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Von Eiern, Hühnern und Kronen

Zum Alltagsgebrauch von Eiern

Eines der am häufigsten und in unterschiedlichsten Kontexten auftauchenden Schlagworte zu Alltagskulturen im Rheinland ist das Ei. Eierspeisen in allen Variationen sind ebenso beliebt in der traditionellen ländlichen Küche wie in modernen Studierendenhaushalten, das frühmorgendliche „Spiegeleieressen“ gehört zu zahlreichen Brauchkomplexen von Schützenfest bis Karneval. In Brauchkomplexen wird das Ei nicht nur verzehrt, sondern bemalt, verschenkt, gesammelt, erspielt, ersungen und in Dekorationselemente eingebaut. Zur Aufbewahrung und Verarbeitung von Eiern sind unterschiedlichste Geräte und Objekte in Haushalten vorhanden. Eier werden in sehr unterschiedlichen Alltagskontexten genutzt.

Eier als Nahrungsmittel

Ratgeber zur Eiqualität, aid 1976

Ratgeber zu Eiern, aid 1997

Grund­sätz­lich sind Ei­er sehr wert­vol­le Nah­rungs­mit­tel. Sie ent­hal­ten eben­so­viel Ei­weiß wie Fleisch, da­zu hoch­wer­ti­ge Fet­te. Sie sind in der Kü­che viel­fäl­tig ein­setz­bar und not­wen­di­ge Zu­tat für zahl­rei­che Spei­sen. Ei­ne Viel­zahl von Er­näh­rungs­ratge­bern the­ma­ti­siert das Hüh­ner­ei als Nah­rungs­mit­tel, wie 1997 und 1976 die Bro­schü­ren „Ei­er“ und „Ei­er­qua­li­tät“ des Aus­wer­tungs- und In­for­ma­ti­ons­dienst für Er­näh­rung, Land­wirt­schaft und Fors­ten e.V., Bonn. Ei­er wa­ren preis­wert und das gan­ze Jahr über ver­füg­bar.

Hühnerhaltung

Nebengebäude des Bandweberhauses Thiemann: Abort, Hühnerstall und Kaninchenställe. Rekonstruktion im Museum, Lindlar 2013
Photo: Stefan Arendt/LVR

In tra­di­tio­nel­len länd­li­chen Kon­tex­ten ge­hör­ten Hüh­ner zu den in fast je­dem Haus­halt vor­han­de­nen Klein­tie­ren: Sie be­an­spruch­ten we­nig Platz, sind als Al­les­fres­ser leicht zu ver­sor­gen, su­chen sich ihr Fut­ter bei Frei­land­hal­tung weit­ge­hend selbst, le­gen re­gel­mä­ßig Ei­er und die­nen als Fleischlie­fe­rant. Je nach Grö­ße des Haus­halts schwank­te die Zahl der ge­hal­te­nen Hüh­ner zwi­schen zwei und 20, mehr Hüh­ner zu hal­ten be­deu­te­te ei­ne stär­ker wirt­schaft­li­che Aus­rich­tung, z. B. durch den Ver­kauf von Ei­ern. Die heu­te prak­ti­zier­te Form der Mas­sen­hal­tung von Hüh­nern zur Ei­er- und Fleisch­pro­duk­ti­on setz­te sich erst seit den 1950er durch und spitzt sich seit den 1980er Jah­ren zu ei­ner in­dus­tria­li­sier­ten Le­bens­mit­tel­pro­duk­ti­on zu.

