In den Unterhaltungsangeboten eines Jahrmarkts spiegeln sich Zeitgeist und jeweils geltende Werte. So sind die Attraktionen der Fahrgeschäfte aufs Engste mit dem technischen Fortschritt verknüpft. In der Tabuisierung von Shows und Spielen mit lebendigen Tieren zeigt sich eine gewandelte Einstellung zum Thema Tierschutz und veränderte Nahrungsgewohnheiten führen zu einer Ergänzung der „klassischen“ Kirmesspeisen.
Das Erscheinungsbild eines Jahrmarkts1, wie wir ihn heute kennen, ist durch die Attraktionen der Fahrgeschäfte und Buden geprägt. Die Fahrgeschäfte entwickeln sich ab dem 19. Jahrhundert zum festen Bestandteil einer Kirmes und ermöglichten eine aktivere Teilhabe der Besucher*innen am Kirmesgeschehen. Vorher ging es eher ums Beobachten und Staunen, das Publikum ließ sich die neusten technischen Errungenschaften von den Schausteller*innen erklären oder sah sich Kuriositäten an. Jahrmarkt-Attraktionen sind aufs Engste mit den Fortschritten von Wissenschaft und Technik verbunden, nicht zuletzt speist sich daraus die Dynamik seiner Veränderung und sein Potenzial zur Überraschung, das wesentlich zu seiner Anziehung beiträgt.

Fahrgeschäfte auf der Kirmes in Nettersheim 1967. Photo: Klaus Dittert/LVR, CC BY 4.0

Moderne und glitzernde Fahrgeschäfte auf Pützchens Markt 2016. Photo: Matthias Jung/LVR, CC BY 4.0

Haifigur mit Lichterkette auf Pützchens Markt, 2016. Photo: Matthias Jung/LVR, CC BY 4.0

Kinderkarussell in Zülpich, ca. 1950er Jahre
Im Verlauf des 20. Jahrhundert kommt es zu einer zunehmenden Technisierung des Angebots und stärkeren Einsatz von Licht- und Musikeffekten. Die Entwicklung der Fahrgeschäfte folgt dem Prinzip des „Höher, schneller, weiter“. Da sich ein umfassenderes Freizeit- und Unterhaltungsangebot entwickelt und das Publikum mobiler geworden ist, stellt die Kirmes im Ort längst nicht mehr die einzige Auszeit vom Alltag dar, so dass das verwöhnte Publikum immer wieder neu interessiert werden muss. War in den 1920er Jahren der aus den USA kommende Autoskooter – der „Selbstfahrer“ – noch eine Attraktion, so gehört er heutzutage längst zu den eher beschaulichen Kirmesklassikern. Inzwischen sind es spektakulär schnelle, sich in großer Höhe bewegende oder gar überschlagende Attraktionen, die für neue Superlative sorgen. Solche Konstruktionen entwickeln sich nicht nur zu Publikumsmagneten, sondern sind auch Marketingfaktoren, mit der eine Kirmes durchaus auch mediale Aufmerksamkeit sucht. Auch kleinere Jahrmärkte auf dem Land haben seit spätestens der Wende zum 20. Jahrhundert ein neues Gesicht durch die Schausteller*innen mit ihren „fliegenden Bauten“ bekommen, wie die Fahrgeschäfte im Behördendeutsch bezeichnet werden, weil sie nur temporär auf einer Kirmes stehen und nicht wie in einem Vergnügungspark fest installiert sind. Gleichzeitig haben sich im ländlichen Raum aber Formen des kollektiven Feierns und Spielens erhalten, die meist durch Vereine tradiert und organisiert werden.

