Regionale Produktionsschwerpunkte charakterisieren die Textilverarbeitung im Rheinland. So entstanden Zentren für Flecht-, Web- und Strickwaren ebenso wie für Samt-, Seiden- oder Wollprodukte.
Textilien werden nicht nur für die Kleidung, sondern auch in zahlreichen anderen Bereichen, wie der Wohnungseinrichtung oder bei verschiedenen Arbeitsschritten in der Produktion anderer Waren benötigt. Das Flechten und Weben von Stoffen aus Fasern war deshalb schon lange ein wichtiger Arbeitsbereich – auch im Rheinland. Im 20. Jahrhundert differenzierte und automatisierte sich die Produktion der Waren, Produktionszentren entstanden.
Regionale Ausdifferenzierung
Wie weit das Spektrum im Rheinland erzeugter Artikel im 20. Jahrhundert war, zeigt ein Streifzug quer durch das Land: neben der in Düren ansässigen Teppichfabrikation für die Flugzeug-, Klinik- und Hotelausstattung, etablierten sich in Krefeld, Köln und Wuppertal die Samt- und Seidenfabrikation, die Schuh- und Handschuhfabrikation in Köln-Nippes und die Herstellung von Tuchwaren im Euskirchener Raum.
Die im Bereich der Textilindustrie hergestellten Produkte waren vielfältig: Neben den „klassischen“ Artikeln der Bekleidungsindustrie wie Tuche, Stoffe und Garne gehörten auch Kurzwarenartikel wie Gummibänder oder gewebte Bänder dazu. Der Kundenstamm dieser Betriebe bestand nicht allein aus der Bekleidungsindustrie, wie am Verwendungsspektrum von Bandwebereiprodukten deutlich wird. Als Zubringerindustrie war die chemische Industrie wichtig, darunter Veredlungsbetriebe wie Färbereien, Druckereien oder Zwirnereien sowie die Textilmaschinen- und Konfektionsmaschinenindustrie.
Kriegsbedingter Aufschwung und Niedergang
Während der beiden Weltkriege erlebte die Textilindustrie, trotz Einzug der Arbeiter zum Kriegsdienst, eine Phase des Aufschwungs. Insbesondere Leinen als Rohstoff, der aus der heimischen Pflanze Flachs hergestellt wird, wurde wieder mehr verwendet. Denn Baumwolle und andere Fasern mussten importiert werden, was in beiden Kriegen zumindest zeitweise nicht möglich war. Der hohe militärische Bedarf wurde bereits in der kriegsvorbereitenden Phase des Zweiten Weltkriegs deutlich: in der ehemaligen Rheinprovinz wurden im Jahr 1936 schon 135.038 Beschäftigte in der Textilindustrie verzeichnet, so viele wie nie zuvor.
Kriegsbedingt wurde außerdem die eigentliche Männerarbeit durch Frauen übernommen, so dass sich die Beschäftigtenstruktur nachhaltig veränderte. Der mit dem Krieg einhergehende Materialmangel veranlasste die Bevölkerung aber auch dazu, bestehende Kleidungsstücke noch häufiger zu reparieren, umzugestalten und den Produktions- und Arbeitsverhältnissen anzupassen.
In den Jahrzehnten nach dem Krieg rückten mit steigendem Wohlstand gerade in der Zeit des Wirtschaftswunders stärker modische Aspekte in den Vordergrund. Kostengünstigere und farblich ansprechendere Stoffe aus dem Ausland, zunehmend billigere Produktionskosten in anderen Ländern und neue Materialien bildeten eine starke Konkurrenz zur rheinischen Textilindustrie, die in der Folge an Bedeutung verlor.
Chemiefasern erobern den Markt
In nahezu allen Bereichen der Textilindustrie verlagerte sich die Nachfrage seit den 1950er und stärker noch seit den 1960er Jahren weg von Naturprodukten hin zu chemisch hergestellten Materialien. Dies galt für Fasern und Garne gleichermaßen wie für Knöpfe und andere textile Produkte. Die Verarbeitung traditioneller Ausgangsstoffe und handwerkliche Herstellung blieben nur für kleine Sortimente neben den neuen Entwicklungen erhalten. Das Überleben der Firmen war durch diese veränderten Marktstrukturen an deren Flexibilität gebunden und erforderte zugleich eine stetige Weiterentwicklung von Spezialprodukten.
Doch schon ab den 1970er Jahren setzte auch ein gegenläufiger Trend ein, der wieder auf Naturfasern und regionale Produktion achtete, die Verbraucherbedürfnisse differenzierten sich aus. So sind heute nach wie vor zahlreiche spezialisierte Textilproduzenten im Rheinland zu finden, auch wenn viele der textilverarbeitenden Industriebetriebe das Ende des 20. Jahrhunderts nicht erlebten. Zeugen dieser einst die Region prägenden Industriekultur blieben die Gebäude, die seitdem unter Denkmalschutz gestellt, restauriert und als Industriedenkmäler einer neuen Nutzung zugeführt wurden, wie die in den 1980er Jahren letzte stillgelegte Euskirchener Textilfabrik „Müller“, die heute als Schauplatz des Rheinischen Industriemuseums genutzt wird.
Weiterführende Literatur
Döring, Alois (Hg.): Von Kleidern und Menschen. Kleidungsgewohnheiten an Rhein und Maas im 19. und 20. Jahrhundert. Köln u.a. 1999.
Landschaftsverband Rheinland (Hg.): Tatort Fabrik. Das Rheinische Industriemuseum im Aufbau (Schriften des Rheinischen Industriemuseums Nr. 4). Köln 1989.
Neft, Maria-Regina: „Ach das hat keinen Sinn, die Textil überlebt nicht mehr“ – De-Industrialisierung und Wandel in Euskirchen. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 37 (2007/2008), S. 181-195.
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Künstliche Versuchung. Nylon – Perlon – Dederon. Begleitbuch zur Ausstellung. Bonn 1999.