„Pax“, „Ivar“ und „Billy“ – jeder kennt sie und Viele nennen sie ihr Eigen. Doch woher kamen die Möbel, bevor es Ikea und all die anderen Möbeldiscounter gab? Wie und wo man seine Möbel kaufte, hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts ebenso radikal verändert wie viele andere Bereiche des Alltags.
Hochwertige Schreinermöbel und die ersten Billigimitate

Katalog mit Schreinerei-Bedarfsartikel zur Anfertigung von Möbelgarnituren, 1908
Photo: Coppens, Suzy/LVR
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es üblich, seine Möbel beim örtlichen Schreiner in Auftrag zu geben, wenn man es sich leisten konnte. Dieser fertigte die Einrichtungsgegenstände handwerklich an. Wohlhabende Kunden ließen sich in dieser Zeit vor allem Stilmöbel mit historisch anmutenden Dekors aus kostbaren Hölzern anfertigen, weniger gut Betuchte begnügten sich mit Stücken im gleichen Stil, jedoch aus billigeren Materialien und Halbfabrikaten. Dadurch konnten sie eine Annäherung an die gediegene bürgerliche Lebensweise demonstrieren, sodass sich die Wohnungseinrichtungen verschiedener sozialer Schichten rein optisch immer ähnlicher wurden. Da die Ratenzahlung gebräuchlicher wurde, schaffte man sich auch Möbel an, die man sich eigentlich gar nicht leisten konnte. Häufig standen diese ‚guten‘ Möbel ausschließlich in den Räumen, die der Repräsentation dienten und wurden durch Bezüge und Abdunklung der Zimmer geschont. Vollständig in dieser Qualität ausgestattete Wohnungen blieben ein Privileg der oberen Bevölkerungsschichten.
Der Beginn der Massenproduktion

Historisches Musterbuch mit Möbel-Druckgrafiken und Einrichtungsvorschlägen, um 1910
Photo: Coppens, Suzy/LVR
Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden Techniken und Materialien, die eine verbilligte Produktion ermöglichten, doch griff darauf nur zurück, wer sich keine teuren Handwerkermöbel leisten konnte. Die maschinelle Verarbeitung bewirkte neben einer Preissenkung auch einen gewissen Schematismus im Möbelbau: durch die massenhafte Verwendung von industriell vorgefertigten Versatzstücken entstanden gleichförmig aussehende Möbel. Über Preislisten, Kataloge und Zeitungsanzeigen verkauften sie sich, ausgehend von den großen Herstellungs- und Vertriebszentren, z. B. Berlin und München, in ganz Deutschland und erreichten auf diesem Wege auch die Landbevölkerung. In den Städten entstanden Möbelgeschäfte, die industriell hergestellte Einrichtungsstücke in komplett eingerichteten Verkaufsräumen präsentierten. Durch den starken Konkurrenzkampf spezialisierten sich immer mehr Unternehmen, z. B. auf komplette Schlafzimmereinrichtungen inklusive Matratzen und Bettwäsche, oder Küchenmobiliar samt Herd und Kochgeschirr. Doch auch die Preise in diesen Geschäften konnte nicht Jeder zahlen.
Trödel-Möbel und Billigimitate

Die Küche im Kleinstwohnhaus Hilden zeigt die engen Wohnverhältnisse von Arbeiterfamilien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Lindlar, 2015.
Photo: Suzy Coppens/LVR
Bei Arbeiterfamilien, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts häufig am Existenzminimum in den Städten lebten, waren die Funktionalität der Möbel und ein günstiger Preis wichtiger als Modetrends und Außenwirkung. Ihr meist spärliches Mobiliar zimmerten sie selbst oder erwarben es bei Altwarenhändler, Trödler, oder im Möbelmagazin, das billige Imitate von Stilmöbeln verkaufte. So war die Weiternutzung oder Umnutzung von Möbeln bereits vor den Retro-Trends und dem Entstehen von Flohmärkten weit verbreitet.
Wohnungselend und Möbelmangel

