Die Entwicklung des Brotbackens und des Bäckerhandwerks war und ist eng verknüpft mit den Veränderungen in der Selbstversorgung, im Einzelhandel und der Lebensmittelindustrie.
Brot als Grundnahrungsmittel liefert verlässlich den Kalorienbedarf, ist teilweise einige Wochen haltbar und vor allem recht kostengünstig herzustellen. Bis ins 20. Jahrhundert wurde vor allem grobes Schwarzbrot gegessen, was mehrheitlich aus Roggenschrot gebacken wird. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten feiner gemahlenes Roggen- und vor allem die Zugabe von Weizenmehl für helleres Brot. In Deutschland sind heute rund 3.000 Brotsorten zu finden, die vor allem regional und lokal unterschiedliche Rezepte als Mischbrote haben. Lange Zeit wurde das Brot selbst gebacken.
Lohnbäcker und Gemeindebackofen
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bot der handwerklich arbeitende Bäcker als Lohnbäcker die Möglichkeit, Teige zu Brot backen zu lassen oder fertig gebackenes Brot im Tauschverfahren gegen Korn bzw. Mehl zu erhalten. Vermerkt wurden die Tauschvorgänge in einem eigens für diesen Zweck angelegten Anschreibebüchlein. Beide Varianten sowie das Zukaufen von Brot waren besonders im städtischen Umfeld verbreitet, da diejenigen, die keinen Ofen, kein Land oder keine Energie für die aufwändigen Arbeitsschritte zur Verfügung hatten, auf diese Angebote zurückgreifen mussten.
Auf dem Land besaßen die Menschen in der Regel einen eigenen Backofen oder nutzten den Gemeindebackofen. Alle zwei bis drei Wochen wurde selbst gebacken und so der Bedarf an Brot für die ganze Familie abgedeckt. Rund 40 Kilo Mehl wurden zu meist 16 Broten verarbeitet. Der Gemeindebackofen wurde unabhängig von der sozialen Schicht in einigen Ortschaften des Rheinlandes bis in die 1930er Jahre gemeinschaftlich genutzt, vom Nutzungsrecht ausgenommen waren lediglich Zugezogene und Neubürger, die sich ein Backrecht etwa durch Nachbarn erwarben. Nicht nur Brotlaibe und Kuchen wurden hier gebacken, sondern auch Dörrobst aus dem eigenen Garten hergestellt, um die Vorratshaltung für den Winter sicherzustellen. Die Reihenfolge der Benutzung des Backhauses wurde im Losverfahren immer wieder neu geregelt und hatte vor allem Vorteile in der Bequemlichkeit, denn wer beim Losen gewann konnte sich den Zeitpunkt des Backens aussuchen. Wenn der Backofen voll ausgelastet war musste eine „Backgemeinschaft“ die Arbeiten zwischen Abend und Morgengrauen durchführen.
Zutaten und auch Brennmaterial wurden von den Familien jeweils selbst mitgebracht. Im Gemeindebackhaus wurden alle Arbeitsschritte vom Ansetzen und Kneten des Teiges über das Formen der Brote bis zur Nachbehandlung der gebackenen Laibe erledigt. Es war deshalb auch ein wichtiger Treffpunkt, der zum Austausch von Neuigkeiten besucht wurde. Aufgrund der körperlichen Anstrengung, war insbesondere der Arbeitsschritt des Teigknetens männlichen Familienmitgliedern vorbehalten, die anderen Arbeiten wurden in der Regel von Frauen erledigt. Die Arbeitsschritte wurden ähnlich auch in den eigenen Backhäusern größerer Höfe erledigt, auch hier war nachbarschaftliche Hilfe und Zusammenarbeit üblich.
Noch nach dem Zweiten Weltkrieg war etwa der Gemeindebackofen in Löhndorf, einem Ortsteil von Sinzig im Landkreis Ahrweiler, rund um die Uhr befeuert. Seit dem 18. Jahrhundert hatten hier alle Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes gebacken, die sich keinen eigenen Backofen leisten konnten. Dort wurde das Brot für den Eigenbedarf noch bis in die 1970er Jahre von einigen Bewohnerninnen und Bewohnern gebacken, obwohl es in diesem Dorf bereits einen Berufsbäcker gab. Die Arbeitsschritte wurden in einer Filmdokumentation festgehalten. Das Backhaus steht heute im Freilichtmuseum Kommern. Während in Kriegszeiten die Praxis des Eigenbackens wieder zunehmend Verbreitung fand, verschwand diese Kulturpraxis seit den 1960er Jahren fast völlig.
Das Aufkommen von Bäckereien
Die Etablierung von eigenständigen Bäckereien war stark an die zunehmenden Veränderungen im Arbeitsleben gekoppelt. Durch die zurückgehende Subsistenzwirtschaft mit Versorgung aus dem eigenen Garten nahm auch die Bedeutung des eigenen Backens ab. Der große Aufwand lohnte sich immer weniger. Die Lohnbäckerei von handwerklich arbeitenden Bäckern blieb teilweise für besonders festliche Kuchen und Gebäcke auch dann erhalten, als der elektrische Backofen in den 1960ern bereits Einzug in die Haushalte gehalten hatte. Das im wahrsten Sinne tägliche Brot wurde nun beim Bäcker vor Ort gekauft. Es war nicht nur frischer, sondern im Vergleich zum eigenen Aufwand auch kostengünstiger.
