Eines der am häufigsten und in unterschiedlichsten Kontexten auftauchenden Schlagworte zu Alltagskulturen im Rheinland ist das Ei. Eierspeisen in allen Variationen sind ebenso beliebt in der traditionellen ländlichen Küche wie in modernen Studierendenhaushalten, das frühmorgendliche „Spiegeleieressen“ gehört zu zahlreichen Brauchkomplexen von Schützenfest bis Karneval. In Brauchkomplexen wird das Ei nicht nur verzehrt, sondern bemalt, verschenkt, gesammelt, erspielt, ersungen und in Dekorationselemente eingebaut. Zur Aufbewahrung und Verarbeitung von Eiern sind unterschiedlichste Geräte und Objekte in Haushalten vorhanden. Eier werden in sehr unterschiedlichen Alltagskontexten genutzt.
Eier als Nahrungsmittel
Grundsätzlich sind Eier sehr wertvolle Nahrungsmittel. Sie enthalten ebensoviel Eiweiß wie Fleisch, dazu hochwertige Fette. Sie sind in der Küche vielfältig einsetzbar und notwendige Zutat für zahlreiche Speisen. Eine Vielzahl von Ernährungsratgebern thematisiert das Hühnerei als Nahrungsmittel, wie 1997 und 1976 die Broschüren „Eier“ und „Eierqualität“ des Auswertungs- und Informationsdienst für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten e.V., Bonn. Eier waren preiswert und das ganze Jahr über verfügbar.
Hühnerhaltung
In traditionellen ländlichen Kontexten gehörten Hühner zu den in fast jedem Haushalt vorhandenen Kleintieren: Sie beanspruchten wenig Platz, sind als Allesfresser leicht zu versorgen, suchen sich ihr Futter bei Freilandhaltung weitgehend selbst, legen regelmäßig Eier und dienen als Fleischlieferant. Je nach Größe des Haushalts schwankte die Zahl der gehaltenen Hühner zwischen zwei und 20, mehr Hühner zu halten bedeutete eine stärker wirtschaftliche Ausrichtung, z. B. durch den Verkauf von Eiern. Die heute praktizierte Form der Massenhaltung von Hühnern zur Eier- und Fleischproduktion setzte sich erst seit den 1950er durch und spitzt sich seit den 1980er Jahren zu einer industrialisierten Lebensmittelproduktion zu.
Zubereitungsarten
Die aus der eigenen Hühnerhaltung gewonnenen Eier konnten gekocht oder gebraten werden, mit Eiern wurden Kartoffel- und Mehlspeisen angereichert und damit nahrhafter. Eier sind verhältnismäßig lange haltbar und können auch ohne Kühlung, die vor der Elektrifizierung nur in wohlhabenden Haushalten vorhanden war, weitaus länger als Fleisch frisch gelagert werden. Auch Krankenspeisen und Sondernahrung (z. B. von Wöchnerinnen) wurden mit Ei ergänzt; so wird für die Wöchnerin empfohlen, „1 Ei im Bierglas mit Zucker geschlagen und mit dunklem Bier Malzbier aufgefüllt.“ Eier sind außerdem Bindemittel für Gerichte auf Teigbasis. Koch-, Back- und Rezeptbücher bieten einen großen Überblick über die Verwendung von Eiern in der Küche. Für Notzeiten wurden eigene Rezepte verlegt, bei denen auf Eier (und Fett) verzichtet werden konnte, wie in einer Broschüre aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Hier wird etwa vorgeschlagen, Kuchen mit geringem Fettanteil durch die Verwendung von Kartoffeln, Möhren oder Quark herzustellen, Eier werden durch größere Mengen Backpulver eingespart.
Um Eier länger haltbar zu machen, wurden sie gekocht und häufig eingelegt: Soleier waren bis in die 1960er Jahre noch ein beliebter Imbiss in Gaststätten, vor allem in Arbeitermilieus und im ländlichen Raum. Hierzu wurden Eier zunächst hart gekocht, dann in verschließbaren Gefäßen mit heißer Salzlauge übergossen. Nach einer Woche waren sie verzehrfertig und hielten mehrere Monate im Soleiertopf. Für den Verzehr wurde das Ei dann von der Schale befreit, halbiert, das hartgekochte Eigelb entfernt und die dadurch entstandene Mulde mit Senf, Pfeffer, Essig und Öl gefüllt. Nun wurde das Eigelb wieder aufgesetzt und das halbe Ei in einem Bissen gegessen. Für diesen Imbiss der Soleier waren die Zutaten in speziellen Gefäßkombinationen auf den Tresen von Kneipen vorrätig, es gab sie aber ebenso in Privathaushalten.
