Menschen, die ins Rheinland fliehen, lebten und leben meist in beengten Wohnungen und Übergangslösungen. Weit verbreitet waren Wellblechhütten oder Container.
Flüchtlingswohnen in der Nachkriegszeit

Zwei Nissenhütten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf dem Gelände des Freilichtmuseums Kommern, 2016.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR/LVR
Flucht und Übergangswohnen gibt es schon lange. Doch im und nach dem Zweiten Weltkrieg waren Millionen Menschen auf der Flucht und mussten sich ihr Leben in neuen Regionen aufbauen. Nicht nur im Rheinland lebten Menschen, die ihre Unterkunft im Zweiten Weltkrieg verloren hatten, zum Teil noch bis in die 1960er Jahre hinein in Nissenhütten. Benannt nach dem Erfinder Peter Norman Nissen waren diese für Soldaten entwickelten Wellblechhütten mit einem halbrunden Dach günstig und schnell zu errichten. Nachdem sich die Wohnungsnot der Nachkriegszeit sukzessiv verringerte, verschwanden die Nissenhütten. Doch Flucht blieb weiterhin ein Thema. Nun flüchteten Menschen aus anderen Krisenregionen in das Rheinland. Sie wohnten und wohnen auch weiterhin in beengten Übergangsunterkünften. Die Kommunen übernehmen die Versorgung der Flüchtlinge in Deutschland. Im Asylbewerberleistungsgesetz ist eine Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Kleidung und Ähnlichem festgeschrieben. Die Umsetzung der Leistungen bleibt allerdings den Kommunen überlassen. Es existieren keine expliziten Vorschriften beispielsweise für die Ausstattung von Wohnräumen. In den 1970er und 1980er Jahren wohnten Geflüchtete meist in alten Schulen und angemieteten Privatunterkünften. Lange Zeit waren so genügend Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden.
Umdenken in den 1990er Jahren: der Bau von Containeranlagen
Seit den 1990er Jahren stiegen die Anträge auf Asyl in Deutschland rasant an. Grund dafür waren die Kriege in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien und in Afrika, wie zum Beispiel der bis heute andauernde Krieg in Somalia. Die Gemeinden im Rheinland mussten innerhalb kürzester Zeit für mehr Wohnraum für die Geflüchteten sorgen. Ein Beispiel ist die Gemeinde Titz im Kreis Düren. Dort entschied man sich wie in vielen anderen Orten auch, Containeranlagen zu beschaffen, die sich aufgrund ihrer Modulbauweise besonders schnell aufstellen ließen. Oft wurden diese Unterkünfte im Randbereich der Orte aufgestellt. In Titz beispielsweise platzierte die Kommune zwei Container an der Peripherie der Ortsteile Müntz und Opherten. Eine Ausnahme war der dritte Standort in der Nähe des Pfarrhauses, das zentraler im Ort gelegen war. Der Pfarrer sprach sich für eine Aufstellung des Containers an diesem Standort aus, als man vergeblich nach Alternativen suchte. Die Unterkunft in Opherten setzte sich aus fünf Wohncontainern, einem Sanitärcontainer und einem verbindenden Flurtrakt zusammen, die insgesamt Platz für 20 Asylbewerberinnen und Asylbewerber boten. Schon kurz nach der Fertigstellung war die Containeranlage aufgrund des hohen Bedarfs vollständig belegt. An anderen Orten entstanden noch weitaus größere Containertrakte. Eine einfache Ausstattung wiederholte sich in jedem der Wohncontainer: Eine Miniküche integrierte auf der Breite von einem Meter Kühlschrank, Spüle, Herd und Arbeitsplatte. Als Schlafstätte dienten Etagenbetten, in denen immer zwei Personen übereinander, vier insgesamt in einem Raum übernachteten. Die vier Bewohner teilten sich zwei Metallspinde als Aufbewahrungsmöglichkeiten für Kleidung und persönliche Gegenstände sowie einen kleinen ausziehbaren Tisch als Essbereich. Jedem Bewohner standen so etwa 3,5 m² Wohnraum zur Verfügung.