Zubereitungsarten

Tauchsieder mit Eiereinsatz, 1950er Jahre
Photo: Sabine König/LVR

Eierschneider mit Verpackung, 1950er Jahre
Photo: Gerhards, Hans-Theo/LVR

Die aus der ei­ge­nen Hüh­ner­hal­tung ge­won­ne­nen Ei­er konn­ten ge­kocht oder ge­bra­ten wer­den, mit Ei­ern wur­den Kar­tof­fel- und Mehl­spei­sen an­ge­rei­chert und da­mit nahr­haf­ter. Ei­er sind ver­hält­nis­mä­ßig lan­ge halt­bar und kön­nen auch oh­ne Küh­lung, die vor der Elek­tri­fi­zie­rung nur in wohl­ha­ben­den Haus­hal­ten vor­han­den war, weit­aus län­ger als Fleisch frisch ge­la­gert wer­den. Auch Kran­ken­spei­sen und Son­der­nah­rung (z. B. von Wöch­ne­rin­nen) wur­den mit Ei er­gänzt; so wird für die Wöch­ne­rin emp­foh­len, „1 Ei im Bier­glas mit Zu­cker ge­schla­gen und mit dunk­lem Bier Malz­bier auf­ge­füllt.“ Ei­er sind au­ßer­dem Bin­de­mit­tel für Ge­rich­te auf Teig­ba­sis. Koch-, Back- und Re­zept­bü­cher bie­ten ei­nen gro­ßen Über­blick über die Ver­wen­dung von Ei­ern in der Kü­che. Für Not­zei­ten wur­den ei­ge­ne Re­zep­te ver­legt, bei de­nen auf Ei­er (und Fett) ver­zich­tet wer­den konn­te, wie in ei­ner Bro­schü­re aus der Zeit des Zwei­ten Welt­kriegs. Hier wird et­wa vor­ge­schla­gen, Ku­chen mit ge­rin­gem Fett­an­teil durch die Ver­wen­dung von Kar­tof­feln, Möh­ren oder Quark her­zu­stel­len, Ei­er wer­den durch grö­ße­re Men­gen Back­pul­ver ein­ge­spart.

Um Ei­er län­ger halt­bar zu ma­chen, wur­den sie ge­kocht und häu­fig ein­ge­legt: Sol­ei­er wa­ren bis in die 1960er Jah­re noch ein be­lieb­ter Im­biss in Gast­stät­ten, vor al­lem in Ar­bei­ter­mi­lieus und im länd­li­chen Raum. Hier­zu wur­den Ei­er zu­nächst hart ge­kocht, dann in ver­schließ­ba­ren Ge­fä­ßen mit hei­ßer Salz­lau­ge über­gos­sen. Nach ei­ner Wo­che wa­ren sie ver­zehr­fer­tig und hiel­ten meh­re­re Mo­na­te im Sol­ei­er­topf. Für den Ver­zehr wur­de das Ei dann von der Scha­le be­freit, hal­biert, das hart­ge­koch­te Ei­gelb ent­fernt und die da­durch ent­stan­de­ne Mul­de mit Senf, Pfef­fer, Es­sig und Öl ge­füllt. Nun wur­de das Ei­gelb wie­der auf­ge­setzt und das hal­be Ei in ei­nem Bis­sen ge­ges­sen. Für die­sen Im­biss der Sol­ei­er wa­ren die Zu­ta­ten in spe­zi­el­len Ge­fä­ß­kom­bi­na­tio­nen auf den Tre­sen von Knei­pen vor­rä­tig, es gab sie aber eben­so in Pri­vat­haus­hal­ten.

Mit der Tech­ni­sie­rung des Haus­halts ab den 1950er Jah­ren ver­än­dert sich auch der Um­gang mit dem Ei. Spe­zi­el­le elek­tri­sche Ei­er­ko­cher sol­len für ei­nen ex­ak­ten Här­te­grad des Eis sor­gen und das als un­schön emp­fun­de­ne Auf­plat­zen der Ei­er­scha­le beim Ko­chen ver­hin­dern. Das hier dar­ge­stell­te Ge­rät ist ein Tauch­sie­der mit ei­nem Ein­satz zum Ei­er­ko­chen aus den 1950er Jah­ren. Re­gel­mä­ßig ge­schnit­te­ne Schei­ben von hart­ge­koch­ten Ei­ern, mit de­nen Sa­la­te und be­leg­te Brot­schei­ben des „kal­ten Buf­fets“ gar­niert wur­den, ga­ran­tier­te der Ei­er­tren­ner. Ne­ben Ei­er­schei­ben wa­ren auch Ei­er in Sechs­tel ge­teilt ein be­lieb­tes De­ko­ra­ti­ons­ele­ment, das sich mit ei­nem ent­spre­chen­den Schnei­de­ge­rät her­stel­len ließ. In Schei­ben ge­schnit­te­ne hart­ge­koch­te Ei­er sind auch Teil der ak­tu­el­len Im­biss­kul­tur, bei­spiels­wei­se bie­ten zahl­rei­che Bä­cke­rei­en be­leg­te Bröt­chen an, die als Gar­ni­tur ne­ben Sa­lat­blät­tern, To­ma­ten- und Gur­ken- auch Ei­er­schei­ben ent­hal­ten.

