Direkt zum Inhalt

Kirmesattraktionen

Höher, schneller, weiter

In den Unterhaltungsangeboten eines Jahrmarkts spiegeln sich Zeitgeist und jeweils geltende Werte. So sind die Attraktionen der Fahrgeschäfte aufs Engste mit dem technischen Fortschritt verknüpft. In der Tabuisierung von Shows und Spielen mit lebendigen Tieren zeigt sich eine gewandelte Einstellung zum Thema Tierschutz und veränderte Nahrungsgewohnheiten führen zu einer Ergänzung der „klassischen“ Kirmesspeisen.

Das Er­schei­nungs­bild ei­nes Jahr­markt­s1, wie wir ihn heu­te ken­nen, ist durch die At­trak­tio­nen der Fahr­ge­schäf­te und Bu­den ge­prägt. Die Fahr­ge­schäf­te ent­wi­ckeln sich ab dem 19. Jahr­hun­dert zum fes­ten Be­stand­teil ei­ner Kir­mes und er­mög­lich­ten ei­ne ak­ti­ve­re Teil­ha­be der Be­su­cher*in­nen am Kir­mes­ge­sche­hen. Vor­her ging es eher ums Be­ob­ach­ten und Stau­nen, das Pu­bli­kum ließ sich die neus­ten tech­ni­schen Er­run­gen­schaf­ten von den Schau­stel­ler*in­nen er­klä­ren oder sah sich Ku­rio­si­tä­ten an. Jahr­markt-At­trak­tio­nen sind aufs Engs­te mit den Fort­schrit­ten von Wis­sen­schaft und Tech­nik ver­bun­den, nicht zu­letzt speist sich dar­aus die Dy­na­mik sei­ner Ver­än­de­rung und sein Po­ten­zi­al zur Über­ra­schung, das we­sent­lich zu sei­ner An­zie­hung bei­trägt.

Im Ver­lauf des 20. Jahr­hun­dert kommt es zu ei­ner zu­neh­men­den Tech­ni­sie­rung des An­ge­bots und stär­ke­ren Ein­satz von Licht- und Mu­si­k­ef­fek­ten. Die Ent­wick­lung der Fahr­ge­schäf­te folgt dem Prin­zip des „Hö­her, schnel­ler, wei­ter“. Da sich ein um­fas­sen­de­res Frei­zeit- und Un­ter­hal­tungs­an­ge­bot ent­wi­ckelt und das Pu­bli­kum mo­bi­ler ge­wor­den ist, stellt die Kir­mes im Ort längst nicht mehr die ein­zi­ge Aus­zeit vom All­tag dar, so dass das ver­wöhn­te Pu­bli­kum im­mer wie­der neu in­ter­es­siert wer­den muss. War in den 1920er Jah­ren der aus den USA kom­men­de Au­toskoo­ter – der „Selbst­fah­rer“ – noch ei­ne At­trak­ti­on, so ge­hört er heut­zu­ta­ge längst zu den eher be­schau­li­chen Kir­mes­klas­si­kern. In­zwi­schen sind es spek­ta­ku­lär schnel­le, sich in gro­ßer Hö­he be­we­gen­de oder gar über­schla­gen­de At­trak­tio­nen, die für neue Su­per­la­ti­ve sor­gen. Sol­che Kon­struk­tio­nen ent­wi­ckeln sich nicht nur zu Pu­bli­kums­ma­gne­ten, son­dern sind auch Mar­ke­ting­fak­to­ren, mit der ei­ne Kir­mes durch­aus auch me­dia­le Auf­merk­sam­keit sucht. Auch klei­ne­re Jahr­märk­te auf dem Land ha­ben seit spä­tes­tens der Wen­de zum 20. Jahr­hun­dert ein neu­es Ge­sicht durch die Schau­stel­ler*in­nen mit ih­ren „flie­gen­den Bau­ten“ be­kom­men, wie die Fahr­ge­schäf­te im Be­hör­den­deutsch be­zeich­net wer­den, weil sie nur tem­po­rär auf ei­ner Kir­mes ste­hen und nicht wie in ei­nem Ver­gnü­gungs­park fest in­stal­liert sind. Gleich­zei­tig ha­ben sich im länd­li­chen Raum aber For­men des kol­lek­ti­ven Fei­erns und Spie­lens er­hal­ten, die meist durch Ver­ei­ne tra­diert und or­ga­ni­siert wer­den.

Party im Bayernzelt auf Pützchens Markt 2016.
Foto: Matthias Jung/LVR

An­ge­bo­te wie Af­ter-Job-Par­tys in den Fest­zel­ten er­gän­zen in­zwi­schen das Pro­gramm zeit­ge­mäß. Auch der Trend zu ei­ner Ba­ju­va­ri­sie­rung von De­ko­ra­ti­on und Klei­dung hat sich hier nie­der­ge­schla­gen, die Teil­nah­me an Fest­zelt­ver­an­stal­tun­gen in Dirndl oder Le­der­ho­se ist im Rhein­land seit ei­ni­gen Jah­ren nicht mehr un­ge­wöhn­lich. Zur Par­ty im Bay­ern­zelt auf Pütz­chens Markt er­schei­nen nach Aus­kunft des Ver­an­stal­ters in­zwi­schen über 90 % der Gäs­te in Tracht.

