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Transformationsprozesse im Lebensmittelhandel

Vom Tante Emma-Laden zum Selbstbedienungsladen

Vom weitestgehenden Eigenanbau der Nahrungsmittel und Besorgungen in Gemischtwarenläden mit persönlicher Bedienung wandelt sich die Lebensmittelversorgung im 20. Jahrhundert zu Einkäufen in großen Supermärkten und Discountern. Grund hierfür sind vor allem verbesserte Konservierungs- und Kühlmöglichkeiten sowie ein Wandel in der Händlerstruktur.

Vom Gemischtwarenladen zum Supermarkt

Weiße Einkaufs- bzw. Merktafel, Anfang 20. Jahrhundert.
Photo: Hans-Theo Gerhards/LVR

„Ei­nen schö­nen Gu­ten Tag, Frau Mül­ler. Ich hät­te ger­ne ein Ki­lo Kar­tof­feln, ein Pfund Mehl und ein hal­bes Pfund Sü­ß­rahm­but­ter.“ Sol­che oder ähn­lich klin­gen­de An­spra­chen ken­nen wir heu­te in ab­ge­wan­del­ter Form nur noch vom Fach­han­del bzw. von der Fleisch- oder Kä­se­the­ke in Su­per­märk­ten. Bis in die Mit­te des 20. Jahr­hun­derts war das Ein­kau­fen in Ge­mischt­wa­ren­lä­den, in de­nen die Wa­ren des täg­li­chen Be­darfs, die man nicht selbst er­wirt­schaf­te­te, er­wor­ben wer­den konn­ten, selbst­ver­ständ­lich. Das Be­die­nen, Ver­pa­cken und Kas­sie­ren wur­de von ei­ner Ver­käu­fe­rin, sel­ten von ei­nem Ver­käu­fer, er­le­digt. Heu­te sind die­se so ge­nann­ten „Tan­te-Em­ma-Lä­den“ fast voll­stän­dig aus dem All­tag ver­schwun­den.

Ein neu­es Mo­dell des Ein­zel­han­dels lös­te das Be­die­nungs­kon­zept des Tan­te-Em­ma-La­dens letzt­end­lich ab: Die Kun­den be­we­gen sich selbst­stän­dig durch den La­den, be­die­nen sich und zah­len al­les am Aus­gang. In den USA An­fang der 1930er Jah­re ent­wi­ckelt, er­reich­te die­se Form des Han­dels nach dem Zwei­ten Welt­krieg ver­stärkt auch das Rhein­land und Deutsch­land. Neue Tech­ni­ken in der Vor­rats­hal­tung und Ent­wick­lun­gen der Le­bens­mit­tel­che­mie er­mög­lich­ten län­ge­re La­ger­zei­ten auch ver­derb­li­cher Le­bens­mit­tel. Da­mit wur­de ein Trans­port über wei­te­re Stre­cken und in grö­ße­ren Men­gen mög­lich. Hier­aus fol­gend setz­te sich ei­ne Be­lie­fe­rung der Ge­schäf­te durch den Gro­ßhan­del oder über Zen­tral­la­ger der Un­ter­neh­men durch.

Wandel der Händler- und Einkaufsstruktur

Geschäft für Lebensmittel: die alte Schule des Ortes wurde zu einem Geschäft und Wohnhaus umgebaut. Lommersdorf, 1912.
Photo: Peter Weber sen./LVR

Mit der ste­ti­gen Er­wei­te­rung des Sor­ti­ments ver­grö­ßer­ten sich die Ge­schäf­te, die sich ver­mehrt am Stadt­rand an­sie­del­ten. Ei­ne zu­neh­men­de Mo­bi­li­tät der Be­völ­ke­rung be­deu­te­te auch, dass der Ein­kauf jetzt häu­fig mit dem Au­to er­le­digt wur­de, so dass der Le­bens­mit­tel­han­del nicht mehr fu­ß­läu­fig in den Sied­lungs­ge­bie­ten ge­le­gen sein muss­te. Statt täg­lich die be­nö­tig­te Wa­re frisch ein­zu­kau­fen mach­ten nun im­mer mehr Men­schen ei­nen Wo­chen­ein­kauf, der dann im hei­mi­schen Kühl­schrank ge­la­gert wur­de.

Gro­ß­kon­zer­ne lös­ten die klei­nen, fa­mi­li­en­geführ­ten Lä­den ab, von de­nen nur we­ni­ge den Über­gang zu ei­nem Han­dels­un­ter­neh­men schaff­ten. Die zen­tra­len Ver­triebs­we­ge, die ho­hen La­ger­zah­len und das er­wei­ter­te Sor­ti­ment wa­ren für die klei­nen Be­trie­be kaum zu leis­ten, zu­mal der Preis­kampf ste­tig zu­nahm.

