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Schön gemacht?

Zur Darstellungspraxis im Museum am Beispiel des Bandweberhauses

Betrachtet man das Bandweberhaus im LVR-Freilichtmuseum Lindlar, so wirkt das Haus sauber und aufgeräumt. Nur einige der Gegenstände lassen erkennen, dass sie häufig genutzt wurden und erst bei näherem Hinsehen fällt auf, wie beengt das Kochen in einer Flurküche gewesen sein muss. Die Betten sind frisch bezogen, die Fenster geputzt und in gutem Zustand. Doch war das wirklich so?

Umnutzungen auf begrenztem Raum

Wenn man die heu­ti­ge Prä­sen­ta­ti­on des Band­we­ber­hau­ses be­trach­tet, so wird im Ver­gleich mit al­ten Fo­tos deut­lich, wo Un­ter­schie­de be­ste­hen. Be­vor das Haus am Ori­gi­nal­stand­ort aus­ge­räumt und in sei­ne Ein­zel­be­stand­tei­le zer­legt wur­de, hat­ten Mu­se­ums­mit­ar­bei­te­rin­nen und -mit­ar­bei­ter in ei­ner aus­führ­li­chen Fo­to­do­ku­men­ta­ti­on den Zu­stand im und am Haus fest­ge­hal­ten. Sie do­ku­men­tier­ten da­mit, wie das Haus nach dem Aus­zug der letz­ten Be­woh­ne­rin, Ma­ria Thie­mann, aus­sah. Da sie ins Al­ters­heim um­zie­hen muss­te, konn­te das In­ven­tar na­he­zu kom­plett über­nom­men wer­den. Auf den Fo­tos wir­ken die Räu­me nicht nur dunk­ler – das Haus war von gro­ßen, al­ten Bäu­men um­ge­ben –, son­dern auch klei­ner, denn sie wa­ren voll­ge­stell­ter. So sieht man auf den Fo­tos als Mo­ment­auf­nah­men des Zu­stands um 1987, dass auf dem Tisch in der Werk­statt nicht nur ei­ne Tisch­de­cke liegt, wie wir es heu­te im Mu­se­um se­hen. Es be­fin­den sich auch Werk­zeu­ge wie Sche­ren, ei­ne Bril­le, ei­ne Kaf­fee­müh­le und ein Re­gen­schirm auf dem Tisch. Für das Ge­spräch mit ei­nem For­scher hat Ma­ria Thie­mann die Ge­gen­stän­de nicht bei­sei­te ge­räumt, son­dern es steht zu­sätz­lich ein Tel­ler mit Ku­chen auf dem Tisch, mit dem der Gast wohl be­wir­tet wur­de. Der All­tag mit und zwi­schen all den un­ter­schied­li­chen Din­gen war für sie of­fen­sicht­lich so selbst­ver­ständ­lich, dass sie auch für den Be­such nicht auf­räum­te. Und mehr noch: in ei­ner Ecke der Werk­statt steht auf den al­ten Bil­dern ein Elek­tro­herd –  das zeigt den Le­bens­mit­tel­punkt der von der Heim­ar­beit le­ben­den Be­woh­ne­rin: die Werk­statt. In der Kü­che stand bis zur Über­nah­me des Hau­ses ei­ne al­te Koch­ma­schi­ne, die mit Holz oder Koh­le be­feu­ert wer­den muss; die tech­ni­sche Neue­rung wur­de dann (si­cher auch aus Platz­grün­den) in der Werk­statt un­ter­ge­bracht.

Ähn­li­ches gilt für die Flur­kü­che: Heu­te ste­hen dort im Mu­se­um an der Was­ser­pum­pe sau­ber auf­ge­reiht ei­ne Kan­ne und ein Wasch­brett ne­ben Schu­hen, ein sorg­fäl­tig dra­pier­tes Über­tuch zeigt den Spruch „Erst be­sin­nen dann be­gin­nen“ als An­lei­tung für die gu­te Haus­frau. Zum Zeit­punkt der Über­nah­me, so zei­gen wie­der­um Fo­tos, war die Was­ser­pum­pe be­reits um ei­nen mo­der­ne­ren Was­ser­hahn er­gänzt wor­den, di­rekt da­ne­ben wur­den an der Wand Strom­ka­bel ver­legt. In dem her­un­ter­ge­kom­men wir­ken­den Be­cken un­ter der Was­ser­pum­pe lie­gen ver­schie­de­ne Schüs­seln, die nicht in Be­nut­zung zu sein schei­nen. Da­vor sind nicht nur Putz­mit­tel, son­dern auch ein Bü­gel­ei­sen auf ei­nem Bei­stell­tisch ab­ge­legt. Dem Be­trach­ter er­scheint die­ses Sys­tem chao­tisch, doch die Be­woh­ne­rin hat­te mit Si­cher­heit ih­re ei­ge­nen Ord­nungs­ka­te­go­ri­en und la­ger­te des­halb die Kaf­fee­müh­le in der Werk­statt, das Bü­gel­ei­sen aber in der Kü­che. Viel­leicht war dies auch nur ein Zu­fall und das Bü­gel­ei­sen hat­te ei­gent­lich ei­nen an­de­ren Platz, stand aber zum Zeit­punkt des Fo­tos ge­ra­de in der Kü­che.