Party im Bayernzelt auf Pützchens Markt 2016.
Photo: Matthias Jung/LVR, CC BY 4.0
Angebote wie After-Job-Partys in den Festzelten ergänzen inzwischen das Programm zeitgemäß. Auch der Trend zu einer Bajuvarisierung von Dekoration und Kleidung hat sich hier niedergeschlagen, die Teilnahme an Festzeltveranstaltungen in Dirndl oder Lederhose ist im Rheinland seit einigen Jahren nicht mehr ungewöhnlich. Zur Party im Bayernzelt auf Pützchens Markt erscheinen nach Auskunft des Veranstalters inzwischen über 90 % der Gäste in Tracht.
Unterhaltungsangebote, wie zum Beispiel der Flohzirkus, der lange Zeit zum Standardprogramm des Jahrmarkts gehörte, gibt es nur noch sehr vereinzelt. Nahezu vollständig verschwunden sind Boxbuden, in denen Schaukämpfe stattfanden. Sie kamen in den 1930er Jahren auf und wurden nach dem Zweiten Weltkrieg populär. Auch Tiervorführungen gibt es nur noch selten – ein gutes Beispiel dafür, inwieweit gewandelte Wertvorstellungen einen Jahrmarkt beeinflussen. Eine veränderte Einstellung zur Ausbeutung von Tieren macht sich zum Beispiel beim „Hahneköppen“ bemerkbar. Das Kirmesspiel ist vorwiegend in den Kreisen Aachen, Düren, Euskirchen und im Rhein-Sieg-Kreis anzutreffen. Es verlangt von den Mitspielern, gelegentlich auch Mitspielerinnen, einem toten Hahn, der kopfüber aus einem Korb von einem Seil hängt, mit verbundenen Augen den Kopf abzuschlagen. Als Hilfsmittel wird ein stumpfer Säbel, manchmal auch ein Besenstil verwendet. Wer es schafft, den Kopf vollständig abzuschlagen, ist Kirmeskönig oder Hahnenkönig – oder eben -königin. Seit einigen Jahrzehnten wird dieses Wettspiel nur noch mit einer Geflügelattrappe praktiziert. Ein deutlicher Wandel ist auch bei den Speiseangeboten eines Jahrmarkts zu verzeichnen. Während sogenannte Hauswirtschaften auf Pützchens Markt noch auf traditionelle, regionale Speisen wie Erbsensuppe und Pflaumenkuchen setzen, hat sich insgesamt das Angebot an den Buden stark ausdifferenziert und internationalisiert. Gleichzeitig gibt es ein konstantes Angebot an jahrmarktypischen, traditionellen Süßwaren, wie zum Beispiel mit roter Zuckerglasur überzogene Äpfeln (Paradiesäpfel oder Liebesäpfel), beschriftete Lebkuchenherzen oder Zuckerwatte.

1978 war sie noch auf Pützchens Markt zu finden: eine Boxbude. Photo: Dieter Schneemelcher/LVR, CC BY 4.0

Eine Frau beim "Hahneköppen" bei der Kirmes in Strempt, 1982 Photo: Elke Dettmer/LVR, CC BY 4.0

Imbissbude mit Pizza und Pastagerichten. Pützchens Markt 2002. Photo: Peter Weber/LVR, CC BY 4.0

Der Hahnenkönig auf der Kirmes in Nettersheim 1967. Photo: Klaus Dittert/LVR, CC BY 4.0
Attraktionen früherer Zeiten werden inzwischen gerne auf sogenannten Historischen Jahrmärkten präsentiert. Veranstaltungen wie beispielsweise der „Jahrmarkt anno dazumal“ im Freilichtmuseum Kommern zeigen einen Streifzug durch die Geschichte des Volksvergnügens. Fachsimpelnde Fans der Karusselltechnologie sind dort ebenso zu finden wie Vergnügungssuchende, Geschichtsinteressierte oder Besucher*innen, die sich an einer nostalgischen Ästhetik erfreuen.
1Die Begriffe Jahrmarkt und Kirmes werden heute alltagssprachlich synonym verwendet, obwohl sich die „Kirmes“ aus kirchlichen Festen entwickelte und ein „Jahrmarkt“ eher auf jährliche Märkte zurückgeht. Dieser synonymen Verwendung schließt sich auch dieser Text an.
Literatur
Katrin Bauer / Gabriele Dafft: Karussell. In: Räume der Kindheit. Ein Glossar, hrsg. v. Jürgen Hasse, Verena Schreiber, Bielefeld 2010, 126-131.
Gabriele Dafft: Zwischen Gottesdienst und Geisterbahn. Pützchens Markt als Erinnerungsort und Erlebnisraum. In: Pützchens Markt. 650 Jahr in Bonn am Rhein, hrsg. v. Karl-Heinz Erdmann, Michael Faber, Bonn 2017, 193-206.
Alois Döring: Kirmes. Frühsommer bis Herbst, in: Rheinische Bräuche durch das Jahr, Köln 2006, 255-277.
Michael Faber: Lebendig seit Jahrhunderten: Volksfestkultur in Deutschland. In: Pützchens Markt. 650 Jahr in Bonn am Rhein, hrsg. v. Karl-Heinz Erdmann, Michael Faber, Bonn 2017, 7-10.