Erst mit den neu errichteten Wohnungen und Häusern der Nachkriegszeit wird das Kinderzimmer ein fester Bestandteil des Wohnraums. Mit der Zeit verschoben sich Fragen seiner Ausgestaltung und Funktion von den Erwachsenen hin zu den Kindern als Gestaltern.
Kindheit – eine junge Erscheinung
Ein eigener Raum zum Toben, mit viel Spielzeug und einem eigenen Bett … für die allermeisten Heranwachsenden war zu Beginn des 20. Jahrhunderts dieses Bild unvorstellbar. Aufgrund der mit der Urbanisierung verbundenen Wohnungsnot verfügten die meisten Stadtkinder dieser Zeit nicht einmal über ein eigenes Bett, geschweige einen eigenen Raum. Manche Kinder konnten sich bereits mit einer Spielecke glücklich schätzen. Nur in die Villen und Häuser des gut situierten Bürgertums hatte das Kinderzimmer, wie etwa in den Wohnräumen der Gaststätte Römer, bereits Einzug gehalten. In den städtischen Wohnungen der Unter- und weiten Teilen der Mittelschicht sollte es hingegen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eher eine Seltenheit bleiben. Im ländlichen Raum wurde der Kindheit um 1900 noch gar kein eigener Status zuerkannt. Vielmehr galten Kinder als kleine Erwachsene. Sie mussten bereits in sehr jungen Jahren arbeiten und hatten nur wenig Zeit um zu spielen. Auch ein eigener abgetrennter Wohn- und Schlafbereich wurde ihnen oftmals nicht zugesprochen, höchstens in Form einer kleinen Kammer, in der alle Geschwister zusammen schlafen konnten.
Die Ausbreitung des Kinderzimmers in der Nachkriegszeit
Erst in den neu errichteten Wohnungen der Nachkriegszeit wurde das Kinderzimmer, wenn auch zunächst im kleinen Maßstab, langsam ein flächendeckend integraler Bestandteil des Wohnraums. Bereits Ende der 1950er Jahre gehörten zwei Kinderzimmer zu einer mit Hilfe der öffentlichen Hand errichteten „Normalwohnung“ und machten aus dem einstigen Privileg einen Standardraum. Diesen Raum mussten sich Kinder allerdings häufig mit Geschwistern teilen.
Die Ratgeberliteratur dieses Jahrzehnts verdeutlicht, dass das Konzept des Kinderzimmers nicht primär als Spieloase angelegt war. Vielmehr sollte es vorrangig als Entlastung der – im klassischen Bild der Zeit – als Hausfrau an Heim und Herd gebundenen Mutter dienen, wo das Kind zu Ordnung und Reinlichkeit erzogen wurde. Zum einen verfügte das Kind jetzt über einen klar definierten Aufenthaltsraum und störte so nicht mehr beim Putzen, Kochen und Waschen in anderen Zimmern des Hauses. Zum andern sollten die Eltern über die Anordnung und Auswahl des Mobiliars entscheiden und das Kind zur guten Pflege seiner Möbel und seines Spielzeugs anhalten. Auch die Bedeutung des Kinderzimmers als Arbeitsraum wurde stark hervorgehoben. Die Möbelhersteller reagierten auf die neuen Wohnverhältnisse und brachten, neben den wenigen bis dato eigens für Kinder hergestellten Möbeln wie dem Kindertoilettenstuhl, neue Einrichtungsobjekte für das Kinderzimmer auf den Markt.
Kinder als Mitgestalter ab den 1970ern
Erfolgte die Ausgestaltung der Kinderzimmer zunächst vor allem aus Sicht der Eltern, sprachen die Ratgeber im Verlauf der 1970er Jahre erstmals das Kind selbst als Mitgestalter seines Raums an. Das änderte die Einrichtung des Kinderzimmers nachhaltig. Seine Bedeutung als spielpädagogische Stätte rückte in den Vordergrund, zudem traten verstärkt individuelle Züge in der Ausgestaltung auf, die Vorlieben und soziokulturelles Zugehörigkeitsgefühl zum Ausdruck brachten. Auch die Größe der Räume nahm zu. Die kontrollierende Präsenz der Eltern im Kinderzimmer nahm parallel dazu ab. Regeln wurden vermehrt mit den Kindern ausgehandelt und immer seltener vorgeschrieben. Seitdem liegt die Autorität über die Kinderzimmer in vielen Belangen in den gestaltenden Händen der sie bewohnenden Mädchen und Jungen.
Weiterführende Literatur
Carstensen, Jan (Hrsg.): Zimmerwelten. Wie junge Menschen heute wohnen. Essen 2000.