Direkt zum Inhalt

Verkleiden, Bützen, Feiern

Karneval im Rheinland

An den „tollen Tagen“ steht die Welt im Rheinland Kopf: Narren übernehmen die Rathäuser, die Straßen sind gefüllt von Umzügen und Feiernden. Schon Monate vorher beginnt der Sitzungskarneval in den großen und kleinen Ortschaften. Der Brauch prägt das Bild der Region sogar international. Doch woher kommt der Karneval und welche Strukturen bestehen?

Historische Entwicklung

Gasthaus mit Karnevals-Schmuck. Lommersum 2009.
Foto: Peter Weber/LVR

An den „tol­len Ta­gen“ steht die Welt im Rhein­land Kopf: Nar­ren über­neh­men die Rat­häu­ser, die Stra­ßen sind ge­füllt von Um­zü­gen und Fei­ern­den. Schon Mo­na­te vor­her be­ginnt der Sit­zungs­kar­ne­val in den gro­ßen und klei­nen Ort­schaf­ten. Der Brauch prägt das Bild der Re­gi­on so­gar in­ter­na­tio­nal. Doch wo­her kommt der Kar­ne­val und wel­che Struk­tu­ren be­ste­hen? Als Fest vor Be­ginn der Fas­ten­zeit ent­stan­den, wur­de der Brauch­ter­min im 19. Jahr­hun­dert in­sti­tu­tio­na­li­siert. Schon vor­her hat­ten ver­schie­de­ne Fes­te re­gio­nal und lo­kal be­stan­den, die je­doch vor al­lem durch die Ro­man­tik wie­der­ent­deckt und neu be­lebt wur­den. Die fol­gen­de Er­neue­rung war dem­zu­fol­ge bür­ger­lich-ro­man­tisch, vor­her be­ste­hen­de Fi­gu­ren und Struk­tu­ren wur­den in Form und In­halt grund­le­gend ver­än­dert. Gleich­zei­tig wur­de der Brauch nun in ge­re­gel­te Bah­nen ge­lenkt: 1823 in Köln, 1825 in Düs­sel­dorf, 1826 in Bonn, 1838 in Mainz und 1842 auch im schwä­bi­schen Rott­weil grün­de­ten sich „Fest­ord­nen­de Ko­mi­tee­s“, wel­che die Brauch­ele­men­te seit­her ma­ß­geb­lich prä­gen. Auf­wen­di­ge his­to­ri­sche Fest­zü­ge mit Mot­to wur­den in­sze­niert. Um 1900 voll­zog sich dann die Tren­nung zwi­schen den Brauch­for­men im Rhein­land und der Fast­nacht im deut­schen Süd­wes­ten. Be­dingt durch die kon­fes­sio­nel­len Un­ter­schie­de ist Kar­ne­val stär­ker in ka­tho­li­schen Re­gio­nen ver­brei­tet: es ist das Fest vor der 40­tä­gi­gen Fas­ten­zeit vor Os­tern, wel­che sich aus der christ­li­chen Lit­ur­gie ab­lei­tet.

Im Rhein­land in­sti­tu­tio­na­li­sier­te sich ein Sit­zungs- und Stra­ßen­kar­ne­val. Da­bei be­ste­hen heu­te noch Un­ter­schie­de, vor al­lem zwi­schen städ­ti­schen und länd­li­chen For­men: in den gro­ßen Städ­ten wie Köln oder Düs­sel­dorf sind Um­zü­ge zen­tra­ler Be­stand­teil, die z. T. auch sehr po­li­ti­sche Aus­sa­gen ha­ben, und durch Brauch­funk­tio­nä­re or­ga­ni­siert wer­den, die in den di­ver­sen Kar­ne­vals­ver­ei­nen or­ga­ni­siert sind. Da­mit ver­bun­den sind auch ein gro­ßer fi­nan­zi­el­ler Auf­wand und dem­entspre­chend kom­mer­zi­el­le In­ter­es­sen. Die Brauch­aus­üben­den sind hier teil­wei­se in der Rol­le von Zu­schau­ern, wenn sie am Ran­de, et­wa des Ro­sen­mon­tags­zu­ges, ste­hen, doch gibt es auch ak­ti­ve Ele­men­te, wie das Fei­ern in den Stra­ßen. Im länd­li­chen Raum hin­ge­gen sind die grup­pen­spe­zi­fi­schen Be­zü­ge stär­ker und für die lo­ka­len Struk­tu­ren sind es eher selbst or­ga­ni­sier­te Fes­te und klei­ne Um­zü­ge, die das Kar­ne­vals­ge­sche­hen im Ort be­stim­men. Auch hier gibt es je­doch Kar­ne­vals­ver­ei­ne und Ko­mi­tees, so dass ei­ni­ge Ak­teu­re stär­ker ein­ge­bun­den sind als an­de­re und die Ver­ei­ne ei­ne zen­tra­le Rol­le für die Ge­stal­tung et­wa der Um­zü­ge spie­len.

