Der Alltag wird durchbrochen durch herausgehobene Termine, an denen wir feiern, aufwendig essen oder uns besonders kleiden. Warum bestehen diese Termine, wie sind sie historisch entstanden und was macht sie heute aus?
Das Außergewöhnliche strukturiert den Alltag
Im Jahreslauf gibt es besondere Termine, an denen der Alltag zurücktritt: Weihnachten oder Ostern sind nicht nur gesetzliche Feiertage, sondern sie haben eine alltagskulturelle Bedeutung. Noch viele andere Tage sind Anlass für bestimmte Handlungen, auch wenn sie eigentlich ein „Tag wie jeder andere“ zu sein scheinen. Oft gibt es mehr oder weniger festgelegte Handlungsmuster, die vollzogen werden: wir beschenken uns oder gehen verkleidet auf die Straße, wir spielen bestimmte Spiele oder singen Lieder, die nur an einem Tag im Jahr Bedeutung haben.
Entstanden sind viele Bräuche im Jahreslauf aus christlichen Zusammenhängen doch wird dieser Bezug heute in vielen Fällen kaum noch dargestellt oder wahrgenommen. Überformt mit profanen Inhalten ist vielen Menschen die christliche Bedeutung nicht mehr bewusst, zumal in den Medien auch von viel älteren Wurzeln die Rede ist, die allerdings in der Regel nicht mit Quellen zu belegen sind. Nicht wenige Bräuche und Rituale existieren erst seit einigen Jahrzehnten oder haben sich stark gewandelt, wie sich beispielsweise am 11.11. aufzeigen lässt.
Es haben sich außerdem oft regionale und lokale Besonderheiten herausgebildet, die nur für bestimmte Gegenden oder einzelnen Orten Relevanz besitzen. Die ungebrochene Bedeutung dieser Bräuche zeigt, wie wichtig eine raumbezogene Verankerung und Beheimatung auch in Zeiten von Globalisierung und hoher Mobilität noch ist.
Termine im Lebenslauf als Anlass für Brauchhandlungen
Schon mit der Geburt fängt es an: Zu wichtigen Terminen im Lebenslauf finden Handlungen statt, die relativ fest strukturiert sind und sozial erwartet werden. Sie sind als Markierung des Übergangs relevant und geben Sicherheit in ungewohnten oder unbekannten Situationen. Positive Anlässe werden dabei ebenso durch Bräuche strukturiert und kanalisiert wie negative: Nicht nur zur Geburt, auch beim Tod helfen sie, den Umgang mit der ungewohnten Lage zu meistern und mit der neuen Situation umzugehen. Dazwischen stehen aus dem Lebensweg herausgehobene Termine – zum Beispiel Hochzeit, Konfirmation und Kommunion oder Schulanfang und Abitur –, die gemeinsam gefeiert werden.
Anders als bei den Terminen im Jahreslauf steht hier das Einmalige im Mittelpunkt. Es handelt sich um nicht wiederholbare Ereignisse, die in der Regel nur ein Mal im Leben vorkommen. Deshalb werden sie besonders inszeniert und wertgeschätzt, häufig sind die Aktivitäten entsprechend ausgefallener und die Kosten höher. Strukturell aber sind die Lebenslaufbräuche als Übergangsrituale stets gleich aufgebaut, immer geht es um symbolische Markierungen von Veränderung, die ritueller Rahmung im gemeinschaftlichen Handeln bedarf.
Warum wir Bräuche brauchen
Bräuche und Rituale konstituieren Gemeinschaft und stiften Identität. Sie verändern sich und passen sich ihrer Zeit und den aktuellen Bedürfnissen an. „Alte“ Traditionen werden aufgegeben oder verändert und neue Rituale aufgegriffen und etabliert.
Zentrales Element ist dabei immer die Gemeinschaft. Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren Dorf und Nachbarschaft zentrale Bezugsgrößen. Heute rücken Familie, Freunde oder Kollegen stärker in den Mittelpunkt. So wandeln sich nicht nur die Brauchformen, sondern auch die sozialen Gruppen, die den Anlass gemeinsam begehen. Die wiederkehrenden Handlungen bedeuten dennoch einen Moment der Sicherheit inmitten von Unsicherheit und immer schneller werdendem Wandel. Für die Akteure haben sie individuelle ebenso wie gruppenspezifische Funktionen. Deshalb sind sie wichtig und notwendig für die eigene Identität. Bräuche und Rituale repräsentieren aber auch kollektive Identitäten: Werte und Normen einer Gemeinschaft werden rituell dargestellt, ausgehandelt und reflektiert. So sichern Rituale und Bräuche als immaterielles Kulturgut einer Gesellschaft zentrale Elemente des Zusammenlebens.
Weiterführende Literatur
Döring, Alois: Rheinische Bräuche durch das Jahr. Köln 2006.
Van Gennep, Arnold: Übergangsrituale. Frankfurt a. M. 2007.