Eier im Mahlzeitensystem und als Fastenspeise

Rezeptheft von Dr. Oetker zum Backen ohne Eier, ca. 1939-1941

Ei­er konn­ten zu je­der Mahl­zeit kon­su­miert wer­den: zum Früh­stück, als Zwi­schen­mahl­zeit, als Mit­tag- und Abend­es­sen, et­wa als Ome­lette, Pfann­ku­chen oder in Kom­bi­na­tio­nen wie „Spi­nat mit Spie­gelei“. In den Um­fra­gen zum Wan­del der Mahl­zeit seit 1900 wird deut­lich, dass das klas­si­sche ge­koch­te Ei zum Früh­stück al­ler­dings erst im 20. Jahr­hun­dert auf den (vor al­lem) Sonn­tags­früh­stücks­tisch kommt: Mit dem Wech­sel von Brei- zum Brot­früh­stück wird das Ei früh­stückstaug­lich, wäh­rend es vor­her nur als Teig­zu­tat in den ver­brei­te­ten Pfann­ku­chen­spei­sen als ers­te Mahl­zeit des Ta­ges auf­tauch­te. Ei­er wa­ren zu­dem Fas­ten­spei­se, d. h. wäh­rend der re­li­gi­ös de­fi­nier­ten Fas­ten­zei­ten wa­ren un­ter an­de­rem Fleisch­spei­sen ver­bo­ten, die durch Ei­er­spei­sen kom­pen­siert wer­den konn­ten. Wäh­rend das frü­he Mit­tel­al­ter Ei­er in sei­ne stren­gen Fas­ten­ge­bo­te ein­be­zog, lo­cker­ten sich die Ge­bo­te im Lau­fe des Spät­mit­tel­al­ters. Mit der Auf­he­bung des Lak­ti­zi­ni­en­ver­bo­tes (dar­un­ter fie­len ne­ben Milch und Milch­pro­duk­te auch Ei­er) 1486 er­wei­ter­te sich der Spei­se­plan der Fas­ten­zeit deut­lich, wur­de al­ler­dings re­gio­nal und mi­lieu­be­dingt un­ter­schied­lich um­ge­setzt.

Der Köl­ner Chro­nist Her­mann Weins­berg schreibt 1578, dass sich in Köln vie­le Bür­ger „dem al­ten Kir­chen­brauch“ folg­ten und auch auf Ei­er und Kä­se ver­zich­ten. Dar­aus folgt auch die ho­he Be­deu­tung von Ei­ern in den dem Fas­ten vor­an­ge­hen­den und fol­gen­den Spei­sen: Kar­ne­vals­ge­bäck hat ei­nen ho­hen Fett- und Ei-An­teil, denn um die Ei­er nicht ver­kom­men zu las­sen wur­den die Vor­rä­te vor Be­ginn der 40­tä­gi­gen Fas­ten­zeit auf­ge­braucht. Im 19. Jahr­hun­dert hat­ten sich im Rhein­land Ei­er­spei­sen wie Pfann­ku­chen, Mehl­knö­del u.ä. als Fas­ten­spei­sen ein­ge­bür­gert, das be­le­gen u. a. Me­di­zi­nal­to­po­gra­phi­en aus die­ser Zeit. Ei­ni­ge da­von wer­den noch Mit­te des 20. Jahr­hun­derts als be­son­de­re Fas­ten­spei­sen mit Re­gio­nal­be­zug und ge­le­gent­lich bis heu­te mit emo­tio­na­len Be­zü­gen er­in­nert. So wer­den et­wa in den 1980er Jah­ren Pfann­ku­chen, Nu­deln, Klö­ße und Knu­deln als ty­pi­sche Fas­ten­spei­sen ge­nannt. Für Grün­don­ners­tag wird „Spi­nat mit Spie­gelei“ ge­nannt. Ei­ne Um­fra­ge in Köln aus dem Jahr 2013 er­brach­te eben­falls noch zahl­rei­che An­ga­ben zu „Spi­nat mit Spie­gelei“ als klas­si­schem Grün­don­ners­tags-Fas­ten-Es­sen.

