eisige weiße Mann
Drei feste Schneekugeln unterschiedlicher Größe, eine Karotte, ein Topf und ein Besen aus Reisig, vielleicht noch Augen aus Kohlestücken oder Steinchen – das sind die klassischen Zutaten für den Bau eines Schneemanns. Und wahrscheinlich hat fast jeder und jede von uns schon einmal einen gebaut, als Kind vielleicht, als die Winter nicht nur subjektiv auch bei uns schneereicher und kälter waren. Heute beobachten einen die Schneemänner und (selten) auch -frauen eher von den Scheiben an Kitas oder Kinderzimmern, die dort mit Fingerfarben aufgemalt wurden. Aber fällt dann mal Schnee, dann machen sich die großen und kleinen Baumeister an die Arbeit. Vor allem 2021, dem ersten Corona-Winter, als der strikte Lockdown Schulen und Kitas geschlossen hielt, war die Freude über Schnee im Rheinland groß! Fast pünktlich zum „Tag des Schneemanns“ am 18. Januar fielen hier die Schneeflocken vom grauem Winterhimmel und brachten Abwechslung in die Corona-Tristesse. Und schnell sah man allerorts Schneemänner- und manchmal, aber immer noch viel seltener auch Schneefrauen entstehen. Dem gesellschaftlichen Trend und der augenzwinkernden Verarbeitung der pandemischen Situation folgend, häufig mit Maske vor der Schneemannnase. Überhaupt ist der Schneemann kulturhistorisch interessant, kann man an ihm und seiner Genese doch gesellschaftliche Entwicklungen ganz unmittelbar ablesen.
Zunächst war der Schneemann der personifizierte Winter, der in Gemälden und Büchern visualisiert wurde, eher als finstere Figur, denn als Kinderfreund. Eine Figur, die explizit als „Schneemann“ bezeichnet wird, taucht erstmals 1770 in der Liedersammlung für Kinder von Christian Felix Weiße, einem damals überaus bekannten und erfolgreichen Autor und einem der Vorreiter der deutschen Kinder- und Jugendbuchliteratur auf. In dem kurzen Text mit dem Titel „Schneemann“ heißt es:
„Der schöne Schneemann – eh wie groß! Ein riesenmäßiger Koloss! Doch ach! Die liebe Sonne scheint, und er zerrinnt, eh man`s gemeint. Ihm gleicht ein eitler, leerer Kopf, von weitem glänzt der arme Tropf: Doch der Verstand beleucht` ihn nur, so schmilzt die schimmernde Figur.“ (Aus: Der Schneemann. Lieder für Kinder von Christian Felix Weiße, 1770).
Die Vergänglichkeit des Schneemanns, die hier thematisiert wird, macht vielleicht auch seinen großen Reiz und seine Anziehungskraft aus. Zunächst wurden Arme und Beine noch aus einem Teil geformt und angesetzt, dann setzte sich die Dreigliederung durch.
Der Schneemann wird zum Kinderfreund
Schneemänner fanden bald darauf vermehrt Eingang in Kinderbücher, die vor allem von bürgerlichen Schichten konsumiert wurden. Der Schneemann wurde zum Kinderfreud, meist lustig, humorvoll rezipiert mit grinsendem Mund und lachenden Augen. Ganz wunderbar passte er in die Erziehungswelt der biedermeierlichen Gesellschaft und in eine Zeit, als Schnee nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen wurde. Im Gegenteil, das Bürgertum entdeckte das Reisen und auch die idyllische Winterwelt der Alpen mit Skiern und Schlitten wurde en vogue. Ende des 19. Jahrhunderts, als Postkarten auch durch innovative Drucktechniken und die Erschließung neuer Verkehrswege größere Verbreitung fanden, verbreitete sich das Motiv der weißen Winteridylle rapide und der Schneemann wurde immer häufiger Teil davon. Dies ist bis heute so geblieben. Dank Konfessionslosigkeit wird er immer häufiger zum winterlichen Symbol und zur jahreszeitlich passenden Dekoration von Weihnachtsmärkten, Schaufenstern oder Vorgärten genutzt – ob aufgeblasen oder als Kitschfigur.
Auch in moderne Spielwelten hat der weiße Gesell längst Eingang gefunden: Playmobil hatte bereits in den 1980er Jahren die schlittenfahrenden Kinder inklusive Schneemann-Figur mit Besen und Hut im Programm. Auch im Film taucht er immer wieder auf – ob im Thriller The Snowman von 2017 oder, etwas harmloser, als von der Eiskönigin Elsa durch Magie erschaffene, treuherzige Figur namens Olaf. Zum Tag des Schneemanns werden sie alle gefeiert. Und für Kinder war und ist es immer eine Freude, wenn sie ihren weißen Mann aus Schnee formen und mit Schal, Hut oder eben auch Maske ausgestattet zum Leben erwecken können.
Literaturhinweise:
Günther, Maike/Hartinger, Anselm (Hrsg.): Schnee… von gestern? Die Kulturgeschichte des Winters in Leipzig. Begleitbuch zur Sonderausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig 2021, Leipzig 2021.