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Bandweberei in Heimarbeit

Maria Thiemann

Die Bandweberin Maria Thiemann betrieb die 1870 von ihrem Großvater August Thiemann gegründete Bandweberei in Wuppertal-Ronsdorf seit 1928 in dritter Generation. 1970 gab sie den Betrieb auf. 1987 erfolgte der Abbau des Gebäudes, ab 1990 der Wiederaufbau auf dem Gelände des LVR-Freilichtmuseum Lindlar. Maria Thiemann starb 1988 in einem Altersheim.

Anfänge der Bandweberei Thiemann

Familie Thiemann vor ihrem Haus (Maria Thiemann an der Tür), Wuppertal-Ronsdorf um 1915
Photo: unbekannt/LVR

Ihr Gro­ßva­ter Au­gust Thie­mann kauf­te 1869 das klei­ne Haus „An der Lin­de 34a“ in Rons­dorf und be­zog es ge­mein­sam mit sei­ner Frau Jo­han­na Ca­ro­li­na und sei­nem Sohn Au­gust ju­ni­or. Um sei­nen Be­ruf als Band­we­ber auch an der neu­en Wohn­stät­te aus­üben zu kön­nen, er­wei­ter­te er das Ge­bäu­de um ei­ne ca. 23 Qua­drat­me­ter gro­ße Werk­statt. Dort be­kam der 1870 vom Rons­dor­fer Band­stuhl­schrei­ner Carl Lüdorf an­ge­fer­tig­te Band­web­stuhl den Platz, den er über ein­hun­dert Jah­re be­hal­ten soll­te. Die An­schaf­fung war äu­ßerst kost­spie­lig, den Kauf­preis von 600 Ta­lern Preu­ßisch Cou­rant zahl­te der Band­we­ber bis 1889 in Ra­ten ab. Nach Au­gust Thie­manns Tod 1892 über­nahm sein Sohn Au­gust ju­ni­or die Band­we­be­rei. Kurz zu­vor hat­te er Ma­ria Fal­ken­rath ge­hei­ra­tet. Das Paar be­kam 1900 ihr ein­zi­ges Kind, die Toch­ter Ma­ria Thie­mann, ge­nannt „Ma­rie­chen“. Wie schon sein Va­ter spe­zia­li­sier­te sich Au­gust Thie­mann ju­ni­or auf die Her­stel­lung von sei­de­nem Her­ren­hut- und Haar­band, das er im Ver­lags­sys­tem pro­du­zier­te. Auf­trag und Ma­te­ri­al er­hielt er von ei­nem Ver­le­ger, die Ar­beit ver­rich­te­te er zu­hau­se am ei­ge­nen Web­stuhl. Die Be­zah­lung er­folg­te nach Län­ge und Art des ge­web­ten Ban­des.

Elektrifizierung der Werkstatt

Transmission am Bandwebstuhl in der Bandweberei Thiemann. Links sind die Kettscheiben zu sehen. Wuppertal-Ronsdorf 1987.
Photo: Unbekannt/LVR

Die Er­öff­nung des Elek­tri­zi­täts­wer­kes in Rons­dorf 1899 und der spä­te­re An­schluss sei­nes Hau­ses an das Strom­netz er­mög­lich­ten Au­gust Thie­mann ju­ni­or, sei­nen Band­web­stuhl mit­tels ei­nes Rie­men­ge­trie­bes – ei­ner Trans­mis­si­on – an ei­nen Elek­tro­mo­tor an­zu­schlie­ßen. Die­ser 0,5 PS-star­ke Mo­tor trieb den Stuhl nun 14 Stun­den am Tag an – von mor­gens um 7 Uhr bis abends um 21 Uhr. So blieb die klei­ne Haus­band­we­be­rei auch mit nur ei­nem Stuhl wei­ter­hin kon­kur­renz­fä­hig. Bis zum Ers­ten Welt­krieg lie­fen die Ge­schäf­te gut, Au­gust Thie­mann ju­ni­or pro­du­zier­te re­gel­mä­ßig für die Fir­ma Ernst Muth­mann & Schop­mann aus Wup­per­tal-El­ber­feld. Zwar brach­te der Ers­te Welt­krieg Auf­trags­ein­bu­ßen und wech­seln­de Auf­trag­ge­ber mit sich, doch konn­te sich die Haus­band­we­be­rei Thie­mann in den 1920er Jah­ren wirt­schaft­lich wie­der er­ho­len. Re­la­tiv kon­stant er­hielt sie Auf­trä­ge von den Band­fa­bri­ken H. Hüt­ten­hoff aus Wup­per­tal-Bar­men und Hein­rich Nier­haus aus Wup­per­tal-Rons­dorf.