Discounter als Alternative

Einkaufswagen, 1970er-1980er Jahre.
Photo: Sabine König/LVR

Ei­ne Aus­nah­me bil­det die Fa­mi­lie Al­brecht, die mit Al­di ein neu­es Ge­schäfts­mo­dell eta­blier­te: den Dis­coun­ter. Nach der Grün­dung ei­nes Le­bens­mit­tel­ge­schäfts in Es­sen-Schon­ne­beck 1913, über­nah­men die Brü­der Karl und Theo Al­brecht nach dem Zwei­ten Welt­krieg den el­ter­li­chen Be­trieb und ent­wi­ckel­ten ein Dis­count-Kon­zept, das ei­ne Rei­he von üb­li­chen Dienst­leis­tungs­funk­tio­nen der neu ent­stan­de­nen Selbst­be­die­nungs­lä­den we­g­ließ: Kei­ne ver­derb­li­che Frisch­wa­re, klei­nes Sor­ti­ment, Ein­heits­ver­pa­ckun­gen, kei­ne La­den­de­ko­ra­ti­on und feh­len­de Wer­bung sind ei­ni­ge der Ra­tio­na­li­sie­run­gen, die ei­nen güns­ti­gen End­preis der Wa­re ge­währ­leis­te­ten. An­de­re Dis­coun­ter über­nah­men das Kon­zept weit­ge­hend, so dass die­ses Seg­ment heu­te kaum noch aus dem Le­bens­mit­tel­han­del weg­zu­den­ken ist.

Gleich­zei­tig eta­blier­ten sich Han­dels­un­ter­neh­men, die Frisch­wa­re und ihr gro­ßes Sor­ti­ment über zen­tra­le La­ger- und Ver­triebs­sys­te­me in al­le Fi­lia­len ver­tei­len. Bei der Pro­dukt­prä­sen­ta­ti­on und Ge­stal­tung der Ge­schäf­te ent­fernt man sich in den letz­ten Jah­ren wie­der von der „La­ger­haus-At­mo­sphä­re“ und setzt auf Licht­de­sign und ele­gan­te Re­gal­sys­te­me. Das Ein­kau­fen, so die Han­dels­un­ter­neh­men, soll zum „Ein­kaufs­er­leb­nis“ wer­den. Ei­nem zu­neh­men­den Kon­kur­renz­druck, auch durch die Prei­se der Dis­coun­ter, wird da­mit das be­son­de­re Er­leb­nis des Ein­kau­fens ent­ge­gen­ge­setzt. Für den ent­stan­de­nen Kos­ten­auf­wand durch Mar­ke­ting und in­di­vi­du­el­le In­nen­ar­chi­tek­tur muss der Ver­brau­cher da­bei hö­he­re Pro­dukt­prei­se in Kauf neh­men.

Bio als neuer Trend

Lebensmittelgeschäft in einer Dorfstraße. Pesch/Nettersheim, 2010.
Photo: Mirko Uhlig/LVR

Et­wa ab dem Jahr 2000 lässt sich zu­dem ein neu­er Trend in den Su­per­märk­ten be­ob­ach­ten. Die Un­ter­neh­men set­zen zu­neh­mend auf Pro­duk­te mit Bio-Sie­geln, die An­for­de­run­gen an die Her­stel­lung der Wa­ren vor­ge­ben. Die­ses Phä­no­men, das sich be­reits seit den 1970er Jah­ren in klei­nen Bio­lä­den ent­wi­ckel­te, setzt auf ein Sor­ti­ment aus öko­lo­gi­scher Land­wirt­schaft, das auf ein zu­neh­men­des Be­wusst­sein der Ver­brau­cher für Ge­sund­heit und Öko­lo­gie schlie­ßen lässt. In den letz­ten Jah­ren über­neh­men auch kon­ven­tio­nel­le Su­per­märk­te und so­gar Dis­coun­ter ver­stärkt Bio-An­ge­bo­te. Da­ne­ben wer­den ge­zielt Frisch­wa­ren aus der Re­gi­on be­wor­ben. Die Nach­fra­ge nach die­sen Le­bens­mit­teln steigt auch durch die un­ter­schied­li­chen Le­bens­mit­tel­skan­da­le und die dar­aus fol­gen­de Ver­brau­cher­ver­un­si­che­rung.

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