Das Treiben an den „tollen Tagen“ - zur Brauchstruktur

Kostümierte Frauen an Karneval. Wershofen um 1920.
Foto: Peter Weber sen./LVR

Be­reits am 11.11. be­ginnt der Kar­ne­val mit ei­nem Tag vol­ler Ge­sche­hen auf den Plät­zen und in den In­nen­städ­ten: die „när­ri­sche Zeit“ wird in den kom­men­den Wo­chen aber vor al­lem durch den Sit­zungs­kar­ne­val ge­tra­gen: Die Kar­ne­vals­ver­ei­ne und an­de­re Grup­pen, wie die „Stunk­sit­zun­g“ in Köln, or­ga­ni­sie­ren ein Büh­nen­pro­gramm, das die Ses­si­on über auf­ge­führt wird. Da­zu kom­men die Vor­be­rei­tun­gen der Um­zü­ge und der ei­ge­nen Kos­tü­me.

Die hei­ße Pha­se der „tol­len Ta­ge“ be­ginnt dann mit der so ge­nann­ten Wei­ber­fast­nacht, dem Don­ners­tag vor Ascher­mitt­woch. In Bonn-Beu­el über­neh­men die Wasch­frau­en die Herr­schaft über das Rat­haus, in an­de­ren Or­ten wird sym­bo­lisch der Rat­haus­schlüs­sel an die Ver­ei­ne über­ge­ben. An die­sem Tag der „Wei­ber“ trifft man im­mer wie­der auf Män­ner, de­ren Kra­wat­ten oder Schnür­sen­kel ab­ge­schnit­ten sind: die Frau­en lau­fen mit Sche­ren durch die Stra­ßen und be­schnei­den sym­bo­lisch die Macht der Män­ner. Von Frei­tag bis Diens­tag fin­den un­ter­schied­li­che Um­zü­ge statt, so et­wa in den Köl­ner Stadt­tei­len die „Schull- und Vee­dels­zö­ch“ am Sonn­tag und vor al­lem die gro­ßen Ro­sen­mon­tags­um­zü­ge. Der Sonn­tag, auch Or­chi­de­en­sonn­tag ge­nannt, ist vor al­lem in klei­ne­ren Städ­ten und Dör­fern für den Um­zug be­liebt. Durch­ge­hend sind die Knei­pen mit un­ter­schied­lichs­ten, al­ten und jun­gen Nar­ren ge­füllt, die oft krea­ti­ve, selbst­ge­mach­te Kos­tü­me tra­gen. Der Stra­ßen­kar­ne­val wird un­ab­hän­gig von den Um­zü­gen die „tol­len Ta­ge“ über in und vor den Knei­pen und im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes auf der Stra­ße ge­fei­ert.

Die Kar­ne­vals­ta­ge en­den mit der Nub­bel­ver­bren­nung oder dem sym­bo­li­schen Ver­gra­ben der Fast­nacht am Abend des Veil­chen­diens­tags: ei­ne Stroh­pup­pe, die wäh­rend der Nar­ren­zeit meist an Knei­pen be­fes­tigt ist, nimmt sym­bo­lisch al­le Sün­den auf sich, die in der Kar­ne­vals­zeit be­gan­gen wur­den. Die­se wird ge­mein­sam ver­brannt oder ver­gra­ben und am Mitt­woch­mor­gen be­ginnt dann die Fas­ten­zeit.

Karneval als heidnischer Brauch?

