So vielschichtig und privat die unterschiedlichen Wohnformen auch sind, es gibt Gemeinsamkeiten im Wandel und in der Struktur. Prägend vor allem im 20. Jahrhundert sind soziale Repräsentation und individuelle Rückzugsmöglichkeiten, Grenzen und Entgrenzungen von Privatem und öffentlichem Raum. Wo die Funktionalität gesichert ist, treten andere Bedürfnisse in den Vordergrund.
Räume und ihre Nutzungen
Wohnen findet in Räumen statt. Neben einem Ort zum gemeinsamen Verweilen, der häufig auch zum Kochen genutzt wurde und wird, finden wir immer Orte der Ruhe und Erholung. Was heute in Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmern nach Funktionen getrennt in einzelnen Räumen stattfindet, war noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein oft in einem Raum vereint: gerade die ärmere Landbevölkerung und die Arbeiterinnen und Arbeiter hatten häufig nur ein Zimmer zur Verfügung, in dem gekocht, gegessen und geschlafen wurde – nicht selten mit einer ganzen Familie.
Erst mit zunehmendem Wohlstand differenzierten sich die Zimmer aus. So waren etwa eigene Kinderzimmer im 19. Jahrhundert Kindern des wohlhabenden Bürgertums vorbehalten. Auch das Badezimmer als Raum der Körperpflege etablierte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit Aufkommen der entsprechenden technischen Voraussetzungen flächendeckend. Doch auch bei begrenzten räumlichen Kapazitäten hatte sich bereits eine wichtige Funktion herausgebildet: jene der Repräsentation. Auch in kleinen Wohnungen und Häusern wurde eine gute Stube hergerichtet, die oft nur zu hohen Feiertagen oder zum Empfang von Besuch genutzt wurde.
Möbel und Accessoires als Mittel sozialer Distinktion
Erst durch die Einrichtung kommt die Funktion der Räume zu Tragen. Möbel wurden vor der industriellen Massenproduktion in der Regel für ein ganzes Leben gekauft und nicht selten über mehrere Generationen vererbt. Dabei war die Funktionalität bei den meisten Möbeln das kaufentscheidende Kriterium. Sie wurden genutzt und umgenutzt, bis sie kaputt waren. Erst mit der kostengünstigen Produktion in industrieller Fertigung und der Nutzung billiger Arbeitskraft aus anderen Weltteilen wurden Möbel stärker zu einem Modephänomen. Neben praktischen Aspekten stehen sie heute für einen Einrichtungsstil und sagen viel über die Bewohnerinnen und Bewohner aus. Noch mehr gilt die Selbstdarstellung und soziale Abgrenzung für Kleinmöbel und Wohnaccessoires. Wer sich keinen neuen Schrank leisten kann, der richtet sich mit neuen Dekorationselementen nach dem eigenen Geschmack ein: Zierdeckchen, Lampen, Vasen oder Wandschmuck zeugen von der Individualität – auch wenn diese oft nur scheinbar individuell ist, waren doch solche Einrichtungsgegenstände bereits im 19. Jahrhundert industriell hergestellte Massenware.
Mit dem Aufkommen der Unterhaltungsindustrie seit den 1920er Jahren gewannen Mediengeräte wie Radio, Fernsehgerät und Computer als Wohneinrichtung zunehmend an repräsentativer Bedeutung. Ein eigenes Gerät in der Wohnung zeigte nicht nur den eigenen technischen Fortschritt, sondern gerade in den kleinen Unterschieden – Größe, Marke, Aufmachung – auch die soziale Position. Die Einrichtung der Wohnzimmer verschob sich dementsprechend und stellte die Geräte zum Medienkonsum zunehmend in den Mittelpunkt des Raumes.
Wohnen und Arbeiten unter einem Dach?
Was für Handwerker oder Landwirte selbstverständlich war, verlor im 20. Jahrhundert an Bedeutung: die Verbindung von Arbeit und Wohnen im gleichen Gebäude oder sogar im gleichen Zimmer. Das Verlagssystem hatte Heimarbeit zur Regel gemacht, Bauern oder ihre Frauen verdienten sich durch Auftragsarbeit etwas zum landwirtschaftlichen Ertrag hinzu. Doch mit der zunehmenden Technisierung und Spezialisierung der Produktion verlor dieses Arbeiten in den eigenen Wohnräumen an Bedeutung. Auch die landwirtschaftlichen Betriebe wurden nach dem Zweiten Weltkrieg so groß, dass in der Regel eigene Gebäude oft räumlich getrennt von den Wohnhäusern für die Arbeitsaufgaben entstanden.
Stärker als die Konzentration der Funktionen unter einem Dach sind heute Fragen der Verkehrsanbindung und Mobilität entscheidend für die Wahl des Wohnortes. Gleichzeitig besteht ein gegenteiliger Trend: mit der Flexibilisierung der Arbeit geht auch ein wieder größerer Teil der Arbeitenden dazu über, zumindest einen Teil der Aufgaben zuhause in eigenen Arbeitszimmern zu erledigen. Mit der Durchsetzung von computergestütztem Arbeiten in immer mehr Berufszweigen wird der Internetanschluss zum Zugang zur Berufswelt.
Schöne neue Wohnwelt?
Wohnen im 20. Jahrhundert hat sich in vielen Bereichen gewandelt von einem zweckmäßigen, beengten Wohnen hin zur Selbstverwirklichung in den eigenen vier Wänden. Wohnbiografien sind flexibler geworden, die Menschen ziehen häufiger um und auch die Wohnungseinrichtung wird schneller erneuert als jemals zuvor. Dabei wird jedoch oft vergessen, dass auch heute Menschen in einfachen Verhältnissen wohnen und leben müssen. Wer auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, ob als Flüchtling, Arbeitsloser oder als chronisch Kranker, lebt oft beengt und provisorisch. Wohlhabende hingegen verwirklichen sich sowohl inner- als auch außerhalb der eigenen vier Wände individuelle Wunschvorstellungen. Die sozialen Unterschiede sind gerade in diesem Bereich auffallend, auch wenn nur die Außenwände und Gärten für die Öffentlichkeit sichtbar sind.