In dem einen Buffetschrank verstauben Farbdosen, im anderen lagern Bücher – Was geschieht mit den Dingen, wenn sie ihren ursprünglichen Nutzen verlieren, wenn sie zwar nicht defekt, aber aus der Mode gekommen sind?
Bei einem Forschungsaufenthalt in Lich-Steinstraß entstanden im Jahr 1977 Fotos, die anhand von Gebäuden, Möbeln und Arbeitsgeräten das Leben im Dorf um 1900 dokumentieren sollten. Über den erhaltenen Bestand hinaus verraten uns die Aufnahmen viel über die sich wandelnde Wertigkeit dieser Objekte für ihre Besitzerinnen und Besitzer im Laufe der Jahrzehnte. So können heute ganz andere Fragen an das Material gestellt werden, als es vor fast vierzig Jahren beabsichtigt war.
Von Prunk- zu Gebrauchsmöbeln
Ein Buffetschrank etwa stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts meist in der nur zu besonderen Gelegenheiten genutzten „guten Stube“. Das kostspielige Möbelstück – meist von einem lokalen Schreiner gefertigt – diente vor allem der Repräsentation und der Aufbewahrung von teurer Tischwäsche, wertvollem Essbesteck und edlem Porzellan. Die besten Stücke wurden gut sichtbar im verglasten Oberteil des Schranks ausgestellt. Neue Möbel, die zum Beispiel als Mitgift in die Familie kamen und der jeweiligen Mode entsprachen, richteten dann nicht nur die Stube neu ein. Sie zogen gleichzeitig eine Abwertung des alten Mobiliars nach sich, indem es in alltäglich genutzte Räume wanderte, häufig zunächst in die Wohnstube. Die Mandelbrennerfamilie S. aus Lich-Steinstraß nutzte ihren Buffetschrank im Jahr 1977 dort als Bücherschrank. Er stand neben dem Fernseher, der auf die dominierende Alltagsfunktion des Raumes hindeutet.
Von der Küche in den Abstellraum
Bei einem weiteren Innovationsschub zogen Möbelstücke wie Büffetschränke und Sitzgelegenheiten oft in die Küche; vor allem ein Arbeitsraum, in dem Gebrauchs- und Abnutzungsspuren unvermeidbar waren. Die Küche war der Raum, der sich im Zuge der Technisierung am grundlegendsten wandelte. Mit Einzug von Elektroherd und Kühlschrank verloren die herkömmlichen Küchenmöbel spätestens in den 1960er Jahren ihren Nutzen und damit ihren zugeschriebenen Wert. Auch Büffetschränke – ab den 1950er Jahren durch fabrikgefertigte Einbauküchen ersetzt, die nun die Aufgabe der Repräsentation übernahmen – hatten nur noch Platz in peripheren Bereichen des Hauses wie Abstellkammern oder Dachböden. Der Buffetschrank der Familie P., die in Lich-Steinstraß einen landwirtschaftlichen Betrieb führte, fristete in den 1970er Jahren sein Dasein in der Scheune, gefüllt mit alten Farbdosen, Kleisterquasten und weiteren ausrangierten Gebrauchsgegenständen.
Erneute Wertschätzung
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts und dem wirtschaftlichen Aufschwung, der umfangreiche Neuanschaffungen ermöglichte, wurden viele historische Möbel vernichtet. Erst in den 1960er und 1970er Jahren sorgte eine Nostalgiewelle für die Rückbesinnung auf den Wert des alten und handgefertigten Mobiliars. Diese Möbel gewannen wieder an Repräsentativität und fanden damit ihren Weg zurück in die Wohnräume.