Wandteller, gewidmet der Gaststätte Watteler von einem Dreigestirn. Eschweiler über Feld 1975.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Kei­nes­falls han­delt es sich bei Kar­ne­val und Fast­nacht um ein heid­ni­sches Ri­tu­al zur Aus­trei­bung des Win­ters, viel­mehr sind Be­zü­ge und all­tags­kul­tu­rel­le Re­le­vanz von christ­li­cher Lit­ur­gie und Jah­res­fest­kreis hier be­son­ders deut­lich: Der Ter­min des Brauch­kom­ple­xes rich­tet sich nach dem Os­ter­fest, wel­ches im christ­li­chen Ka­len­der auf den ers­ten Sonn­tag nach dem ers­ten Voll­mond nach Früh­lings­be­ginn fest­ge­legt und so­mit von Jahr zu Jahr va­ria­bel ist. Mit dem Epi­pha­nia-Fest am 6. Ja­nu­ar en­det der Weih­nachts­fest­kreis, die be­reits am 11. No­vem­ber ge­star­te­te Nar­ren­zeit steu­ert auf ih­ren Hö­he­punkt zu. Das christ­li­che Fas­ten 40 Ta­ge vor Os­tern be­ginnt am Ascher­mitt­woch mit dem En­de der „tol­len Ta­ge“ von Wei­ber­fast­nacht bis Veil­chen­diens­tag, da­mit be­ginnt auch ei­ne Zeit der Ent­halt­sam­keit, in der we­der Fleisch noch Ei­er, Zu­cker oder fet­ti­ge Spei­sen ge­ges­sen wer­den dür­fen. Des­halb muss­ten vor der Ent­wick­lung der mo­der­nen Kon­ser­vie­rungs­me­tho­den al­le ver­derb­li­chen Le­bens­mit­tel vor­her ver­braucht wer­den, wes­halb ver­schie­dens­te Fett- und Ei­er­ge­bä­cke fest in das Brauch­ge­sche­hen ein­ge­bun­den sind. Hier­aus er­klärt sich auch die gro­ße Be­deu­tung von Ei­ern zu Os­tern, wel­che in der Fas­ten­zeit nicht ge­ges­sen wer­den durf­ten und so­mit zu den Os­ter­ta­gen in gro­ßer Zahl vor­han­den wa­ren. Heu­te wird noch im­mer ge­fas­tet, doch nicht für al­le Je­cken schlie­ßt sich ei­ne Zeit der Ent­halt­sam­keit an und vie­le Gläu­bi­ge fas­ten in­di­vi­du­el­ler, wenn sie zum Bei­spiel in der Fas­ten­zeit auf ihr Smart­pho­ne ver­zich­ten.

Karneval im 21. Jahrhundert

Karnevals-Dekoration am Fenstersims eines Fachwerkhauses. Mechernich-Kommern 2003.
Foto: Peter Weber/LVR

Mit der zu­neh­men­den Ent­kirch­li­chung bre­chen ei­ni­ge al­te Struk­tu­ren weg, so dass in ei­nem Va­ku­um auch neue Bräu­che wie et­wa Hal­lo­ween ent­ste­hen. Der Kar­ne­val boomt je­doch wei­ter­hin, im­mer stär­ker wer­den christ­li­che Be­deu­tun­gen über­schrie­ben – zwar sind die Sym­bo­le noch vor­han­den, sie wer­den aber von vie­len Men­schen nicht mehr als sol­che ge­le­sen. In den letz­ten Jah­ren und Jahr­zehn­ten wan­deln sich die Funk­tio­nen weg von re­li­giö­sen Hand­lun­gen hin zu ei­ner Fes­ti­va­li­sie­rung. Ei­ni­ge Ele­men­te des Brauch­kom­ple­xes sind „uni­ver­sel­l“: das Ver­klei­den und der Aus­nah­me­zu­stand in den Stra­ßen sind oh­ne Wei­te­res auf an­de­re Or­te und Ak­teu­re über­trag­bar.

Kar­ne­val­es­ke For­men sind heu­te pro­fa­ne Ele­men­te, die christ­li­che Sym­bo­le in ei­nem Syn­kre­tis­mus mit an­de­ren Zu­sam­men­hän­gen, wie dem po­li­ti­schen, ver­bin­den. Da­bei fin­den kar­ne­val­es­ke For­men un­ge­bro­che­nen Zu­lauf. Zu­min­dest ei­ne pas­si­ve oder in Tei­len ak­ti­ve Teil­nah­me ist oh­ne gro­ßes Vor­wis­sen oder ei­ne or­ga­ni­sier­te Form mög­lich.

War­um fei­ern die Rhein­län­der al­so Kar­ne­val? Die Teil­nah­me dar­an ist nicht nur ein­fach und selbst­ver­ständ­lich mög­lich. Kar­ne­val wirkt auch ge­mein­schafts­stif­tend und kann da­mit in der mo­bi­len und glo­ba­len Ge­sell­schaft Be­hei­ma­tun­gen schaf­fen und re­gio­na­le Iden­ti­tä­ten stär­ken. Für den und die Ein­zel­ne kön­nen auch das Spiel mit dem Rol­len­tausch und der Ver­klei­dung den Aus­schlag zum Fei­ern ge­ben oder das ent­grenz­te, aus­ge­las­se­ne Bei­sam­men­sein den be­son­de­ren Reiz der „tol­len Ta­ge“ aus­ma­chen.

Weiterführende Literatur

Dö­ring, Alois: Rhei­ni­sche Bräu­che durch das Jahr. Köln 2006.

Frohn, Chris­ti­na: Der or­ga­ni­sier­te Narr. Kar­ne­val in Aa­chen, Düs­sel­dorf und Köln von 1823 bis 1914. Mar­burg 2000.

Mez­ger, Wer­ner:  Nar­ren­idee und Fast­nachts­brauch. Stu­di­en zum Fort­le­ben des Mit­tel­al­ters in der eu­ro­päi­schen Fest­kul­tur (Kon­stan­zer Bi­blio­thek, Band 15), Kon­stanz 1991.

Zurück nach oben