Räu­me wer­den im­mer wie­der um­ge­stal­tet und Ob­jek­te um­ge­nutzt, um sie den ak­tu­el­len Be­dürf­nis­sen an­zu­pas­sen. Es mach­te Sinn, die neu­en Mög­lich­kei­ten zu nut­zen und flie­ßend Was­ser oder elek­tri­schen Strom ins Haus zu ho­len, so­bald dies mög­lich wur­de. Das be­deu­tet aber nicht, dass Ma­ria Thie­mann sich gleich­zei­tig auch von ih­rer al­ten Koch­ma­schi­ne trenn­te. Ver­än­de­run­gen durch Elek­tri­fi­zie­rung und Was­ser­an­schluss mach­ten in dem Haus aus dem 19. Jahr­hun­dert Um­bau­ar­bei­ten not­wen­dig, die auch zu Hilfs­kon­struk­tio­nen führ­ten.

Interpretationen durch das Museum, die Besucherinnen und Besucher

Selbst­ver­ständ­lich kann ein Mu­se­um im­mer nur ei­ne von vie­len ver­schie­de­nen Nut­zungs­for­men und Zu­stän­den zei­gen und sich so den mög­li­chen Le­bens­rea­li­tä­ten der ehe­ma­li­gen Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner nä­hern. Es ist ge­ra­de die Schwie­rig­keit, zwar Rea­li­tä­ten ab­zu­bil­den, da­bei aber den Ein­zel­fall auf viel­leicht All­ge­mein­gül­ti­ges zu ab­stra­hie­ren. Die mu­sea­le Dar­stel­lung soll ei­nen auch äs­the­ti­schen Ge­samt­ein­druck bie­ten – nach wel­chen Maß­stä­ben auch im­mer. Gleich­zei­tig soll da­bei kei­ne „glat­te Welt“ kon­stru­iert wer­den, die es nicht ge­ge­ben hat. Nicht zu ver­ges­sen sind au­ßer­dem die mo­der­nen An­for­de­run­gen an Bau­si­cher­heit oder Brand­schutz In die­sem Span­nungs­feld be­we­gen sich mu­sea­le Re­prä­sen­ta­tio­nen im­mer.

Für das Band­we­ber­haus wur­de ent­schie­den, den Zeit­schnitt um 1910 zu zei­gen, da aus die­ser Zeit das meis­te Ori­gi­nal­in­ven­tar stammt. Des­halb wur­den et­wa die Was­ser­lei­tun­gen gar nicht erst wie­der auf­ge­baut und auch an­de­re, vor al­lem tech­ni­sche Neue­run­gen wie der Elek­tro­herd „ver­schwan­den“ aus dem Haus. Im Wohn­zim­mer hin­gen die Bil­der bei Über­nah­me schief an den Wän­den, ein Bil­der­rah­men hat­te ei­nen gro­ßen Sprung im Glas. Die Ta­pe­te war an vie­len Wand­tei­len ab­ge­blät­tert. Sol­len die­se Un­acht­sam­kei­ten und Ab­nut­zungs­er­schei­nun­gen, die im Lau­fe der Jah­re ent­stan­den und auch dem zu­neh­men­dem Al­ter der Be­woh­ne­rin ge­schul­det sind, wie­der­her­ge­stellt wer­den? Das Mu­se­um hat sich da­ge­gen ent­schie­den. Denn die­ser Zu­stand wur­de wahr­schein­lich erst nach 1910, mit zu­neh­men­dem Al­ter der Be­woh­ne­rin und des Hau­ses, er­reicht. Da­mit wird ein Stück Wirk­lich­keit aus­ge­blen­det, aber auch ei­ne Mög­lich­keit dar­ge­stellt, wie das Haus viel­leicht ei­ni­ge Jahr­zehn­te vor der Über­nah­me aus­ge­se­hen hat – als nicht nur ei­ne, zu­dem al­te, Per­son hier wohn­te, son­dern ei­ne gan­ze Fa­mi­lie.