Eier als Währung

Ostereiersuchen, Euskirchen Ostern 2003
Photo: Weber, Peter/LVR

Aus der stän­di­gen Ver­füg­bar­keit von Ei­ern im bäu­er­li­chen Haus­halt er­klärt sich ih­re Funk­ti­on als Tausch­ob­jekt bis hin zu ei­ner Art Wäh­rung: Ei­er ge­hör­ten zu Pacht- und Zins­ab­ga­ben so­wie zur Ent­loh­nung von Leh­rer, Vi­kar und Pfar­rer. Ei­ne Rei­he von Brauch­ele­men­ten ge­hö­ren, zwar er­gänzt oder ver­schmol­zen mit an­de­ren Be­deu­tungs­ebe­nen, in den Kon­text die­ser mehr­mals im Jahr ter­mi­nier­ten Pacht- und Zins­zah­lun­gen, z. B. die Ei­er­ga­be zu Os­tern. Beim Kar­klap­pern wer­den in ei­ni­gen Ge­mein­den von den Klap­per­kin­dern Ei­er ge­sam­melt, die im An­schluss nach ei­nem be­stimm­ten Schlüs­sel an al­le mit­lau­fen­den Kin­der ver­teilt wer­den.

Eier als symbolische Speise: Ostereier

Grab mit Osterschmuck, Bergheim/Sieg 2010
Photo: Dagmar Hänel/LVR

Als Sym­bol wird das Ei in vie­len Kul­tu­ren mit Le­ben und Frucht­bar­keit ver­bun­den. Im christ­li­chen Kon­text sym­bo­li­siert das Ei die Auf­er­ste­hung und wird vor al­lem im Kon­text des Os­ter­fes­tes ver­wen­det. Das Ko­chen und Fär­ben der Ei­er zu Os­tern dien­te zum ei­nen der Halt­bar­ma­chung, wur­de zum an­de­ren aber schnell sym­bo­lisch auf­ge­la­den. Rot ge­färb­te Os­ter­ei­er sol­len das Blut Chris­ti so­wie sei­nen Sta­tus als Herr­scher der Welt sym­bo­li­sie­ren. Das Schen­ken von (ge­färb­ten) Ei­ern zu Os­tern stand in Zu­sam­men­hang mit den be­reits er­wähn­ten Na­tu­ral­ab­ga­ben in die­ser Zeit­pha­se. Zu­dem ist das Früh­jahr die Zeit im Jahr, in der die Hüh­ner mehr Ei­er le­gen. Die ge­stei­ger­te Pro­duk­ti­on von Ei­ern und der ge­rin­ge­re Ei­er­kon­sum wäh­rend der Fas­ten­zeit sorg­ten im Mit­tel­al­ter zu ei­ner An­samm­lung von Ei­ern in den Haus­hal­ten. Die Os­ter­zeit war da­her ei­ne Zeit des ver­mehr­ten Ei­er­kon­sums, die Ei­er wur­den ver­schenkt (z. B. als Pa­ten­ga­be und im 19. Jahr­hun­dert als Lie­bes­ga­be), selbst Spie­le mit die­sem Nah­rungs­mit­tel wa­ren zu­ge­las­sen und sind z. T. bis heu­te po­pu­lär. Im Ver­lauf des 19. Jahr­hun­derts ent­wi­ckel­te sich das Ei­er­schen­ken zum Kin­der- und Fa­mi­li­en­brauch, bei dem Os­ter­ei­er ver­steckt und von den Kin­dern ge­sucht wer­den. Im spä­ten 20. Jahr­hun­dert kom­men Ver­an­stal­tun­gen im öf­fent­li­chen Raum hin­zu, bei de­nen Kin­der eben­falls mit Os­ter­ei­ern be­schenkt wer­den.