Von einer Möbelfabrik hergestellte Kommode, um 1980. Die ersten Fließbandmöbel entstanden jedoch schon viel früher.
Photo: Gerhards, Hans-Theo/LVR
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte überall in Deutschland nicht nur im Bereich der Lebensmittelversorgung Mangel – auch bezahlbarer Wohnraum, Baumaterialien, Möbel und Hausrat waren knapp. Viele Städte richteten deshalb gemeinnützige Versorgungsstellen ein, um preiswerte Einrichtungsgegenstände anbieten zu können. Einige Städte gaben zudem die Herstellung von einfachen und preiswerten, aber haltbaren Möbeln in Auftrag. Dies führte zu einer weiteren Standardisierung der Möbel, die nun ausschließlich auf ihre Funktion reduziert und von allem Überflüssigen befreit sein sollten. Speziell zu diesem Thema herausgegebene Ratgeber gaben nicht nur Hinweise zum Umgestalten und Umfunktionieren von alten Möbeln, sondern erteilten auch Ratschläge zur Herstellung von Behelfsmöbeln aus Kriegsrelikten. Wenige Jahre später entstanden die ersten Fließbandmöbel, die oft nur aus verleimtem Furnier bestehend, weitere Arbeitserleichterungen im Herstellungsprozess und eine Verbilligung des Kaufpreises bewirkten.
Wirtschaftswunder und Massenkonsum

Wohnzimmer im Quelle-Fertighaus, ausgestattet mit Fernseher, Radio und Möbeln aus den 1960er Jahren.
Photo: Hans-Theo Gerhards/LVR
Eine ähnliche Situation herrschte nach dem Zweiten Weltkrieg. In den ersten Jahren nach Kriegsende wurden in der Regel die vorhandenen Möbel vorerst weiter- und umgenutzt. Fehlende Stücke wurden aus den Ruinen von zerstörten Häusern zusammengesucht oder bei Trödlern erworben, die sich auf Trümmerfunde spezialisiert hatten. Bei Neuanschaffungen war vor allem wichtig, dass sie platzsparend und funktional waren, denn Wohnraum war knapp. Erst mit dem einsetzenden Wirtschaftswunder erfasste der Massenkonsum in den 1950er Jahren verstärkt breitere Bevölkerungsschichten, doch die Repräsentation nach außen erfolgte nun nicht mehr nur über Möbel, sondern vor allem über die modernen technischen Geräte, wie Kühlschrank, Waschmaschine und Fernseher. Steigendes Einkommen ermöglichte weiten Bevölkerungskreisen, sich neu und modern einzurichten und die Möbelproduktion expandierte wieder.
Die Kunststoff-Revolution

Von einem Kunstschreiner angefertigter Schlafzimmerschrank, 1930-1940er Jahre
Photo: Gerhards, Hans-Theo/LVR
In dieser Zeit eroberten die Kunststoffe den Markt und veränderten die Lebens- und Konsumwelt in allen Bereichen. Das neue Material war billig, farbig, leicht und unzerbrechlich und eignete sich deshalb auch hervorragend für die Möbelherstellung. So lösten in den 1960er und 1970er Jahren Sperrholzmöbel, häufig mit Resopal-Oberfläche, die Massivholzmöbel allmählich ab. Durch moderne Press- und Sägetechniken konnten nun feinste Blätter aus Edelhölzern geschnitten werden, mit denen ein billiges Innenleben per Furnier kaschiert wurde. Das Angebot und die Vielfalt an Formen, Farben und Oberflächen vergrößerten sich stetig und bedienten die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft, die sich u. a. auch in verschiedenen Einrichtungsstilen niederschlug. Zudem entstanden vermehrt Möbel für besondere Bedürfnisse, wie etwa Kinder- und Jugendmöbel. Obwohl es in den 1960er Jahren durch die industrielle Fertigung zu Niedrigpreisen bei einer Vielzahl von Produkten kam, legten viele Käufer nach wie vor Wert auf eine hohe Qualität, vor allem in ‚öffentlichen‘, prestigeträchtigen Räumen wie im Wohnzimmer, das auch Gäste zu Gesicht bekamen. Wer es sich leisten konnte, kaufte weiterhin im renommierten Möbelgeschäft und die Anfertigung nach Maß beim Schreiner galt immer noch als Ausweis besonderer Wohnkultur. Im Laufe des Jahrzehnts nahm jedoch die Nachfrage nach individuellen Stücken stark ab, so dass viele handwerkliche Betriebe aufgegeben oder zu industriellen Möbelhäusern umgewandelt wurden. Möbelhäuser, Fachmärkte und Versandhauskataloge veränderten das Kaufverhalten der Bevölkerung nachhaltig. Auf dem Land wurde es üblich, neue Möbel aus dem Möbelhaus über den örtlichen Schreiner besorgen zu lassen, der meist eine Vergünstigung erhielt.
„Schöner Wohnen“ und Quelle-Katalog