Außenansicht der Flüchtlingsunterkunft am Originalstandort. Je zwei Fenster gehören zu einem Wohncontainer, Titz-Opherten 2013 Foto: Schirmer, Corinna/LVR

Miniküche, aus der Flüchtlingsunterkunft in Titz-Opherten übernommen, am Standort im Museum, Kommern 2015 Foto: Gerhards, Hans-Theo/LVR

Stuhl aus dem Inventar der Flüchtlingsunterkunft in Titz-Opherten, 1990er Jahre Foto: Gerhards, Hans-Theo/LVR

Ausziehtisch aus dem Inventar der Flüchtlingsunterkunft in Titz-Opherten, 1990er Jahre Foto: Gerhards, Hans-Theo/LVR
Das Beispiel Titz: Beengte Verhältnisse und soziale Spannungen

Tür eines Spinds mit Inschrift am Originalstandort in Titz-Opherten kurz vor dem Abbau des Containers 2013
Foto: Schirmer, Corinna/LVR
Die Gemeinden hatten und haben keinen Einfluss auf die Zuteilung der Bewerberinnen und Berwerber. Daher wurden auch in Titz oft Menschen unterschiedlicher Nationalitäten in einem Container beherbergt. Bisweilen mussten Asylbewerber und Asylbewerberinnen zusammen wohnen, deren Herkunftsländer Krieg gegeneinander führten. Das führte nicht selten zu Konflikten, bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen. Inschriften auf Möbeln sind stumme Zeugen dieser angespannten Atmosphäre. Auf einem Metallspind finden sich zum Beispiel auf Arabisch die Worte: „Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“ In Titz-Opherten führte es zu Konflikten, dass alleinstehende Frauen und Männer sowie Familien in derselben Anlage untergebracht waren. Daraufhin ging die Gemeinde dazu über, Frauen und Familien an anderen Standorten unterzubringen, so dass nur noch alleinstehende Männer den Container bewohnten.
Umnutzung durch Einzelne: die Situation in den 2000ern

Küchenecke auf engstem Raum in einer Flüchtlingsunterkunft. Kommern 2015.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR/LVR

Museale Inszenierung der realen Wohnsituation des letzten Bewohners einer Flüchtlingsunterkunft. Kommern 2015.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR/LVR
Seit 2002 ging die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber zurück. Es wurden weniger Flüchtlinge pro Container einquartiert. Einen der Räume der Anlage in Titz bewohnte Kawa Abbas, der 1997 im Alter von 25 Jahren aus dem Irak geflohen war. 2008 wurde Abbas offiziell als Flüchtling anerkannt und erhielt eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis. Dennoch wohnte er weiterhin in der Containeranlage in Titz, nun jedoch alleine. Er zahlte der Gemeinde Miete und machte sich „seinen“ Container zu eigen: Die Wände wurden gestrichen, Teppich gekauft und verlegt, Möbel wurden angeschafft sowie ein Fernseher und ein zweiter Kühlschrank. 2013 zog Abbas schließlich aus dem Container aus. Kurz darauf wurde das Gebäude in das LVR-Freilichtmuseum Kommern transloziert und Besuchern zugänglich gemacht. Es dokumentiert dort neben den geplanten Nissenhütten das Wohnen von Flüchtlingen in Übergangslösungen und beengten Platzverhältnissen.
Flüchtlingswohnen heute

Wohnen auf engstem Raum in einer Flüchtlingsunterkunft in Titz-Opherten, 2013.
Foto: Corinna Schirmer/LVR/LVR
Die Kriege in Syrien, Afghanistan, Irak, Libyen, Jemen und in der Ostukraine lassen die Flüchtlingszahlen in Deutschland erneut ansteigen. Das UNO-Flüchtlingswerk berichtet 2015 von über 60 Millionen Flüchtlingen weltweit – so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Erneut ist Wohnraum für Geflüchtete in Deutschland sehr knapp. Tausende wohnen in Turnhallen, Zeltstädten und anderen unzureichenden Unterkünften.