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Industriearbeit

Neue Industriearbeit und veränderte Arbeitskulturen

Als Konkurrenz der Handwerks- und kleiner Landwirtschaftsbetriebe, aber auch als partiell notwendiger „Partner“ gestaltete sich die Geschichte der rheinischen Industriebetriebe im 20. Jahrhundert zwischen Aufstieg und Niedergang.

Vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen

Dampfmaschine mit Transmissionsriemen und Schwungrad. Heinsberg 1981.
Photo: unbekannt/LVR

Flie­ßen­de Über­gän­ge zwi­schen Hand­werk und In­dus­trie kenn­zeich­ne­ten die Pha­se auf­stre­ben­der In­dus­trie­un­ter­neh­men in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts. Seit der Hoch­in­dus­tria­li­sie­rung um 1880 wur­den be­ste­hen­de In­dus­trie­be­trie­be wei­ter aus­ge­baut und im­mer neue ent­stan­den, so dass die In­dus­trie ei­nen ei­ge­nen Wirt­schafts­zweig aus­mach­te. We­sent­li­che Ver­än­de­run­gen er­ga­ben sich durch wach­sen­de Be­triebs­grö­ßen und neue Be­trie­be, die ih­re Ar­bei­ter an­war­ben und da­mit gro­ße Mi­gra­ti­ons­be­we­gun­gen und Ur­ba­ni­sie­rungs­ten­den­zen aus­lös­ten. Dies hat­te ein An­wach­sen der Be­völ­ke­rung im Um­kreis der Be­trie­be, ei­ne de­mo­gra­fi­sche und kul­tu­rell-so­zia­le Ver­än­de­rung der Be­völ­ke­rungs­struk­tur zur Fol­ge. Gleich­zei­tig wan­del­te sich die Ar­beit, wel­che in vie­len Be­rei­chen ar­beits­tei­li­ger wur­de und zu­dem durch ei­nen fes­ten Lohn be­zahlt wur­de, so dass Ar­beits- und Frei­zeit sich von­ein­an­der trenn­ten, da die Heim­ar­beit sich im­mer stär­ker in Fa­bri­ken und Be­trie­be ver­la­ger­te.

Die Ar­bei­ter­schaft soll­te von den So­zi­al­leis­tun­gen, die grö­ße­re Un­ter­neh­men ih­rer Be­leg­schaft an­bo­ten, pro­fi­tie­ren: ver­güns­tig­te Wohn­mög­lich­keit, Kre­di­te für den Bau des Ei­gen­heims in ge­son­der­ten Sied­lungs­ge­bie­ten in Werks­nä­he, ver­güns­tig­te Ein­kauf­mög­lich­kei­ten oder Ver­si­che­rungs­leis­tun­gen wur­den vor al­lem in den 1950er und 1960er Jah­ren zur Ver­fü­gung ge­stellt. In der Pra­xis wa­ren die­se Ver­spre­chun­gen je­doch nicht im­mer um­ge­setzt: klei­ne und schlech­te Woh­nun­gen, ho­he Ab­hän­gig­kei­ten von den Un­ter­neh­men und kaum vor­han­de­ne Ab­si­che­run­gen im Krank­heits- oder To­des­fall wa­ren eher die Re­gel. Or­ga­ni­siert in Ge­werk­schaf­ten und Ver­bän­den kämpf­ten die Ar­bei­te­rin­nen und Ar­bei­ter des­halb für bes­se­re Ar­beits­be­din­gun­gen, ge­rech­te­re Be­zah­lung und hö­he­re Ar­beits­si­cher­heit – The­men, die bis heu­te ak­tu­ell sind.

Die In­dus­trie­ar­beit wur­de für brei­te Be­völ­ke­rungs­schich­ten zum All­tag und er­mög­lich­te die Her­stel­lung ganz neu­er Pro­duk­te. Eben­so wie im Hand­werk bil­de­ten sich in den neu ent­stan­de­nen In­dus­trie­zwei­gen im 20. Jahr­hun­dert neue Be­ru­fe, her­vor­ge­ru­fen durch zu­neh­men­de Spe­zia­li­sie­rung oder durch Ent­wick­lung neu­er Her­stel­lungs­pro­zes­se, die an­de­re Fer­tig­kei­ten er­for­der­ten. Der Ein­satz grö­ße­rer und leis­tungs­fä­hi­ge­rer Ma­schi­nen be­deu­te­te Ar­beits­er­leich­te­rung und er­mög­lich­te erst die Be­die­nung der ge­stie­ge­nen Nach­fra­ge. Seit den 1960er Jah­ren er­folg­te dann die Um­stel­lung auf Pro­zess­leit­sys­te­me, mit Auf­kom­men der Com­pu­ter­tech­nik zo­gen zu­dem rech­ner­ge­steu­er­te An­la­gen in die Fa­bri­ken ein, die ei­nen Teil der Auf­ga­ben über­nah­men.