Mit der Technisierung des Haushalts ab den 1950er Jahren verändert sich auch der Umgang mit dem Ei. Spezielle elektrische Eierkocher sollen für einen exakten Härtegrad des Eis sorgen und das als unschön empfundene Aufplatzen der Eierschale beim Kochen verhindern. Das hier dargestellte Gerät ist ein Tauchsieder mit einem Einsatz zum Eierkochen aus den 1950er Jahren. Regelmäßig geschnittene Scheiben von hartgekochten Eiern, mit denen Salate und belegte Brotscheiben des „kalten Buffets“ garniert wurden, garantierte der Eiertrenner. Neben Eierscheiben waren auch Eier in Sechstel geteilt ein beliebtes Dekorationselement, das sich mit einem entsprechenden Schneidegerät herstellen ließ. In Scheiben geschnittene hartgekochte Eier sind auch Teil der aktuellen Imbisskultur, beispielsweise bieten zahlreiche Bäckereien belegte Brötchen an, die als Garnitur neben Salatblättern, Tomaten- und Gurken- auch Eierscheiben enthalten.
Eier im Mahlzeitensystem und als Fastenspeise
Eier konnten zu jeder Mahlzeit konsumiert werden: zum Frühstück, als Zwischenmahlzeit, als Mittag- und Abendessen, etwa als Omelette, Pfannkuchen oder in Kombinationen wie „Spinat mit Spiegelei“. In den Umfragen zum Wandel der Mahlzeit seit 1900 wird deutlich, dass das klassische gekochte Ei zum Frühstück allerdings erst im 20. Jahrhundert auf den (vor allem) Sonntagsfrühstückstisch kommt: Mit dem Wechsel von Brei- zum Brotfrühstück wird das Ei frühstückstauglich, während es vorher nur als Teigzutat in den verbreiteten Pfannkuchenspeisen als erste Mahlzeit des Tages auftauchte. Eier waren zudem Fastenspeise, d. h. während der religiös definierten Fastenzeiten waren unter anderem Fleischspeisen verboten, die durch Eierspeisen kompensiert werden konnten. Während das frühe Mittelalter Eier in seine strengen Fastengebote einbezog, lockerten sich die Gebote im Laufe des Spätmittelalters. Mit der Aufhebung des Laktizinienverbotes (darunter fielen neben Milch und Milchprodukte auch Eier) 1486 erweiterte sich der Speiseplan der Fastenzeit deutlich, wurde allerdings regional und milieubedingt unterschiedlich umgesetzt.
Der Kölner Chronist Hermann Weinsberg schreibt 1578, dass sich in Köln viele Bürger „dem alten Kirchenbrauch“ folgten und auch auf Eier und Käse verzichten. Daraus folgt auch die hohe Bedeutung von Eiern in den dem Fasten vorangehenden und folgenden Speisen: Karnevalsgebäck hat einen hohen Fett- und Ei-Anteil, denn um die Eier nicht verkommen zu lassen wurden die Vorräte vor Beginn der 40tägigen Fastenzeit aufgebraucht. Im 19. Jahrhundert hatten sich im Rheinland Eierspeisen wie Pfannkuchen, Mehlknödel u.ä. als Fastenspeisen eingebürgert, das belegen u. a. Medizinaltopographien aus dieser Zeit. Einige davon werden noch Mitte des 20. Jahrhunderts als besondere Fastenspeisen mit Regionalbezug und gelegentlich bis heute mit emotionalen Bezügen erinnert. So werden etwa in den 1980er Jahren Pfannkuchen, Nudeln, Klöße und Knudeln als typische Fastenspeisen genannt. Für Gründonnerstag wird „Spinat mit Spiegelei“ genannt. Eine Umfrage in Köln aus dem Jahr 2013 erbrachte ebenfalls noch zahlreiche Angaben zu „Spinat mit Spiegelei“ als klassischem Gründonnerstags-Fasten-Essen.
