Wie viele Mahlzeiten ein Mensch im Laufe eines Tages, einer Woche, eines Jahres oder Lebens zu sich nimmt, hängt neben der saisonalen Verfügbarkeit von Lebensmitteln sowie den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem von kulturellen Faktoren ab. Die berufliche Tätigkeit, gesellschaftliche Normen und vorgegebene soziale Rollenmuster beeinflussen die Art, Häufigkeit und Ort der Mahlzeiten und Gerichte ebenso wie wichtige weltliche oder religiöse Brauchtermine.
Das Mahlzeitensystem zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Im ländlichen Raum nicht nur des Rheinlands ernährten sich die Menschen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich von dem, was sie selbst anbauten und produzierten. Die Mahlzeiten fanden nach einer sich täglich wiederholenden Anordnung zu festgelegten Zeiten statt. Charakteristischerweise nahm die ländliche Bevölkerung vier bis fünf Mahlzeiten am Tag ein, so auch die Familie O. in Emmerich. Die Essenzeiten richteten sich nach dem Arbeitsrhythmus. In den bäuerlichen Haushalten, beispielsweise in Mengerscheid im Hunsrück, fand das Frühstück zwischen 6 und 7.30 Uhr nach der Viehfütterung statt und bestand aus Bratkartoffeln oder Pfannkuchen. So konnte der hohe Energiebedarf der körperlichen Arbeit gedeckt werden. Gegen 10 Uhr wurde das zweite Frühstück oft in Form eines deftig belegten Brotes eingenommen, bevor das Mittagessen wiederum eine warme Mahlzeit bot. Am Nachmittag ergänzte gegen 16 Uhr eine süße Zwischenmahlzeit, häufig Brot mit Rüben-, Apfel- oder Birnenkraut, den Speiseplan als Nachmittagskaffee. Das Abendessen wurde grundsätzlich erst nach Abschluss der Tagesarbeiten eingenommen und war meistens warm: etwa Kartoffelbrei mit gebratenen Speckwürfeln wie bei Familie B. aus Moers-Kapellen. Ausnahmen in der festen Mahlzeitenabfolge bildeten die Sonn-, Feier- und Festtage. Die Zeiten änderten sich durch den Besuch der Kirche und das Essen fiel üppiger aus als an den anderen Wochentagen. Es gab hochwertigere Speisen und meist Fleisch. Zu den verschiedenen Festtagen im Jahres- und Lebenslauf kochte und backte man spezielle Speisen, die häufig besondere Leckerbissen darstellten. Die Bandweberin Maria Thiemann beispielsweise bereitete an Silvester oder Neujahr in einer speziellen gusseisernen Pfanne „Ballbäuschen“, etwa apfelgroße runde, in Schmalz gebackene Küchlein. Neben einem festen Mahlzeitenplan für die einzelnen Tage hielten sich viele Haushalte an einen Wochenplan, der zwar von Saison zu Saison unterschiedliche Zutaten verwendete, ansonsten aber bestimmte Arten von Gerichten für bestimmte Tage vorsah. Im Sommer kamen frische Zutaten vom Feld oder aus dem Garten auf den Tisch, in den Wintermonaten konservierte Lebensmittel aus Keller oder Dachboden. In Hückeswagen beispielsweise galt der Wochenspeiseplan im frühen 20. Jahrhundert vor allem für das Mittagessen. Wie viele Christen verzichteten die Bewohnerinnen und Bewohner des Ortes am Freitag aus religiösen Gründen auf Fleisch. Stattdessen aßen sie häufig die Fastenspeise Fisch oder Eierspeisen. Die sonntägliche Speisekonvention für das Mittagessen – Vorsuppe, Fleisch mit zwei bis drei Beilagen und einem Nachtisch – war von den bürgerlich-städtischen Essensgewohnheiten beeinflusst, die sich im späten 19. Jahrhundert herausgebildet hatten und sich schließlich auch im ländlichen Raum ausbreiteten.
Wandel der Mahlzeiten durch den Wandel der Arbeitsstrukturen
Großen Einfluss auf die Essgewohnheiten hatten der Rückgang der Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und die damit verbundene Trennung von Arbeitsplatz und Wohnort, die zu Veränderungen von Lebens- und Arbeitsumständen führte. Aufgrund der nun von außen vorgegebenen Arbeitszeiten nahmen viele Familien die Mahlzeiten nur noch teilweise gemeinsam ein. Der veränderte Lebens- und Arbeitsrhythmus wirkte sich auch auf die Beschaffung und Zubereitung der Nahrungsmittel und Speisen aus. Das Drei-Mahlzeiten-System, das bis zum Ende des 20. Jahrhunderts vielfach als allgemeingültig wahrgenommen wurde, entstand bereits Ende des 19. Jahrhunderts in den bürgerlichen Familien im städtischen Raum. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in einigen Gegenden sogar erst ab den 1960er Jahren, setzte sich diese Verbürgerlichung der Mahlzeiten auf dem Land durch. Zu den drei Mahlzeiten gehörten eine warme Hauptmahlzeit, meist das Mittagessen, sowie zwei Nebenmahlzeiten, meist Frühstück und Abendessen. Sowohl zum Frühstück also auch zum Abendessen ersetzten belegte Brote die warmen Speisen – so auch bei Alfred S. aus Alsfeld.
Von drei Mahlzeiten am Tag zum Snack zwischendurch
Mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert befindet sich auch das Drei-Mahlzeiten-System in der Auflösung. Durch veränderte Schul- und Arbeitszeiten fällt das Mittagessen als warme Hauptmahlzeit häufig weg. Stattdessen gewinnt ein warmes Abendessen nach der erledigten Arbeit wieder an Bedeutung. Eine weitere Tendenz seit den frühen 1990er Jahren ist die Verteilung der Mahlzeiten auf mehrere kleine, zwischendurch eingenommene Snacks wie belegte Brötchen, Pommes frites, Döner und Süßigkeiten, die meist unterwegs verspeist werden. Die klassischen Tischgemeinschaften des frühen 20. Jahrhunderts, die sich zu festen Zeiten zu Mahlzeiten zusammenfanden, haben sich teilweise aufgelöst. Am Ende des 20. Jahrhunderts wurden sie durch das Essen in der Kernfamilie, alleine oder durch das Essen und Kochen mit Freunden ersetzt. Die Auswahl der Gerichte richtet sich weniger als zuvor nach bestimmten Wochentagen. Durch die Modernisierung der Konservierungsmethoden nahm die Abhängigkeit von saisonal und regional verfügbaren Produkten zunehmend ab. Grundsätzlich kann heute fast jedes Gericht zu jeder Zeit auf den Tisch kommen. Was zählt ist der individuelle Geschmack, zumal zuvor teure Lebensmittel wie Kaffee und Fleisch für fast alle Bewohner des Rheinlands finanziell erschwinglich sind. Für Fest- und Feiertage – häufig auch für Sonntage – gilt jedoch weiterhin, dass besondere Speisen auf dem Menüplan stehen.