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Von Schaukeln und Rutschen

Alltagskulturelle Perspektiven auf Spielplätze

Spielplätze sind selbstverständlicher Teil der Lebenswelt unserer Kinder. Doch handelt es sich dabei um ein relativ junges Phänomen und Rutsche, Schaukel und Klettergerüst verändern sich kontinuierlich weiter und transportieren so gesellschaftliche Werte.

Die Erfindung der Spielplätze

Heute gehören Spielplätze zur Alltagsgestaltung von Kindern dazu.
Photo: Katrin Bauer/KB20180717-001/Archiv des Alltags im Rheinland/LVR

Ein sehr früher Kinderspielplatz an einer Gastwirtschaft. Postkarte von ca. 1900, Alt-Refrath (Bergisch Gladbach)
Photo: Sammlung Vomm/1981-087-56/Archiv des Alltags im Rheinland/LVR

Bis weit ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein war die Stra­ße – ob in der Stadt oder im länd­li­chen Raum – Mit­tel­punkt des kind­li­chen Spiels. Ge­spielt wur­de dort, wo Platz war: vor dem Haus oder auf den teils noch un­be­fes­tig­ten Stra­ßen und We­gen. Die Gär­ten wa­ren in der Re­gel Nutz­gär­ten und ei­ge­ne Kin­der­zim­mer mit Spiel­sa­chen als Rück­zugs­raum setz­ten sich erst Mit­te des 20. Jahr­hun­derts lang­sam durch. Bei Wind und Wet­ter war die Stra­ße Er­leb­nis- und Ak­ti­vi­täts­raum. Be­we­gungs­spie­le wie Fan­gen, Seil­sprin­gen oder Ball­spie­le wur­den drau­ßen ge­spielt, im Win­ter fuh­ren die Kin­der mit Schlit­ten durch die Stra­ßen und bau­ten Schnee­män­ner. Ei­ne Kind­heit auf der Stra­ße war für vie­le Ge­ne­ra­tio­nen Rea­li­tät und Nor­ma­li­tät. Spiel­plät­ze sind ei­ne Er­fin­dung der Mo­der­ne und eng mit der Auf­klä­rung und dem Ent­ste­hen von päd­ago­gi­schen Kon­zep­ten und der Wahr­neh­mung von Kind­heit als ei­ge­ne Le­bens­pha­se ver­knüpft. Im aus­ge­hen­den 19. Jahr­hun­dert ent­stand mit der Re­form­päd­ago­gik ein geis­tes­ge­schicht­li­ches Kon­zept, das sich ganz der Er­zie­hung wid­me­te und das Kind als selbst­stän­di­ges, in­di­vi­du­el­les We­sen be­griff, das mit ei­gen­stän­di­gen Ak­ti­vi­tä­ten zur Selbst­tä­tig­keit ge­führt wer­den soll­te. Kin­der soll­ten, so die Grund­idee, ganz­heit­lich wach­sen und rei­fen kön­nen und da­zu ge­hör­te, ne­ben der ko­gni­ti­ven Bil­dung, auch kör­per­li­che Be­tä­ti­gung. In die­se, ge­sell­schaft­lich auf­ge­weck­ten, Zei­ten fie­len auch die ers­ten An­sät­ze zur Eta­blie­rung von Spiel­plät­zen. Die aus den USA kom­men­de Play­ground-Be­we­gung gab hier wich­ti­ge An­stö­ße. Vor dem Hin­ter­grund der Ur­ba­ni­sie­rung wur­den die For­de­run­gen nach Plät­zen zum Spie­len auch in Eu­ro­pa hör­ba­rer. In Deutsch­land hat­te sich 1891 der Zen­tral­aus­schuss zur För­de­rung der Ju­gend-und Volks­spie­le in Deutsch­land ge­grün­det, der sich für ei­ne flä­chen­de­cken­de In­stal­la­ti­on von Spiel­plät­zen ein­setz­te. Auf die­sen ers­ten Spiel­plät­zen gab es auch Sand­käs­ten, Rut­schen und Klet­ter­ge­rüs­te, Haupt­ele­ment soll­ten je­doch Frei­flä­chen zum Be­we­gungs­spiel sein. Spiel­plät­ze sind zu­nächst vor al­lem ein ur­ba­nes Phä­no­men, erst spä­ter soll­ten sie auch den länd­li­chen Raum er­obern.