Eier als Währung
Aus der ständigen Verfügbarkeit von Eiern im bäuerlichen Haushalt erklärt sich ihre Funktion als Tauschobjekt bis hin zu einer Art Währung: Eier gehörten zu Pacht- und Zinsabgaben sowie zur Entlohnung von Lehrer, Vikar und Pfarrer. Eine Reihe von Brauchelementen gehören, zwar ergänzt oder verschmolzen mit anderen Bedeutungsebenen, in den Kontext dieser mehrmals im Jahr terminierten Pacht- und Zinszahlungen, z. B. die Eiergabe zu Ostern. Beim Karklappern werden in einigen Gemeinden von den Klapperkindern Eier gesammelt, die im Anschluss nach einem bestimmten Schlüssel an alle mitlaufenden Kinder verteilt werden.
Eier als symbolische Speise: Ostereier
Als Symbol wird das Ei in vielen Kulturen mit Leben und Fruchtbarkeit verbunden. Im christlichen Kontext symbolisiert das Ei die Auferstehung und wird vor allem im Kontext des Osterfestes verwendet. Das Kochen und Färben der Eier zu Ostern diente zum einen der Haltbarmachung, wurde zum anderen aber schnell symbolisch aufgeladen. Rot gefärbte Ostereier sollen das Blut Christi sowie seinen Status als Herrscher der Welt symbolisieren. Das Schenken von (gefärbten) Eiern zu Ostern stand in Zusammenhang mit den bereits erwähnten Naturalabgaben in dieser Zeitphase. Zudem ist das Frühjahr die Zeit im Jahr, in der die Hühner mehr Eier legen. Die gesteigerte Produktion von Eiern und der geringere Eierkonsum während der Fastenzeit sorgten im Mittelalter zu einer Ansammlung von Eiern in den Haushalten. Die Osterzeit war daher eine Zeit des vermehrten Eierkonsums, die Eier wurden verschenkt (z. B. als Patengabe und im 19. Jahrhundert als Liebesgabe), selbst Spiele mit diesem Nahrungsmittel waren zugelassen und sind z. T. bis heute populär. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Eierschenken zum Kinder- und Familienbrauch, bei dem Ostereier versteckt und von den Kindern gesucht werden. Im späten 20. Jahrhundert kommen Veranstaltungen im öffentlichen Raum hinzu, bei denen Kinder ebenfalls mit Ostereiern beschenkt werden.
Mit der Entwicklung der Süßwarenindustrie werden seit dem frühen 20. Jahrhundert die gekochten und verzierten Hühnereier zunehmend von Schokoladeneiern ergänzt. Seit den 1960er Jahren steigt der Konsum der Schokoladeneier deutlich an. Ostereier werden aber auch die nicht zum Verzehr geeigneten Eier(teile) genannt, die für Dekorationen besonders verziert werden. Hühner- aber auch Enten- und Gänseeier werden vorsichtig mit einer Nadel an zwei Enden aufgebohrt und der Inhalt ausgeblasen (Windeier). Die leere Eierschale kann nun mit verschiedenen Techniken (Bemalen, Ätzen, Kratztechniken, Sägen, etc.) bearbeitet werden, während die Eier selbst im Mahlzeitensystem Verwendung finden. Die so kunstvoll verzierten Ostereier dienen als Schmuck von Ostersträußen. Besonders in Osteuropa sind solche Techniken verbreitet, in Deutschland beispielsweise bei den Sorben in der Lausitz. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden außerdem in industrieller Massenproduktion hergestellte Dekorationsostereier aus Holz oder Kunststoff angeboten. Mit der Verbreitung des Osterstrauchs seit den 1960er Jahren, der seit dieser Zeit aus Norddeutschland Richtung Süden diffundiert, und der zunehmenden Popularität jahreszeitlicher Dekorationen des Hauses und Wohnraums, verbreiten sich diese Massenprodukte. Selbst Grabstätten werden mit Osterdekoration geschmückt. In ihrer Ausgestaltung unterliegt Osterdekoration jährlich wechselnden Moden.