Mit der Ent­wick­lung der Süß­wa­ren­in­dus­trie wer­den seit dem frü­hen 20. Jahr­hun­dert die ge­koch­ten und ver­zier­ten Hüh­ner­ei­er zu­neh­mend von Scho­ko­la­den­ei­ern er­gänzt. Seit den 1960er Jah­ren steigt der Kon­sum der Scho­ko­la­den­ei­er deut­lich an. Os­ter­ei­er wer­den aber auch die nicht zum Ver­zehr ge­eig­ne­ten Ei­er(tei­le) ge­nannt, die für De­ko­ra­tio­nen be­son­ders ver­ziert wer­den. Hüh­ner- aber auch En­ten- und Gän­see­ier wer­den vor­sich­tig mit ei­ner Na­del an zwei En­den auf­ge­bohrt und der In­halt aus­ge­bla­sen (Wind­ei­er). Die lee­re Ei­er­scha­le kann nun mit ver­schie­de­nen Tech­ni­ken (Be­ma­len, Ät­zen, Kratz­tech­ni­ken, Sä­gen, etc.) be­ar­bei­tet wer­den, wäh­rend die Ei­er selbst im Mahl­zei­ten­sys­tem Ver­wen­dung fin­den. Die so kunst­voll ver­zier­ten Os­ter­ei­er die­nen als Schmuck von Os­ter­sträu­ßen. Be­son­ders in Ost­eu­ro­pa sind sol­che Tech­ni­ken ver­brei­tet, in Deutsch­land bei­spiels­wei­se bei den Sor­ben in der Lau­sitz. Seit Mit­te des 20. Jahr­hun­derts wer­den au­ßer­dem in in­dus­tri­el­ler Mas­sen­pro­duk­ti­on her­ge­stell­te De­ko­ra­ti­ons­os­te­r­ei­er aus Holz oder Kunst­stoff an­ge­bo­ten. Mit der Ver­brei­tung des Os­ter­strauchs seit den 1960er Jah­ren, der seit die­ser Zeit aus Nord­deutsch­land Rich­tung Sü­den dif­fun­diert, und der zu­neh­men­den Po­pu­la­ri­tät jah­res­zeit­li­cher De­ko­ra­tio­nen des Hau­ses und Wohn­raums, ver­brei­ten sich die­se Mas­sen­pro­duk­te. Selbst Grab­stät­ten wer­den mit Os­ter­de­ko­ra­ti­on ge­schmückt. In ih­rer Aus­ge­stal­tung un­ter­liegt Os­ter­de­ko­ra­ti­on jähr­lich wech­seln­den Mo­den.

Eier in weiteren Brauchkomplexen

Pfingsteierkrone, Bonn-Küdinghoven 1984
Photo: Peter Weber/LVR

Schnibbelnde Kinder, Bladersbach, Ostermontag 1980
Photo: unbekannt/LVR

Nicht nur im Os­ter­brauch wer­den Ei­er ge­sam­melt. Der am Os­ter­sonn­tag ge­pfleg­te Kin­der­brauch ist ei­ne Art Son­der­fall des Ei­er­sam­melns in Brauch­kom­ple­xen, es über­wiegt das Ei­er­sam­meln in Zu­sam­men­hang mit Hei­sche­bräu­chen. Dies sind durch Brauch le­gi­ti­mier­te Bitt­gän­ge, die in der Vor­mo­der­ne der Ver­sor­gung pre­kär le­ben­der Be­völ­ke­rungs­grup­pen dien­ten. Sie prä­gen vor al­lem das Win­ter­halb­jahr, da in die­ser Zeit die Lohn­ar­beit im Be­reich der Land­wirt­schaft deut­lich ein­ge­schränkt war. Mit En­de des bäu­er­li­chen Ar­beits­jah­res En­de Ok­to­ber/An­fang No­vem­ber be­gann zu Al­ler­hei­li­gen/Al­ler­see­len die Rei­he der Hei­sche­bräu­che. Es folg­ten St. Mar­tin, Drei­kö­nig und Fast­nacht. Die Struk­tur die­ser Bräu­che ist im­mer gleich: Grup­pen von Hei­schen­den zie­hen durch die Dör­fer und zu den Bau­ern­hö­fen und bit­ten um ei­ne Ga­be: Le­bens­mit­tel wie Speck, Erb­sen, Kar­tof­feln und Ei­er. Als Ge­gen­ga­be wur­den Ge­sang, Für­bit­ten und Se­gen vor­ge­tra­gen.

Im Zu­ge des so­zia­len Wan­dels im 19. und zu­neh­mend im 20. Jahr­hun­dert wur­den die Hei­sche­bräu­che als vor­mo­der­ne So­zi­al­für­sor­ge ob­so­let. Sie wur­den von an­de­ren So­zi­al­grup­pen – zu­nächst meist Jung­ge­sel­len­ver­ei­ne, spä­ter Kin­der – über­nom­men. Nun wer­den die ge­sam­mel­ten Le­bens­mit­tel zum di­rek­ten Ver­zehr in ei­nem ge­mein­sa­men Fest ver­wen­det. So fin­det sich am Nie­der­rhein der Brauch des Wurst­ja­gens als Fast­nachts­brauch, bei dem Ei­er, Speck und Wurst ge­heischt wer­den, in Kör­ren­zig in der Ei­fel wer­den im Kon­text des Mai­brauchs Ei­er er­sun­gen und im An­schluss als Pfann­ku­chen ge­mein­sam ver­zehrt. Im Ber­gi­schen Land und an der Sieg ist das Pfingstei­er­sin­gen po­pu­lär: Hier wer­den ge­mein­sam von jun­gen Män­nern und Frau­en beim Hei­sche­gang tra­di­tio­nel­le Lie­der ge­sun­gen um Speck und Ei­er zum ge­mein­sa­men Ver­zehr – aber auch zum Ver­kauf, um vom Er­lös Al­ko­hol kau­fen zu kön­nen - zu er­hei­schen.

