Mit Heimarbeit – auch Hausindustrie oder Hausgewerbe genannt – bezeichnet man eine Form der Erwerbsarbeit, die sich im Zuge der frühen Industrialisierung herausgebildet hat, und der eine spezifische Arbeitsteilung zwischen Handwerkern und Unternehmern zugrunde lag.
Arbeitsteilung zwischen Verlegern und Heimarbeitern
Charakteristisch für diese Art des Arbeitsverhältnisses war, dass die Heimarbeiter von Firmen und Fabriken Arbeitsaufträge zur Herstellung von Waren erhielten. Hierbei wurden dem Heimarbeiter vom Auftraggeber neben Angaben zur anzufertigenden Ware und deren Stückzahl auch die zu verarbeitenden Rohstoffe für die Produkte zur Verfügung gestellt. Da die beauftragenden Unternehmer früher auch „Verleger“ genannt wurden, etablierte sich für diese wirtschaftliche Organisationsform die Bezeichnung „Verlagssystem“. Der Arbeitsplatz der Hausindustriellen befand sich nicht selten im eigenen Wohnhaus, und die zur Produktherstellung benötigten Werkzeuge und Maschinen gehörten dem Heimarbeiter in der Regel selbst. Um 1900 kamen dann zahlreiche Mietfabriken auf, die Arbeiter mieteten Raum und Geräte, um für ihren Verleger zu produzieren. Auch in Zeiten von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung fielen hier Mietkosten an und selbst bei guter Beschäftigungslage umfassten die Ausgaben fast die Hälfte des Arbeitslohns. Vor allem für technische Neuerungen, die zu teuer waren um sie in der eigenen Werkstatt anzuschaffen, wurden Plätze in Mietfabriken gemietet: Um etwa den Bandwebern die Umstellung von einem handbetriebenen auf einen mechanischen Betrieb mit Gas- oder Elektromotoren zu ermöglichen, schafften manche Kommunen um 1900 eigene Webstühle an, um sie an die Hausbandweber zu vermieten. Diese konnten so auf eine modernere Betriebsweise umsteigen, ohne ein hohes finanzielles Risiko eingehen zu müssen.
Vertriebssystem
Die vom Hausindustriellen fertiggestellten Produkte gingen an den Verleger zurück, der die Waren dann veräußerte. Ihren Arbeitslohn, dessen Höhe vor der Auftragsvergabe ausgehandelt wurde – in der Regel wurde dabei nicht die Arbeitszeit, sondern die produzierte Stückzahl vergütet - , erhielten die Heimarbeiter vom Auftraggeber. Die Hausindustriellen nahmen so häufig lange Arbeitszeiten in Kauf, bei Krankheit oder wenn das Arbeitsgerät nicht funktionierte bekamen sie keinen Lohn. Aufgrund der benötigten Rohstoffe und den fehlenden Besitzrechten an den von ihnen hergestellten Produkten waren diese Lohnarbeiter in hohem Maße von den Verlegern abhängig. Die wirtschaftliche Organisationsform des Verlagssystems mit „selbstständigen Lohnarbeitern“ bot den Unternehmern die Möglichkeit, kurzfristig, flexibel und kostengünstig auf neuartige und saisonale Bedürfnisse des Marktes zu reagieren. So gaben sie bei Heimarbeitern vor allem Waren in Auftrag, die nur für einen abschätzbaren Zeitraum produziert werden sollten oder starken Nachfrageschwankungen unterlagen, da es sich für den Unternehmer nicht lohnte, in teure Spezialmaschinen zu investieren und hieran ausgebildete Handwerker dauerhaft in Stellung zu nehmen. Nur bei voller Kapazitätsauslastung ihrer Fabriken vergaben die Unternehmer auch Aufträge an Heimarbeiter für sogenannte Stapelware, also Produkte, die keinen ständigen Nachfrageschwankungen und Modetrends unterlagen und die „auf Lager“ produziert werden konnten.
Niedergang des Verlagssystems in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Heimarbeit und Verlagssystem haben im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark an Bedeutung eingebüßt und sind heute praktisch kaum noch von Bedeutung. Hierbei spielt vor allem die Auslagerung von Produktionsstätten für Massenartikel in außereuropäische Regionen – wo zwar billiger, aber vielfach qualitativ minderwertig produziert wird – eine zentrale Rolle. Parallel dazu wurden die Produktionsmittel für die Heimarbeiter mit fortschreitender Technisierung und Automatisierung immer kostenintensiver, wie etwa innerhalb der Hausbandweberei mit Einführung der Nadelautomaten.
Weiterführende Literatur
Bettger, Roland : Verlagswesen, Handwerk und Heimarbeit. In: Grimm, Claus (Hrsg.): Aufbruch ins Industriezeitalter. München 1985.