Eier in weiteren Brauchkomplexen
Nicht nur im Osterbrauch werden Eier gesammelt. Der am Ostersonntag gepflegte Kinderbrauch ist eine Art Sonderfall des Eiersammelns in Brauchkomplexen, es überwiegt das Eiersammeln in Zusammenhang mit Heischebräuchen. Dies sind durch Brauch legitimierte Bittgänge, die in der Vormoderne der Versorgung prekär lebender Bevölkerungsgruppen dienten. Sie prägen vor allem das Winterhalbjahr, da in dieser Zeit die Lohnarbeit im Bereich der Landwirtschaft deutlich eingeschränkt war. Mit Ende des bäuerlichen Arbeitsjahres Ende Oktober/Anfang November begann zu Allerheiligen/Allerseelen die Reihe der Heischebräuche. Es folgten St. Martin, Dreikönig und Fastnacht. Die Struktur dieser Bräuche ist immer gleich: Gruppen von Heischenden ziehen durch die Dörfer und zu den Bauernhöfen und bitten um eine Gabe: Lebensmittel wie Speck, Erbsen, Kartoffeln und Eier. Als Gegengabe wurden Gesang, Fürbitten und Segen vorgetragen.
Im Zuge des sozialen Wandels im 19. und zunehmend im 20. Jahrhundert wurden die Heischebräuche als vormoderne Sozialfürsorge obsolet. Sie wurden von anderen Sozialgruppen – zunächst meist Junggesellenvereine, später Kinder – übernommen. Nun werden die gesammelten Lebensmittel zum direkten Verzehr in einem gemeinsamen Fest verwendet. So findet sich am Niederrhein der Brauch des Wurstjagens als Fastnachtsbrauch, bei dem Eier, Speck und Wurst geheischt werden, in Körrenzig in der Eifel werden im Kontext des Maibrauchs Eier ersungen und im Anschluss als Pfannkuchen gemeinsam verzehrt. Im Bergischen Land und an der Sieg ist das Pfingsteiersingen populär: Hier werden gemeinsam von jungen Männern und Frauen beim Heischegang traditionelle Lieder gesungen um Speck und Eier zum gemeinsamen Verzehr – aber auch zum Verkauf, um vom Erlös Alkohol kaufen zu können - zu erheischen.
In den Bräuchen, die zu Kinderbräuchen transformiert wurden (wie St. Martin und Dreikönig), werden Süßigkeiten geheischt, außerdem ist das Heischen oftmals mit sozialem Engagement verbunden (Dreikönig und Karklappern). Seit den 1990er Jahren verbreitet sich Halloween als weiterer Kinder-Heische-Brauch. Eine Besonderheit stellt das Eiersammeln zu Pfingsten in der Voreifel dar: Hier sind es ebenfalls Junggesellen, die Eier sammeln, allerdings sammeln sie die bereits ausgeblasenen Eierhüllen. Diese werden gemeinsam zur Pfingsteierkrone zusammengesetzt, die den Tanzplatz zum Maifest schmückt. Unter dieser Pfingsteierkrone krönen die Junggesellen unter anderem in Küdinghoven, Holzlar und Ramersdorf am Pfingstmontag das Maikönigspaar.
Ein Eier-Fazit
Die große Bedeutung des Eis in den Alltagskulturen des 20. Jahrhunderts ist aus unterschiedlichen Funktions-und Bedeutungskontexten zusammengeflossen: Als wertvolles, aber preiswertes und verfügbares Grundnahrungsmittel wird es vielfältig in regionaler Küche eingesetzt. Die Möglichkeiten der Verarbeitung und die Notwendigkeiten sachgerechter Aufbewahrung und Konservierung entwickeln einen reichen Bestand an materieller (Geräte, Gefäße) wie immaterieller (Zubereitungsarten, medikales Wissen) Kultur. Durch symbolische Bedeutungen aufgewertet, wird das Ei Zentralelement in unterschiedlichen Brauchkomplexen, wobei sich religiös-spirituelle Symbolik und Alltagspragmatik ergänzen.
Weiterführende Literatur
Döring, Alois: Rheinische Bräuche durch das Jahr. Köln 2006.
Heizmann, Berthold: Die rheinische Mahlzeit. Zum Wandel der Nahrungskultur im Spiegel lokaler Berichte. Köln 1994.
Heizmann, Berthold: Von Apfelkraut bis Zimtschnecke. Lexikon der rheinischen Küche. Köln, 2. Auflage 2011.
Moser, Dietz-Rüdiger: Bräuche und Feste im christlichen Jahreslauf. Graz (u.a.) 1993.
Zwingelberg, Tanja: Medizinische Topographien, städtebauliche Entwicklungen und die Gesundheit der Einwohner urbaner Räume im 18. und 19. Jahrhundert. Göttingen 2013.