Die Nahrungszubereitung und -aufnahme bestimmt das tägliche Leben aller Menschen: Essen ist überlebensnotwenig und ein soziales Totalphänomen. Die Vielfalt an kulturellen Praktiken, Wertsystemen und Ernährungsmustern, die aus einem biologischen Bedürfnis entwickelt wurden und werden, zeigt: Was wir essen, wo, wann und mit wem ist in erster Linie kulturell bestimmt.
Nahrungskulturen im Wandel
Die Ernährung, vor allem das System der Mahlzeiten – zu dem auch soziale, zeitliche und räumliche Aspekte sowie Wissensbestände, Traditionen, Objekte und Kommunikation gehören – zeigt gesellschaftliche Phänomene und Prozesse, die im Alltag gelebt und ausgedrückt werden. Viele Aspekte der Nahrungskultur haben sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts fundamental geändert, insbesondere im ländlichen Raum. Wo um 1900 noch weitestgehend Selbstversorgung mit Anbau von Obst und Gemüse sowie Viehhaltung die Regel war, wird der Garten heute meist nur in der Freizeit bewirtschaftet; Nutzgärten sind Ziergärten gewichen. Nicht nur die (landwirtschaftliche) Produktion, auch die Nahrungsmittelbeschaffung und -zubereitung mit den dabei verwendeten Hilfsmitteln wandelten sich: Wo für große Gruppen mit langwieriger Vorbereitung täglich frisch gekocht wurde, wird heute vielleicht nur noch das Fertiggericht in der Mikrowelle erwärmt. Aus Nahrungsmangel wurde in vielen Bereichen Nahrungsüberfluss, aus einer festen Speisenabfolge entstand eine Vielzahl von neuen Gerichten und Verzehrsituationen.
Technik verändert das Kochen
Zum Kochen sind nicht erst heute technische Hilfsmittel notwendig. Neben der Kochmaschine, die sich bereits im 19. Jahrhundert als effektivere Form des Kochens über offenem Feuer durchsetzte, waren weitere Geräte unabdingbar: angefangen bei Töpfen und Schüsseln bis hin zu Vorratsgefäßen und den passenden Lagermöglichkeiten für Lebensmittel. Im 20. Jahrhundert revolutionierte eine zentrale Neuerung den Küchenalltag: der elektrische Strom. Elektrische Geräte erleichtern seither die Zubereitung und wirken heute unverzichtbar. Auch die Konservierung der Speisen und Zutaten hat sich hierdurch fundamental gewandelt.
Essen als soziale Handlung
Essen ist Kommunikation. Egal ob am Küchen- oder Esszimmertisch, unterwegs oder im Büro – gegessen wird häufig in Gruppen, bei und über die Mahlzeit werden Zugehörigkeit, soziale Strukturen, Normen und Werte ausgehandelt und dargestellt. Regionale oder soziale Unterschiede werden über verschiedene Gerichte und Getränke ausgedrückt. In alltäglichen Mahlzeiten zeigt sich Regionalität ebenso wie sozialer Status, Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Milieus. Geschmack ist kulturell geprägt und wird bereits in der Kindheit vermittelt. Geschmackserinnerungen sind nicht nur wichtige emotionale Anker der eigenen Identitätsbildung sondern auch Wertmaßstäbe: was in der Kindheit häufig gegessen wurde erinnern wir als wertig und gut.
Wo keine Not besteht, wird das Essen nach dem individuellen und gemeinsamen Geschmack ausgewählt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielten Verfügbarkeiten oder die Kosten einer Mahlzeit dagegen noch eine weitaus größere Rolle als heute. Tischrituale oder spezifische Gerichte zu Brauchanlässen sind sozial vorgegeben und teilweise gesellschaftlich sanktioniert.
Weiterführende Literatur
Heizmann, Berthold: Von Apfelkraut bis Zimtschnecke. Das Lexikon der rheinischen Küche. Köln 2011.
Hirschfelder, Gunther: Europäische Esskultur. Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute. Frankfurt a.M./New York 2001 [Studienausgabe 2005].
Teuteberg, Hans Jürgen; Wiegelmann, Günter: Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten unter dem Einfluß der Industrialisierung. Göttingen 1972.
Teuteberg, Hans Jürgen; Wiegelmann, Günter (Hg.): Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung (Studien zur Geschichte des Alltags, Band 6). Münster 1986.