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Textilverarbeitung im Rheinland

Neue und alte Fäden

Regionale Produktionsschwerpunkte charakterisieren die Textilverarbeitung im Rheinland. So entstanden Zentren für Flecht-, Web- und Strickwaren ebenso wie für Samt-, Seiden- oder Wollprodukte.

Arbeit an der Nähmaschine. Segeltuchfabrik Blancke, Heinsberg 1981.
Photo: unbekannt/LVR

Tex­ti­li­en wer­den nicht nur für die Klei­dung, son­dern auch in zahl­rei­chen an­de­ren Be­rei­chen, wie der Woh­nungs­ein­rich­tung o­der bei ver­schie­de­nen Ar­beits­schrit­ten in der Pro­duk­ti­on an­de­rer Wa­ren be­nö­tigt. Das Flech­ten und We­ben von Stof­fen aus Fa­sern war des­halb schon lan­ge ein wich­ti­ger Ar­beits­be­reich – auch im Rhein­land. Im 20. Jahr­hun­dert dif­fe­ren­zier­te und au­to­ma­ti­sier­te sich die Pro­duk­ti­on der Wa­ren, Pro­duk­ti­ons­zen­tren ent­stan­den.

Regionale Ausdifferenzierung

Wie weit das Spek­trum im Rhein­land er­zeug­ter Ar­ti­kel im 20. Jahr­hun­dert war, zeigt ein Streif­zug quer durch das Land: ne­ben der in Dü­ren an­säs­si­gen Tep­pich­fa­bri­ka­ti­on für die Flug­zeug-, Kli­nik- und Ho­tel­aus­stat­tung, eta­blier­ten sich in Kre­feld, Köln und Wup­per­tal die Samt- und Sei­den­fa­bri­ka­ti­on, die Schuh- und Hand­schuh­fa­bri­ka­ti­on in Köln-Nip­pes und die Her­stel­lung von Tuch­wa­ren im Eus­kir­che­ner Raum.

Die im Be­reich der Tex­til­in­dus­trie her­ge­stell­ten Pro­duk­te wa­ren viel­fäl­tig: Ne­ben den „klas­si­schen“ Ar­ti­keln der Be­klei­dungs­in­dus­trie wie Tu­che, Stof­fe und Gar­ne ge­hör­ten auch Kurz­wa­ren­ar­ti­kel wie Gum­mi­bän­der oder ge­web­te Bän­der da­zu. Der Kun­den­stamm die­ser Be­trie­be be­stand nicht al­lein aus der Be­klei­dungs­in­dus­trie, wie am Ver­wen­dungs­spek­trum von Band­we­be­rei­pro­duk­ten deut­lich wird. Als Zu­brin­ger­in­dus­trie war die che­mi­sche In­dus­trie wich­tig, dar­un­ter Ver­ed­lungs­be­trie­be wie Fär­be­rei­en, Dru­cke­rei­en oder Zwir­ne­rei­en so­wie die Tex­til­ma­schi­nen- und Kon­fek­ti­ons­ma­schi­nen­in­dus­trie.

Kriegsbedingter Aufschwung und Niedergang

Mit dem Spinnrad wird Wolle zu Garn gesponnen. Hasselbach 1978.
Photo: Gustav Schellack/LVR

Wäh­rend der bei­den Welt­krie­ge er­leb­te die Tex­til­in­dus­trie, trotz Ein­zug der Ar­bei­ter zum Kriegs­dienst, ei­ne Pha­se des Auf­schwungs. Ins­be­son­de­re Lei­nen als Roh­stoff, der aus der hei­mi­schen Pflan­ze Flachs her­ge­stellt wird, wur­de wie­der mehr ver­wen­det. Denn Baum­wol­le und an­de­re Fa­sern muss­ten im­por­tiert wer­den, was in bei­den Krie­gen zu­min­dest zeit­wei­se nicht mög­lich war. Der ho­he mi­li­tä­ri­sche Be­darf wur­de be­reits in der kriegs­vor­be­rei­ten­den Pha­se des Zwei­ten Welt­kriegs deut­lich: in der ehe­ma­li­gen Rhein­pro­vinz wur­den im Jahr 1936 schon 135.038 Be­schäf­tig­te in der Tex­til­in­dus­trie ver­zeich­net, so vie­le wie nie zu­vor.

Kriegs­be­dingt wur­de au­ßer­dem die ei­gent­li­che Män­ner­ar­beit durch Frau­en über­nom­men, so dass sich die Be­schäf­tig­ten­struk­tur nach­hal­tig ver­än­der­te. Der mit dem Krieg ein­her­ge­hen­de Ma­te­ri­al­man­gel ver­an­lass­te die Be­völ­ke­rung aber auch da­zu, be­ste­hen­de Klei­dungs­stü­cke noch häu­fi­ger zu re­pa­rie­ren, um­zu­ge­stal­ten und den Pro­duk­ti­ons- und Ar­beits­ver­hält­nis­sen an­zu­pas­sen.

