Als Konkurrenz der Handwerks- und kleiner Landwirtschaftsbetriebe, aber auch als partiell notwendiger „Partner“ gestaltete sich die Geschichte der rheinischen Industriebetriebe im 20. Jahrhundert zwischen Aufstieg und Niedergang.
Vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen
Fließende Übergänge zwischen Handwerk und Industrie kennzeichneten die Phase aufstrebender Industrieunternehmen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit der Hochindustrialisierung um 1880 wurden bestehende Industriebetriebe weiter ausgebaut und immer neue entstanden, so dass die Industrie einen eigenen Wirtschaftszweig ausmachte. Wesentliche Veränderungen ergaben sich durch wachsende Betriebsgrößen und neue Betriebe, die ihre Arbeiter anwarben und damit große Migrationsbewegungen und Urbanisierungstendenzen auslösten. Dies hatte ein Anwachsen der Bevölkerung im Umkreis der Betriebe, eine demografische und kulturell-soziale Veränderung der Bevölkerungsstruktur zur Folge. Gleichzeitig wandelte sich die Arbeit, welche in vielen Bereichen arbeitsteiliger wurde und zudem durch einen festen Lohn bezahlt wurde, so dass Arbeits- und Freizeit sich voneinander trennten, da die Heimarbeit sich immer stärker in Fabriken und Betriebe verlagerte.
Die Arbeiterschaft sollte von den Sozialleistungen, die größere Unternehmen ihrer Belegschaft anboten, profitieren: vergünstigte Wohnmöglichkeit, Kredite für den Bau des Eigenheims in gesonderten Siedlungsgebieten in Werksnähe, vergünstigte Einkaufmöglichkeiten oder Versicherungsleistungen wurden vor allem in den 1950er und 1960er Jahren zur Verfügung gestellt. In der Praxis waren diese Versprechungen jedoch nicht immer umgesetzt: kleine und schlechte Wohnungen, hohe Abhängigkeiten von den Unternehmen und kaum vorhandene Absicherungen im Krankheits- oder Todesfall waren eher die Regel. Organisiert in Gewerkschaften und Verbänden kämpften die Arbeiterinnen und Arbeiter deshalb für bessere Arbeitsbedingungen, gerechtere Bezahlung und höhere Arbeitssicherheit – Themen, die bis heute aktuell sind.
Die Industriearbeit wurde für breite Bevölkerungsschichten zum Alltag und ermöglichte die Herstellung ganz neuer Produkte. Ebenso wie im Handwerk bildeten sich in den neu entstandenen Industriezweigen im 20. Jahrhundert neue Berufe, hervorgerufen durch zunehmende Spezialisierung oder durch Entwicklung neuer Herstellungsprozesse, die andere Fertigkeiten erforderten. Der Einsatz größerer und leistungsfähigerer Maschinen bedeutete Arbeitserleichterung und ermöglichte erst die Bedienung der gestiegenen Nachfrage. Seit den 1960er Jahren erfolgte dann die Umstellung auf Prozessleitsysteme, mit Aufkommen der Computertechnik zogen zudem rechnergesteuerte Anlagen in die Fabriken ein, die einen Teil der Aufgaben übernahmen.
Doch mit dem Erreichen der „Grenzen des Wachstums“ (Club of Rome 1972), welche in verschiedenen Bereichen sichtbar wurden und dazu führte, dass Rohstoffe immer kostspieliger wurden, setzte eine erste Phase der Deindustrialisierung ein: In den 1960er und 1970er Jahren schlossen im Rheinland vor allem Kohlezechen und Stahlindustrie ihre Betriebe. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft hatte begonnen. Durch die Globalisierung wurde das produzierende Gewerbe in Länder mit niedrigeren Lohn- und somit Produktionskosten verlagert.
Vielfalt industrieller Produktion im Rheinland
Ein Überblick über die im Rheinland angesiedelten Industriezweige zeigt deren Vielfalt und räumliche Verteilung: Die Linoleumindustrie in Bedburg, die Gummiindustrie in den Gegenden Nippes, Lindenthal, Ehrenfeld und Mühlheim am Rhein um Köln herum und die Maschinenindustrie in Köln-Kalk und Duisburg sind klar lokal zu verorten. Rasche Verbreitung im ganzen Rheinland erfuhren außerdem besonders die Nahrungsmittel-, die Papier- und die Textilindustrie.
Die Farben- und Lackindustrie, ein Teilbereich der chemischen Industrie, fand ihre Verbreitung besonders in den Gegenden um Aachen, Barmen, Bonn, Düsseldorf, Duisburg, Elberfeld, Köln und Krefeld. Von dort aus gingen bereits im 19. Jahrhundert rheinische Farbenfabrikanten als Preisträger aus regionalen und internationalen Wettbewerben hervor. Als weitere Zuliefererindustrie siedelten sich die Farben-, Papier- und Folienverarbeitende Industrie bevorzugt in Nähe der bestehenden Betriebe und der großen Flüsse an, die nicht nur als Transportwege, sondern für Produktionsprozesse nötig waren und als Ableitungsmöglichkeit für Abwasser dienten. Kritisiert wurde dies zunehmend, nachdem vor allem in den 1970er Jahren Einleitungen giftiger Stoffe in den Rhein ein großes Fischsterben mit verursachten.
So sind insgesamt unterschiedlichste Industriezweige im Rheinland von Bedeutung, einige sind jedoch bereits wieder verschwunden. Das 20. Jahrhundert zeichnete sich durch eine weitergehende Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Industrie aus, die dann in Teilen durch Deindustrialisierung und den Wandel hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft abgelöst wurde.
Weiterführende Literatur
Krötz, Werner: Die Industriestadt Oberhausen (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft IV/5). Köln 1985.
Meadows, Dennis u.a.: Die Grenzen des Wachstums – Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit (Originaltitel: The limits to growth, übersetzt von Hans-Dieter Heck). Stuttgart 1972.
Pohl, Hans u.a.: Die chemische Industrie in den Rheinlanden während der industriellen Revolution. Bd. 1: Die Farbenindustrie (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Band 18). Köln 1983.
Zunkel, Friedrich/ Froese, Wolfgang: Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen um 1925. In: Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, 4. Lieferung, Kartenblatt VII.3 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, XII. Abteilung 1 a Neue Folge). Köln 1992.