Un­ter­hal­tungs­an­ge­bo­te, wie zum Bei­spiel der Floh­zir­kus, der lan­ge Zeit zum Stan­dard­pro­gramm des Jahr­markts ge­hör­te, gibt es nur noch sehr ver­ein­zelt. Na­he­zu voll­stän­dig ver­schwun­den sind Box­bu­den, in de­nen Schau­kämp­fe statt­fan­den. Sie ka­men in den 1930er Jah­ren auf und wur­den nach dem Zwei­ten Welt­krieg po­pu­lär. Auch Tier­vor­füh­run­gen gibt es nur noch sel­ten – ein gu­tes Bei­spiel da­für, in­wie­weit ge­wan­del­te Wert­vor­stel­lun­gen ei­nen Jahr­markt be­ein­flus­sen. Ei­ne ver­än­der­te Ein­stel­lung zur Aus­beu­tung von Tie­ren macht sich zum Bei­spiel beim „Hah­ne­köp­pen“ be­merk­bar. Das Kir­mes­spiel ist vor­wie­gend in den Krei­sen Aa­chen, Dü­ren, Eus­kir­chen und im Rhein-Sieg-Kreis an­zu­tref­fen. Es ver­langt von den Mit­spie­lern, ge­le­gent­lich auch Mit­spie­le­rin­nen, ei­nem to­ten Hahn, der kopf­über aus ei­nem Korb von ei­nem Seil hängt, mit ver­bun­de­nen Au­gen den Kopf ab­zu­schla­gen. Als Hilfs­mit­tel wird ein stump­fer Sä­bel, manch­mal auch ein Be­sen­stil ver­wen­det. Wer es schafft, den Kopf voll­stän­dig ab­zu­schla­gen, ist Kir­mes­kö­nig oder Hah­nen­kö­nig – oder eben -kö­ni­gin. Seit ei­ni­gen Jahr­zehn­ten wird die­ses Wett­spiel nur noch mit ei­ner Ge­flü­ge­latt­rap­pe prak­ti­ziert. Ein deut­li­cher Wan­del ist auch bei den Spei­se­an­ge­bo­ten ei­nes Jahr­markts zu ver­zeich­nen. Wäh­rend so­ge­nann­te Haus­wirt­schaf­ten auf Pütz­chens Markt noch auf tra­di­tio­nel­le, re­gio­na­le Spei­sen wie Erb­sen­sup­pe und Pflau­men­ku­chen set­zen, hat sich ins­ge­samt das An­ge­bot an den Bu­den stark aus­dif­fe­ren­ziert und in­ter­na­tio­na­li­siert. Gleich­zei­tig gibt es ein kon­stan­tes An­ge­bot an jahr­mark­ty­pi­schen, tra­di­tio­nel­len Süß­wa­ren, wie zum Bei­spiel mit ro­ter Zu­cker­gla­sur über­zo­ge­ne Äp­feln (Pa­ra­die­säp­fel oder Lie­besäp­fel), be­schrif­te­te Leb­ku­chen­her­zen oder Zu­cker­wat­te.

At­trak­tio­nen frü­he­rer Zei­ten wer­den in­zwi­schen ger­ne auf so­ge­nann­ten His­to­ri­schen Jahr­märk­ten prä­sen­tiert. Ver­an­stal­tun­gen wie bei­spiels­wei­se der „Jahr­markt an­no da­zu­mal“ im Frei­licht­mu­se­um Kom­mern zei­gen ei­nen Streif­zug durch die Ge­schich­te des Volks­ver­gnü­gens. Fach­sim­peln­de Fans der Ka­rus­sell­tech­no­lo­gie sind dort eben­so zu fin­den wie Ver­gnü­gungs­su­chen­de, Ge­schichts­in­ter­es­sier­te oder Be­su­cher*in­nen, die sich an ei­ner nost­al­gi­schen Äs­the­tik er­freu­en.  

1Die Be­grif­fe Jahr­markt und Kir­mes wer­den heu­te all­tags­sprach­lich syn­onym ver­wen­det, ob­wohl sich die „Kir­mes“ aus kirch­li­chen Fes­ten ent­wi­ckel­te und ein „Jahr­mark­t“ eher auf jähr­li­che Märk­te zu­rück­geht. Die­ser syn­ony­men Ver­wen­dung schlie­ßt sich auch die­ser Text an.

Literatur

Kat­rin Bau­er / Ga­brie­le Dafft: Ka­rus­sell. In: Räu­me der Kind­heit. Ein Glos­sar, hrsg. v. Jür­gen Has­se, Ve­re­na Schrei­ber, Bie­le­feld 2010, 126-131.
Ga­brie­le Dafft: Zwi­schen Got­tes­dienst und Geis­ter­bahn. Pütz­chens Markt als Er­in­ne­rungs­ort und Er­leb­nis­raum. In: Pütz­chens Markt. 650 Jahr in Bonn am Rhein, hrsg. v. Karl-Heinz Erd­mann, Mi­cha­el Fa­ber, Bonn 2017, 193-206.
Alois Dö­ring: Kir­mes. Früh­som­mer bis Herbst, in: Rhei­ni­sche Bräu­che durch das Jahr, Köln 2006, 255-277.
Mi­cha­el Fa­ber: Le­ben­dig seit Jahr­hun­der­ten: Volks­fest­kul­tur in Deutsch­land. In: Pütz­chens Markt. 650 Jahr in Bonn am Rhein, hrsg. v. Karl-Heinz Erd­mann, Mi­cha­el Fa­ber, Bonn 2017, 7-10. 

Zurück nach oben