Maria Thiemann übernimmt den Betrieb

Maria Thiemann in ihrer Werkstatt, Wuppertal-Ronsdorf 1980
Photo: Halbach, Josua/LVR

1928 konn­te der Band­we­ber Au­gust Thie­mann ju­ni­or nach ei­nem Schlag­an­fall von ei­nem auf den an­de­ren Tag sei­ne Ar­beit nicht mehr ver­rich­ten. Zu die­sem Zeit­punkt über­nahm sei­ne Toch­ter Ma­ria sei­ne Auf­ga­ben. Durch ih­re jah­re­lan­ge Mit­hil­fe, un­ter an­de­rem an der Spul­ma­schi­ne, war sie mit der Ar­beit ih­res Va­ters ver­traut, oh­ne je­doch ei­ne ent­spre­chen­de Aus­bil­dung ab­sol­viert zu ha­ben. Sie spe­zia­li­sier­te sich auf das We­ben ein­fa­cher Bän­der für Krän­ze und Blu­men­sträu­ße. Vor dem Zwei­ten Welt­krieg be­ar­bei­te­te sie Auf­trä­ge der Fir­ma Hein­rich Nier­haus, wäh­rend des Krie­ges von der Band­fa­brik Jo­el & Co aus Wup­per­tal-Bar­men. Nach ei­ner kur­zen Pha­se oh­ne Auf­trä­ge nach En­de des Krie­ges pro­du­zier­te sie seit den 1950er Jah­ren bis zur Auf­ga­be ih­res Be­trie­bes 1970 re­gel­mä­ßig für die Fir­ma Jo­hann Sent­gen in Wup­per­tal-Rons­dorf. Die Ein­künf­te wa­ren ge­ring, doch der gro­ße Nutz­gar­ten ne­ben dem Haus lie­fer­te aus­rei­chend Kar­tof­feln, Ge­mü­se und Obst, so dass der Er­trag ih­rer Ar­beit für ein be­schei­de­nes Le­ben ge­nüg­te.

Entwicklung des Betriebs und des Haushalts nach dem Tod der Eltern

Bauzeichnung des Dachgeschosses des Bandweberhauses Thiemann auf dem Gelände des LVR-Freilichtmuseums Lindlar, 1989.
Photo: Ulrich Sasse/LVR

Bauzeichnung des Untergeschosses des Bandweberhauses Thiemann auf dem Gelände des LVR-Freilichtmuseums Lindlar, 1989.
Photo: Ulrich Sasse/LVR

Nach dem Tod ih­res Va­ters Au­gust Thie­mann ju­ni­or 1935 und ih­rer Mut­ter Ma­ria Thie­mann, geb. Fal­ken­rath, 1938 leb­te Ma­ria Thie­mann zu­nächst al­lein in ih­rem El­tern­haus. 1948 wur­de auf­grund der aku­ten Woh­nungs­not in Wup­per­tal ein jun­ges Ehe­paar in das Haus in Wup­per­tal-Rons­dorf ein­quar­tiert. Es be­zog zwei neun Qua­drat­me­ter gro­ße Zim­mer – je­weils eins im Ober-, eins im Un­ter­ge­schoss – und blieb dort zwölf Jah­re woh­nen. In die­ser Zeit be­ka­men sie vier Kin­der. Erst ab 1960 hat­te Ma­ria Thie­mann das Haus wie­der für sich. Noch bis 1970 führ­te sie ih­re Ar­beit am Band­web­stuhl fort. Doch dann zwan­gen sie ge­sund­heit­li­che Be­schwer­den und der spür­bar an­stei­gen­de Kon­kur­renz­druck durch mo­der­ne Band­fa­bri­ken zur Be­triebs­auf­ga­be. 1985 zog Ma­ria Thie­mann in ein Al­ters­heim, wo sie 1988 ver­starb.

Die Bandweberei Thiemann im Museum

Das Haus der Familie Thiemann mit Garten auf dem Museumsgelände, Lindlar 1995
Photo: Schmitz, Britta/LVR

Heu­te kann man das Band­we­ber­haus im LVR-Frei­licht­mu­se­um Lind­lar be­sich­ti­gen. Die Werk­statt und die Wohn­räu­me des Hau­ses wer­den mit dem Ori­gi­nal­in­ven­tar im Zeit­schnitt um 1920 prä­sen­tiert. Der Stand­ort im Mu­se­ums­ge­län­de ent­spricht hin­sicht­lich La­ge und Him­mels­rich­tung weit­ge­hend den Be­din­gun­gen am Ori­gi­nal­stand­ort in Wup­per­tal-Rons­dorf. Und so­gar der gro­ße Gar­ten von Ma­ria Thie­mann wur­de nach bio­lo­gi­schen und fau­nis­ti­schen Un­ter­su­chun­gen so­wie al­ten Plä­nen und In­for­ma­tio­nen von Ma­ria Thie­mann re­kon­stru­iert.

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