In den Jahr­zehn­ten nach dem Krieg rück­ten mit stei­gen­dem Wohl­stand ge­ra­de in der Zeit des Wirt­schafts­wun­ders stär­ker mo­di­sche As­pek­te in den Vor­der­grund. Kos­ten­güns­ti­ge­re und farb­lich an­spre­chen­de­re Stof­fe aus dem Aus­land, zu­neh­mend bil­li­ge­re Pro­duk­ti­ons­kos­ten in an­de­ren Län­dern und neue Ma­te­ria­li­en bil­de­ten ei­ne star­ke Kon­kur­renz zur rhei­ni­schen Tex­til­in­dus­trie, die in der Fol­ge an Be­deu­tung ver­lor. 

Chemiefasern erobern den Markt

Festliches Damenkleid aus den 1960er Jahren. Es besteht komplett aus Kunstfaser, in die silberfarbene Metallfäden eingenäht wurden. Am runden Halsausschnitt sind Blüten und Perlen aus Kunststoff angebracht.
Photo: Hans-Theo Gerhards/LVR/LVR

In na­he­zu al­len Be­rei­chen der Tex­til­in­dus­trie ver­la­ger­te sich die Nach­fra­ge seit den 1950er und stär­ker noch seit den 1960er Jah­ren weg von Na­tur­pro­duk­ten hin zu che­misch her­ge­stell­ten Ma­te­ria­li­en. Dies galt für Fa­sern und Gar­ne glei­cher­ma­ßen wie für Knöp­fe und an­de­re tex­ti­le Pro­duk­te. Die Ver­ar­bei­tung tra­di­tio­nel­ler Aus­gangs­stof­fe und hand­werk­li­che Her­stel­lung blie­ben nur für klei­ne Sor­ti­men­te ne­ben den neu­en Ent­wick­lun­gen er­hal­ten. Das Über­le­ben der Fir­men war durch die­se ver­än­der­ten Markt­struk­tu­ren an de­ren Fle­xi­bi­li­tät ge­bun­den und er­for­der­te zu­gleich ei­ne ste­ti­ge Wei­ter­ent­wick­lung von Spe­zi­al­pro­duk­ten.

Doch schon ab den 1970er Jah­ren setz­te auch ein ge­gen­läu­fi­ger Trend ein, der wie­der auf Na­tur­fa­sern und re­gio­na­le Pro­duk­ti­on ach­te­te, die Ver­brau­cher­be­dürf­nis­se dif­fe­ren­zier­ten sich aus. So sind heu­te nach wie vor zahl­rei­che spe­zia­li­sier­te Tex­til­pro­du­zen­ten im Rhein­land zu fin­den, auch wenn vie­le der tex­til­ver­ar­bei­ten­den In­dus­trie­be­trie­be das En­de des 20. Jahr­hun­derts nicht er­leb­ten. Zeu­gen die­ser einst die Re­gi­on prä­gen­den In­dus­trie­kul­tur blie­ben die Ge­bäu­de, die seit­dem un­ter Denk­mal­schutz ge­stellt, re­stau­riert und als In­dus­trie­denk­mä­ler ei­ner neu­en Nut­zung zu­ge­führt wur­den, wie die in den 1980er Jah­ren letz­te still­ge­leg­te Eus­kir­che­ner Tex­til­fa­brik „Mül­ler“, die heu­te als Schau­platz des Rhei­ni­schen In­dus­trie­mu­se­ums ge­nutzt wird.

Weiterführende Literatur

Dö­ring, Alois (Hg.): Von Klei­dern und Men­schen. Klei­dungs­ge­wohn­hei­ten an Rhein und Maas im 19. und 20. Jahr­hun­dert. Köln u.a. 1999.

Land­schafts­ver­band Rhein­land (Hg.): Tat­ort Fa­brik. Das Rhei­ni­sche In­dus­trie­mu­se­um im Auf­bau (Schrif­ten des Rhei­ni­schen In­dus­trie­mu­se­ums Nr. 4). Köln 1989.

Neft, Ma­ria-Re­gi­na: „Ach das hat kei­nen Sinn, die Tex­til über­lebt nicht mehr“ – De-In­dus­tria­li­sie­rung und Wan­del in Eus­kir­chen. In: Rhei­ni­sches Jahr­buch für Volks­kun­de 37 (2007/2008), S. 181-195.

Stif­tung Haus der Ge­schich­te der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land (Hg.): Künst­li­che Ver­su­chung. Ny­lon – Per­lon – De­de­ron. Be­gleit­buch zur Aus­stel­lung. Bonn 1999.

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