Die Fotografie hat sich gewandelt: Mit zunehmender Technisierung wurden auch die Möglichkeiten der Fotoapparate und somit der Fotografie ausgeweitet. Fotografieren und fotografiert werden ist nicht mehr nur wenigen Personen vorbehalten, sondern gehört nun zum Alltag der meisten Menschen.
Fotografien immer und überall?
Selfie – ein Begriff, der vielen heutzutage bekannt ist. Er bedeutet, dass man ein Foto von sich selber macht – nicht mit einem Stativ und dem Selbstauslöser, sondern einfach mit ausgestrecktem Arm, oder mit einer sogenannten Selfie-Stange als Verlängerung des eigenen Armes. Fotografiert – nicht nur als Selfie – wird dabei überall: im Urlaub mit Meer im Hintergrund, bei der Arbeit vor Aktenschränken, in der Stadt, im Auto, in der Bahn oder im Badezimmer – Grenzen gibt es nahezu keine mehr. Mit der digitalen Fotografie haben sich vor allem die Anzahl und damit auch die Motive der Fotos deutlich erhöht.
Betrachtet man im Gegensatz dazu die Geschichte der Fotografie, lässt sich von einer Entgrenzung der Fotografie sprechen: Heutzutage wird geknipst, früher wurden in der Regel besondere Anlässe und Situationen versucht mit der Kamera festzuhalten. Die heute zur Verfügung stehenden Geräte sind nahezu jedem zugänglich und das häufig in multipler Weise: Fast alle Menschen besitzen mittlerweile ein Mobiltelefon, mit welchem man unter anderem auch fotografieren kann. Zusätzlich gibt es Kameras in diversen Ausführungen: Spiegelreflexkameras, Kleinbildkameras, Digitalkameras in allen Qualitäten, Kameras in Tablets und Unterwasserkameras – um nur einige Varianten zu nennen. Den technischen Möglichkeiten sind heutzutage kaum Grenzen gesetzt, Neuerungen erscheinen in immer kürzer werdenden Abständen auf dem Markt, digitale Kameras haben die analoge Fotografie weitgehend abgelöst. Die Geräte decken verschiedene Preissegmente ab und sind demnach für nahezu jedermann verfügbar. Ergo hat auch die Häufigkeit der Aufnahmen zugenommen: Geknipst wird, was vor die Linse kommt und Spaß macht, denn die Speichermöglichkeiten haben spätestens seit Einführung der Digitalfotografie ebenfalls zugenommen und die Zeiten, als man einen Film kaufen musste, nur eine begrenzte Anzahl Bilder zur Verfügung hatte und der Kostenaufwand der Entwicklung in einem professionellen Fotolabor hoch waren, sind längst vorbei. Direkt von der Kamera können die Bilder heute auf den Computer übertragen werden und sind sofort nach der Aufnahme einsehbar. Fotos werden wohl auch deshalb immer öfter lediglich digital gespeichert, statt in einem Fotoalbum eingeklebt und gegebenenfalls beschriftet zu werden. Nur eine Auswahl schafft es noch ausgedruckt zu werden, die schönsten Urlaubserinnerungen werden vielleicht kompakt in einem Fotobuch gedruckt oder als digitale Diashow zusammengestellt.
Anlässe im Wandel
Als die Fotografie sich im 19. Jahrhundert entwickelte und langsam Einzug in (zunächst) höhere gesellschaftliche Kreise hielt, war es vor allem die Porträtfotografie, die faszinierte. Professionelle Fotografen – die Ausrüstung war ja noch teuer – lichteten Bürgertum und Adel in ihren reich ausgestatteten Fotoateliers ab. Das eigene Foto wurde zu einem Statussymbol und in Einsteckalben präsentiert. Langsam weiteten sich die Motive. Dorfansichten und Landschaften kamen hinzu, zu besonderen Anlässe wurden Fotografen engagiert. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts existieren von Personen oft nur ein oder zwei Fotos: zur Kommunion, zur Hochzeit, vielleicht noch zum Tod wurde das Individuum im Bild festgehalten. Noch heute sind diese Lebenslauf prägenden Termine Anlass für Fotos und auch heute werden oftmals professionelle Fotografen für diese besonderen Tage im Leben gebucht. Tatsache ist jedoch, dass sich die Anlässe mehren, beziehungsweise eine Fotografie keinen besonderen Stellenwert im Leben mehr einnimmt sondern im Alltag nahezu inflationär geschossen wird. Ob im Hochzeitskleid, im Bikini oder in Jeans und T-Shirt, jeder Moment ist mittlerweile Anlass für ein Foto. Schaut man sich historische Fotografien an, fällt auf, dass die Personen in der Regel mit einem ernsten Gesichtsausdruck abgebildet sind und vor der Kamera in Festtags- oder Sonntagskleidung posierten, was die hohe Wertigkeit eines Fotos deutlich anzeigt. Schnappschüsse hielten erst mit der Verbreitung kostengünstiger Kleinbildkameras ab den 1950er Jahren Einzug in fotografische Archive.
Vornehmlich findet in Fotografien das vermeintlich Besondere Beachtung – die aus dem Alltag herausgehobenen Feste beschließen einen Abschnitt des Lebens und sind Beginn eines anderen. Gerade ihre Besonderheit war Anlass zur Fotografie. Der Alltag wird spätestens mit der Popularisierung des Fotografierens seit den 1960er Jahren zum Motiv, mit der Digitalfotografie hat die Ablichtung des Alltäglichen noch einmal deutlich zugenommen. Eine noch intensivere fotografische Verfertigung von Momentaufnahmen manifestierte sich bis heute mit der Zunahme des Besitzes von Smartphones und ähnlichen Geräten, welche ohnehin im Alltag von den meisten Menschen mitgeführt werden und damit jederzeit zur Verfügung stehen. Geändert hat sich jedoch bis heute eines nicht: Fotografien dienten und dienen der Erinnerung, sie halten Augenblicke des Lebens fest und fungieren für den Betrachter und die Betrachterin als Erinnerungsträger von Momenten einer vergangenen Zeit. Ergänzt wird diese Funktionsebene durch den Aspekt der Inszenierung und Selbstdarstellung durch Fotografie. Fotos haben damit auch eine soziale und identitätsstiftende Funktion, die sich gerade aktuell in den sozialen Medien beobachten lässt.