Spielplätze in der Freizeitgesellschaft

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­de das Spiel­platz-The­ma schnell wie­der ak­tu­ell. Städ­te wa­ren zer­stört, Parks und Frei­flä­chen la­gen in Schutt und Asche und schie­nen zum Spie­len nicht mehr ge­eig­net. Be­eng­ter Wohn­raum för­der­te das Drau­ßen-Spiel auf der Stra­ße. Ne­ben der schnel­len Be­reit­stel­lung von Wohn­raum wur­den bald auch Über­le­gun­gen an­ge­stellt, wie die Städ­te le­bens­wer­ter ge­macht wer­den könn­ten. Es muss­ten al­so Mög­lich­kei­ten der Frei­zeit­ge­stal­tung vor al­lem auch für Kin­der ge­schaf­fen wer­den. Spiel­plät­ze wa­ren hier ei­ne Op­ti­on und fan­den im­mer stär­ke­re Be­rück­sich­ti­gung bei Stadt­pla­ner*in­nen, Ar­chi­tekt*in­nen und Bau­ver­ant­wort­li­chen. Sie soll­ten un­mit­tel­bar im Wohn­um­feld ver­or­tet sein, kur­ze We­ge und der Spiel­platz vor der Haus­tür wa­ren Leit­ge­dan­ken.
Spiel­plät­ze und ih­re Aus­ge­stal­tung fol­gen auch im­mer den Mo­den ih­rer Zeit und sind Aus­druck ge­sell­schaft­li­cher Wand­lungs­pro­zes­se. Sehr deut­lich wird dies durch das Spiel mit der Ma­te­ria­li­tät – so­wohl von Spiel­ge­rä­ten als auch der Um­ge­bung. Do­mi­nier­ten zu­nächst Stahl­rohr­ge­rä­te die Sze­ne­ri­en, wur­de seit den 1950er Jah­ren ver­mehrt Plas­tik als in­no­va­ti­ver, mo­der­ner Werk­stoff ein­ge­setzt und die Spiel­skulp­tur als neu­es, die Spiel­krea­ti­vi­tät för­dern­des Ele­ment ent­deckt. Über­haupt nahm die Dis­kus­si­on um „rich­ti­ge­s“ Spiel zu, sind Spiel­plät­ze doch in ih­rer Ge­stal­tung im­mer am­bi­va­lent. Ei­ner­seits schaf­fen sie Ni­schen, Frei­räu­me zum kind­li­chen Spiel in­mit­ten von Stra­ßen und Häu­ser­schluch­ten, an­de­rer­seits sind die­se Räu­me be­grenzt und durch ih­re in­ne­re Aus­ge­stal­tung auch be­schränkt. Die Spiel­ge­rä­te er­öff­nen Spiel und be­en­gen es so­gleich. Vor al­lem seit den spä­ten 1960er Jah­ren bil­de­ten sich im­mer mehr Bür­ger­initia­ti­ven, die an­de­res, krea­ti­ve­res und of­fe­ne­res Spiel für ih­re Kin­der wünsch­ten und so ent­stan­den auch neue For­men von Spiel­plät­zen, die stär­ker auf na­tür­li­che Ma­te­ria­li­en, auf Was­ser, Matsch und Er­de setz­ten. Seit En­de der 1990er Jah­re rück­ten mit dem Auf­kom­men der Event­ge­sell­schaft neue For­men des Spiels in den Fo­kus. Ver­mehrt ent­stan­den In­door-Spiel­plät­ze nach ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild - Hal­len mit be­son­de­ren At­trak­tio­nen wie bun­ten Bäl­le­bä­dern, rie­si­gen Klet­ter­tür­men und im­po­san­ten Hüpf­bur­gen. Au­to­scoo­ter und Ka­rus­sells er­gän­zen das viel­fäl­ti­ge An­ge­bot – das kun­ter­bun­te Er­leb­nis für al­le Sin­ne.

Und heute?

Spielplatz-Regeln während der Corona-Pandemie. Meckenheim im November 2020
Photo: Katrin Bauer/KB20201109-003/Archiv des Alltags im Rheinland/LVR

Heu­te sind Spiel­plät­ze im kind­li­chen All­tag fest ver­an­kert. Ge­ra­de in ur­ba­nen Räu­men sind sie om­ni­prä­sent. Wäh­rend der Pan­de­mie stan­den sie stark im me­dia­len Fo­kus. Ih­re Schlie­ßung wur­de zum Sym­bol für die Ein­schrän­kun­gen wäh­rend des Co­ro­na-Lock­downs im Früh­jahr 2020. Bil­der von lee­ren Spiel­plät­zen, ab­ge­sperrt mit Flat­ter­band und Git­tern, ver­sinn­bild­lich­ten die kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen der Kri­se auf das All­tags­le­ben. Doch bei al­len Be­schrän­kun­gen bringt die Kri­se auch in­no­va­ti­ve An­sät­ze mit sich. Um der En­ge des Spiel­plat­zes in Co­ro­na-Zei­ten zu ent­kom­men und Kin­dern mehr Raum zu ge­ben, gibt es neue krea­ti­ve Ide­en: Stra­ßen in Spiel­platz­nä­he wer­den zu tem­po­rä­ren Spiel­stra­ßen und für den Au­to­ver­kehr ge­sperrt. Und so er­obern sich in Zei­ten der Kri­se Kin­der die Stra­ße zu­rück, den Raum, der vor der „Er­fin­dun­g“ von Spiel­plät­zen ihr Ort zum Spie­len war.

Literatur

Bi­lo, Su­san­ne/Dö­ring, Alois/Fa­del Ay­ten u.a.: Die Stra­ße. Schau­platz, Ver­kehrs­weg, Le­bens­raum. Köln 1987.
Burk­hal­ter, Ga­brie­la: The Play­ground Pro­ject, Zü­rich 2016.
Has­se, Jür­gen: Spiel­platz. In: Ders./ Ve­re­na Schrei­ber: Räu­me der Kind­heit, Bie­le­feld 2019, S. 315-321.
Schmidt-Bonn, F.: Ein­füh­rung. In: Dra­geh­jelm, Hans (Hrsg.): Das Spie­len der Kin­der im San­de, Ko­pen­ha­gen 1909.
Was­song, Ste­phan: Play­grounds und Spiel­plät­ze. Die Spiel­be­we­gung in den USA und in Deutsch­land 1870-1930, Aa­chen 2007.

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