Im Sperrmüll gefundener und weitergenutzter Cocktailsessel aus den 1950er Jahren
Photo: Gerhards, Hans-Theo/LVR
Zeitschriften wie „Schöner Wohnen“ zeigten seit den 1960er Jahren, wie man sich stilvoll einrichten sollte, immer mehr überregional agierende Möbelhäuser entstanden und Versandhäuser wie Neckermann und Quelle begannen, neben Kleidung nun auch Möbel, komplette Zimmereinrichtungen und sogar ganze Häuser anzubieten. Das Imageproblem, das Möbeln aus dem Katalog in der ersten Zeit anhaftete – sie galten als billig, schlecht verarbeitet und wenig prestigeträchtig – war bald vergessen. Neu angeschaffte Möbel mussten aufgrund des gestiegenen Wohlstands nun nicht mehr ein Leben lang halten und immer neue Modelle führten dazu, dass Einrichtungsgegenstände, die nicht mehr modern genug erschienen, auf dem Sperrmüll landeten. Dieser erlebte gleichzeitig eine Konjunktur bei den sozial schwächeren Schichten, ebenso wie bei Studierenden, die sich hier ohne Kosten die gut erhaltenen Stücke zusammensuchten und ihre Wohnungen und Wohngemeinschaften so mit einem bunten Mosaik unterschiedlicher Wohnstile einrichteten.
Möbel vom Discounter und neue Individualisierung

Deckenleuchte aus der Einrichtung eines Quelle-Fertighauses, 1960er Jahre
Photo: Gerhards, Hans-Theo/LVR
Die 1970er Jahre waren die erfolgreichsten Jahre für die deutsche Möbelindustrie, zu der im Jahr 1974 rund 1.400 Einzelbetriebe gehörten. Deutsche Möbel wurden in die ganze Welt exportiert. Die Industrie war bemüht, ihre Produkte solide und langlebig aussehen zu lassen, sie sollten den Eindruck erwecken, von einem Möbelschreiner in handwerklicher Arbeit hergestellt worden zu sein. Doch vielfach verdeckten Kunststoff-Folien im ‚Eiche-rustikal‘-Dekor dünne Pressspanplatten. Die Möbel mussten nun auch gar nicht mehr lange halten, denn die Kunden sollten einen Schrank nicht vererben, sondern sich möglichst bald einen neuen kaufen. Gleichzeitig entstanden auch die ersten Discounter-Möbelgeschäfte. Der bekannteste Vertreter ist heute noch Ikea, dessen erste deutsche Filiale 1974 in Bayern eröffnet wurde. Innerhalb weniger Jahre breitete sich die Kette in ganz Deutschland aus und wurde mit ihrem neuartigen Möbelangebot und dem Selfmade-Konzept schnell zum Sinnbild des modernen, sicheren Geschmacks, der die inzwischen als altmodisch empfundene Wohnästhetik der Nachkriegszeit auffrischen sollte. Nach und nach wurden die schweren, oft dunklen Möbel, die für die Ewigkeit gemacht waren, gegen leichtere, transportable und verrückbare Stücke ausgetauscht. Zusammen mit günstigen Preisen, individueller Kombinierbarkeit der Möbel untereinander, Vermeidung von langen Bestellfristen und der Anregung zur Eigentätigkeit beim Aufbau entstand ein Kult um Ikea, der auch heute noch anhält. Das Unternehmen steht noch immer für Jugendlichkeit, geriet aber in den letzten Jahren auch in die Kritik, u. a. wegen seiner Produktionsstandorte mit miserablen Arbeitsbedingungen in Weißrussland und Litauen. Der klassische Versandhandel per Katalog ist inzwischen stark zurückgegangen, stattdessen kauft man eher im Internet, oder erwirbt auf dem Trödelmarkt gut erhaltene, gebrauchte Möbel. Gleichzeitig legen viele Käufer nun auch verstärkt Wert auf eine nachhaltige Produktion und schadstoffarme Materialien. Diese ‚ökologischen‘ Möbel werden meist in geringer Stückzahl in kleinen Handwerksbetrieben hergestellt und sind deutlich teurer als die Ware vom Fließband.
Weiterführende Literatur
May, Herbert; Eigmüller, Michaela (Hg.): Siedlung – Architektur – Wohnen. Umbruchzeit – Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land. Bad Windsheim 2011.
Carstensen, Jan; Düllo, Thomas; Richartz-Sasse (Hg.): ZimmerWelten. Wie junge Menschen heute wohnen. Essen 2000.
Petsch, Joachim: Eigenheim und gute Stube. Zur Geschichte des bürgerlichen Wohnens. Städtebau – Architektur – Einrichtungsstile. Köln 1989.
LVR-Freilichtmuseum Kommern (Hg.): Moderne Zeiten: Der Marktplatz entsteht. Düren 2015.