Vor allem in der städtischen Kultur waren handwerkliche Bäcker schon im Mittelalter bedeutsam. Für Adel und wohlhabendes Bürgertum wurde nicht nur Brot, sondern auch Feingebäck regionaler Prägung gebacken - wie etwa die Aachener Printen. Das Handwerk tätigte alle bereits beschriebenen Arbeitsschritte und führte sie in eigenen und zunehmend professionellen Backstuben durch. Der Verkauf erfolgte neben dem Ladengeschäft auch über den Bäckerwagen, der sowohl über die Dörfer der Umgebung fuhr als auch auf dem Wochenmarkt präsent war.
Die Bäckerei als eine zentrale Anlaufstelle des Dorfes unterlag im 20. Jahrhundert nachhaltigen Veränderungen. Flächendeckend entstanden Filialen der Großbäckereien in Supermärkten, industriell erzeugte Backwaren gehörten am Ende des Jahrhunderts zum festen Sortiment der Discounter. Küchenmaschinen vereinfachten die Herstellung im Privathaushalt und verhalfen zu eigenen Kreationen. Der Konkurrenz- und Preisdruck der eigenständigen Bäckereien wuchs deutlich.
Die handwerkliche Bäckerei schien zum Ende des Jahrhunderts ein Auslaufmodell zu sein, da Industriebäcker mit vollautomatisierten Backautomaten vielerorts den handwerklich arbeitenden Bäckermeister mit Kleinbetrieb und eigener Backstube ersetzten. Und doch bot der Bäcker von nebenan Vieles, was der Industriebäcker nicht leisten konnte: Qualität, Flexibilität für Sonderwünsche und Kleinbestellungen, handwerkliches Können und eine fachlich kompetente Beratung. Dennoch kommen heute die meisten Backwaren aus der industriellen Herstellung. In großen Maschinen werden die Arbeitsschritte vollautomatisch erledigt, nur die Qualitätskontrolle erfolgt noch händisch.
Backwaren im Lebens- und Jahreslauf
Die symbolische Bedeutung von Brot und Gebäck zeigt sich besonders zu bestimmten Anlässen im Lebens- oder Jahreslauf, bei Initiationsritualen oder zu Festtagen. Auch zu einigen regionalen Bräuchen gehören spezielle Gebäckstücke als fester Bestandteil. Nicht nur bestimmte Formen, sondern auch besondere und hochwertige Zutaten wie beispielsweise Nüsse oder Zucker waren für dieses Feingebäck typisch. Neben dem Weihnachtsgebäck spielten etwa Gebildebrote eine wichtige Rolle: diese saisonal oft unterschiedlich geformten Backwaren, die traditionell im Rahmen religiöser Handlungen symbolische Bedeutung erhielten (z. B. Nikolausgebäck, Pfeifenmann, Mendelbrote, Hubertusplätzchen oder Neujahrsbrezel), verloren durch die permanente und von religiösen Festtagen losgelöste Verfügbarkeit im Supermarktangebot weitestgehend ihre Bedeutung. Hinzu kamen neue Bräuche, die mitunter die Erzeugung spezieller Backwaren auslösten, so etwa zu Halloween seit den 1990er Jahren. Darüber hinaus wurden immer öfter traditionelle Backwaren in ihren Inhaltsstoffen und Aussehen von der Backwarenindustrie modifiziert. Doch die Martinsbrezel, das Osterlamm aus Kuchenteig und vor allem die große Vielzahl an Weihnachtsgebäck haben ihre Bedeutung bis heute gehalten und sind weiterhin zentraler Bestandteil des Festessens. In einigen Orten wurden auch die Gemeindebackhäuser saniert und wiederbelebt, teilweise werden die Backtage mit lokalen Feierlichkeiten begangen.
Weiterführende Literatur
Döring, Alois: Rheinische Bräuche durch das Jahr, Köln 2006.
Heizmann, Berthold: Die rheinische Mahlzeit. Zum Wandel der Nahrungskultur im Spiegel lokaler Berichte, Köln 1994 (Beiträge zur rheinischen Volkskunde, Bd. 7).
Münstermann, Hans: Die Entwicklung der Bäckereitechnik in den letzten 100 Jahres als historisches Phänomen – zum Problem der Technikgeschichte, Diss. Aachen 1987.
Stadtmuseum Düsseldorf (Hg.): Bäckerhandwerk in Düsseldorf. Arbeits- und Lebensräume. Die vierte Ausstellung in der Reihe `Düsseldorfer Handwerk – heute`. 27. Juli bis 4. September 1983, Düsseldorf o.J.
Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e.V.: Deutsche Brotkultur. Website. http-blank://www.brotkultur.de/