Trotz die­ser sau­be­re­ren Dar­stel­lung, die viel­leicht auch Din­ge „schön ge­mach­t“ hat und im­mer die In­ter­pre­ta­ti­on der For­sche­rin­nen und For­scher ent­hält, sind die Ob­jek­te im Haus au­then­tisch: sie wur­den von der Band­we­ber­fa­mi­lie jahr­zehn­te­lang be­nutzt und sind so ori­gi­nal­ge­treu wie mög­lich im Mu­se­um prä­sen­tiert. Die Gie­ß­kan­ne et­wa, die im Band­we­ber­haus im Fens­ter des Wohn­zim­mers di­rekt hin­ter der Sitz­grup­pe stand – oh­ne dass am Ori­gi­nal­stand­ort zu wäs­sern­de Blu­men im Raum wa­ren – wur­de auch im Mu­se­um wie­der auf­ge­stellt. War­um sie hier steht, ist nicht nur uns als For­sche­rin­nen und For­scher ein Rät­sel, son­dern die Fra­ge regt viel­leicht auch die Mu­se­ums­be­su­che­rin­nen und -be­su­cher zum Nach­den­ken und Hin­ter­fra­gen von Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten an.

Rekonstruktion von Nutzungen, Erhalt der Bausubstanz

Noch deut­li­cher wer­den die Un­ter­schie­de, wenn man das Haus von au­ßen be­trach­tet. Mit ih­ren 87 Jah­ren hat­te Ma­ria Thie­mann den Gar­ten in den letz­ten Jah­ren of­fen­sicht­lich nicht mehr be­wirt­schaf­tet, denn die ers­ten Bil­der der Fo­to­do­ku­men­ta­ti­on zei­gen ei­nen ver­wil­der­ten, zu­ge­wach­se­nen Gar­ten, der durch Sträu­cher und Bäu­me über­dacht ist. Die He­cke am Gar­ten­zaun ist alt und knor­rig, das gan­ze Haus ist fast hin­ter Bäu­men ver­steckt. Die ver­schie­fer­te Fas­sa­de hat Grün­be­lag, der Lack an den Fens­ter­rah­men blät­tert ab – man sieht dem Haus an, dass hier lan­ge kei­ne Sa­nie­rung statt­ge­fun­den hat. Durch die Trans­lo­zie­rung ins Mu­se­um wur­de das Haus in sei­ne Ein­zel­tei­le zer­legt und dann am neu­en Stand­ort wie­der zu­sam­men­ge­baut. Da­bei ist es gar nicht mög­lich, die Bau­schä­den zu er­hal­ten – ei­ni­ge Be­stand­tei­le wie die Lehm­fül­lung muss­ten kom­plett neu her­ge­stellt wer­den. Vie­le an­de­re Bau­tei­le wur­den im Rah­men des Ab- und Auf­baus re­stau­riert, vor al­lem um sie zu er­hal­ten – so et­wa die Fens­ter.

Der Gar­ten wur­de im Mu­se­um kom­plett neu an­ge­legt. Da­bei konn­te auf al­te Plä­ne zu­rück­ge­grif­fen wer­den, so dass die Bee­te heu­te so be­pflanzt wer­den, wie es die Fa­mi­lie Thie­mann viel­leicht auch vor 100 Jah­ren ge­tan hat: viel la­ger­fä­hi­ges Ge­mü­se und nur we­nig Obst, um den Ei­gen­be­darf an Le­bens­mit­teln auch im Win­ter de­cken zu kön­nen. Be­trach­tet man das Haus im Mu­se­um, wo es seit mitt­ler­wei­le 25 Jah­ren steht, so ist auch hier die Ver­än­de­rung an den Fo­tos be­reits deut­lich sicht­bar: Nicht nur die Be­bau­ung um das Grund­stück her­um ist mitt­ler­wei­le dich­ter und ent­spricht so stär­ker der Sied­lungs­struk­tur in Wup­per­tal-Rons­dorf, auch die Bäu­me, He­cken und Sträu­cher sind mit der Zeit ge­wach­sen, so dass die Räu­me dunk­ler wir­ken und der Gar­ten schwe­rer ein­seh­bar ist. Trotz­dem wird das Haus im Mu­se­um im­mer ei­ne Re­kon­struk­ti­on blei­ben, wel­che dem Ori­gi­nal­zu­stand nicht ent­spre­chen kann. Mehr noch: ei­nen Ori­gi­nal­zu­stand gibt es nicht, denn das Haus hat sich mit sei­nen Be­woh­ne­rin­nen und Be­woh­ner und im Lau­fe der Zeit ge­wan­delt und ver­än­dert. Ei­ne Dar­stel­lung im Mu­se­um kann des­halb im­mer nur ei­ne Mo­ment­auf­nah­me sein.

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