In den Bräu­chen, die zu Kin­der­bräu­chen trans­for­miert wur­den (wie St. Mar­tin und Drei­kö­nig), wer­den Sü­ßig­kei­ten ge­heischt, au­ßer­dem ist das Hei­schen oft­mals mit so­zia­lem En­ga­ge­ment ver­bun­den (Drei­kö­nig und Kar­klap­pern). Seit den 1990er Jah­ren ver­brei­tet sich Hal­lo­ween als wei­te­rer Kin­der-Hei­sche-Brauch. Ei­ne Be­son­der­heit stellt das Ei­er­sam­meln zu Pfings­ten in der Vor­ei­fel dar: Hier sind es eben­falls Jung­ge­sel­len, die Ei­er sam­meln, al­ler­dings sam­meln sie die be­reits aus­ge­bla­se­nen Ei­er­hül­len. Die­se wer­den ge­mein­sam zur Pfingstei­er­kro­ne zu­sam­men­ge­setzt, die den Tanz­platz zum Mai­fest schmückt. Un­ter die­ser Pfingstei­er­kro­ne krö­nen die Jung­ge­sel­len un­ter an­de­rem in Kü­ding­ho­ven, Holz­lar und Ra­mers­dorf am Pfingst­mon­tag das Mai­kö­nigs­paar.

Ein Eier-Fazit

Belegtes Baguette-Brötchen mit Eierscheiben in der Auslage eines Bistros, Sittard-Geleen 2003
Photo: Peter Weber/LVR

Die gro­ße Be­deu­tung des Eis in den All­tags­kul­tu­ren des 20. Jahr­hun­derts ist aus un­ter­schied­li­chen Funk­ti­ons-und Be­deu­tungs­kon­tex­ten zu­sam­men­ge­flos­sen: Als wert­vol­les, aber preis­wer­tes und ver­füg­ba­res Grund­nah­rungs­mit­tel wird es viel­fäl­tig in re­gio­na­ler Kü­che ein­ge­setzt. Die Mög­lich­kei­ten der Ver­ar­bei­tung und die Not­wen­dig­kei­ten sach­ge­rech­ter Auf­be­wah­rung und Kon­ser­vie­rung ent­wi­ckeln ei­nen rei­chen Be­stand an ma­te­ri­el­ler (Ge­rä­te, Ge­fä­ße) wie im­ma­te­ri­el­ler (Zu­be­rei­tungs­ar­ten, me­di­ka­les Wis­sen) Kul­tur. Durch sym­bo­li­sche Be­deu­tun­gen auf­ge­wer­tet, wird das Ei Zen­tra­l­ele­ment in un­ter­schied­li­chen Brauch­kom­ple­xen, wo­bei sich re­li­gi­ös-spi­ri­tu­el­le Sym­bo­lik und All­tags­prag­ma­tik er­gän­zen.

Weiterführende Literatur

Dö­ring, Alois: Rhei­ni­sche Bräu­che durch das Jahr. Köln 2006.

Heiz­mann, Bert­hold: Die rhei­ni­sche Mahl­zeit. Zum Wan­del der Nah­rungs­kul­tur im Spie­gel lo­ka­ler Be­rich­te. Köln 1994.

Heiz­mann, Bert­hold: Von Ap­fel­kraut bis Zimt­schne­cke. Le­xi­kon der rhei­ni­schen Kü­che. Köln, 2. Auf­la­ge 2011.

Mo­ser, Dietz-Rü­di­ger: Bräu­che und Fes­te im christ­li­chen Jah­res­lauf. Graz (u.a.) 1993.

Zwin­gel­berg, Tan­ja: Me­di­zi­ni­sche To­po­gra­phi­en, städ­te­bau­li­che Ent­wick­lun­gen und die Ge­sund­heit der Ein­woh­ner ur­ba­ner Räu­me im 18. und 19. Jahr­hun­dert. Göt­tin­gen 2013.

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