Doch mit dem Er­rei­chen der „Gren­zen des Wachs­tums“ (Club of Ro­me 1972), wel­che in ver­schie­de­nen Be­rei­chen sicht­bar wur­den und da­zu führ­te, dass Roh­stof­fe im­mer kost­spie­li­ger wur­den, setz­te ei­ne ers­te Pha­se der De­indus­tria­li­sie­rung ein: In den 1960er und 1970er Jah­ren schlos­sen im Rhein­land vor al­lem Koh­le­ze­chen und Stahl­in­dus­trie ih­re Be­trie­be. Der Wan­del von der In­dus­trie- zur Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft hat­te be­gon­nen. Durch die Glo­ba­li­sie­rung wur­de das pro­du­zie­ren­de Ge­wer­be in Län­der mit nied­ri­ge­ren Lohn- und so­mit Pro­duk­ti­ons­kos­ten ver­la­gert.

Vielfalt industrieller Produktion im Rheinland

Vitrine einer industriellen, spezialisierten Bandweberei auf der Textil-Messe. Frankfurt am Main, 2013.
Photo: Matthias Fieder/LVR

Ein Über­blick über die im Rhein­land an­ge­sie­del­ten In­dus­trie­zwei­ge zeigt de­ren Viel­falt und räum­li­che Ver­tei­lung: Die Lin­oleu­m­in­dus­trie in Bed­burg, die Gum­mi­in­dus­trie in den Ge­gen­den Nip­pes, Lin­den­thal, Eh­ren­feld und Mühl­heim am Rhein um Köln her­um und die Ma­schi­nen­in­dus­trie in Köln-Kalk und Duis­burg sind klar lo­kal zu ver­or­ten. Ra­sche Ver­brei­tung im gan­zen Rhein­land er­fuh­ren au­ßer­dem be­son­ders die Nah­rungs­mit­tel-, die Pa­pier- und die Tex­til­in­dus­trie.

Die Far­ben- und Lack­in­dus­trie, ein Teil­be­reich der che­mi­schen In­dus­trie, fand ih­re Ver­brei­tung be­son­ders in den Ge­gen­den um Aa­chen, Bar­men, Bonn, Düs­sel­dorf, Duis­burg, El­ber­feld, Köln und Kre­feld. Von dort aus gin­gen be­reits im 19. Jahr­hun­dert rhei­ni­sche Far­ben­fa­bri­kan­ten als Preis­trä­ger aus re­gio­na­len und in­ter­na­tio­na­len Wett­be­wer­ben her­vor. Als wei­te­re Zu­lie­fe­rer­in­dus­trie sie­del­ten sich die Far­ben-, Pa­pier- und Fo­li­en­ver­ar­bei­ten­de In­dus­trie be­vor­zugt in Nä­he der be­ste­hen­den Be­trie­be und der gro­ßen Flüs­se an, die nicht nur als Trans­port­we­ge, son­dern für Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se nö­tig wa­ren und als Ab­lei­tungs­mög­lich­keit für Ab­was­ser dien­ten. Kri­ti­siert wur­de dies zu­neh­mend, nach­dem vor al­lem in den 1970er Jah­ren Ein­lei­tun­gen gif­ti­ger Stof­fe in den Rhein ein gro­ßes Fisch­ster­ben mit ver­ur­sach­ten.

So sind ins­ge­samt un­ter­schied­lichs­te In­dus­trie­zwei­ge im Rhein­land von Be­deu­tung, ei­ni­ge sind je­doch be­reits wie­der ver­schwun­den. Das 20. Jahr­hun­dert zeich­ne­te sich durch ei­ne wei­ter­ge­hen­de Spe­zia­li­sie­rung und Aus­dif­fe­ren­zie­rung der In­dus­trie aus, die dann in Tei­len durch De­indus­tria­li­sie­rung und den Wan­del hin zu ei­ner Dienst­leis­tungs- und Wis­sens­ge­sell­schaft ab­ge­löst wur­de.

Weiterführende Literatur

Fabrikanlage am Ortsrand, 1970er Jahre.
Photo: Karl Guthausen/LVR

Industrielle Herstellung von Rübenkraut, Meckenheim, 1988.
Photo: Peter Weber/LVR

Krötz, Wer­ner: Die In­dus­trie­stadt Ober­hau­sen (Ge­schicht­li­cher At­las der Rhein­lan­de, Bei­heft IV/5). Köln 1985.

Mea­dows, Den­nis u.a.: Die Gren­zen des Wachs­tums – Be­richt des Club of Ro­me zur La­ge der Mensch­heit (Ori­gi­nal­ti­tel: The li­mits to growth, über­setzt von Hans-Die­ter Heck). Stutt­gart 1972.

Pohl, Hans u.a.: Die che­mi­sche In­dus­trie in den Rhein­lan­den wäh­rend der in­dus­tri­el­len Re­vo­lu­ti­on. Bd. 1: Die Far­ben­in­dus­trie (Zeit­schrift für Un­ter­neh­mens­ge­schich­te, Band 18). Köln 1983.

Zun­kel, Fried­rich/ Froese, Wolf­gang: Er­werbs­tä­ti­ge nach Wirt­schafts­be­rei­chen um 1925. In: Ge­schicht­li­cher At­las der Rhein­lan­de, 4. Lie­fe­rung, Kar­ten­blatt VII.3 (Pu­bli­ka­tio­nen der Ge­sell­schaft für Rhei­ni­sche Ge­schichts­kun­de, XII. Ab­tei­lung 1 a Neue Fol­ge). Köln 1992.

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