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„Kumm, loss mer fiere!“

Essen und Trinken in Brauch und Ritual

Aus dem Alltag herausgehobene Anlässe werden nicht nur mit Brauchhandlungen gekennzeichnet, mit ihnen geht fast immer auch ein besonderes, festliches Essen einher. Die Gerichte, Gebäcke und auch Getränke dieser Tage werden oft mit großem Aufwand vorbereitet.

Brauchtermine als Anlass für festliche Speisen

Ratgeber „Geselligkeit im Hause. Zeitgemäße Ratschläge für Familienfeste, Tischdecken, Servieren, Tafelschmuck, Ton und Sitte“, 1920er Jahre.
Photo: Sabine König/LVR

„Die Her­stel­lung (…) ist, ge­ra­de in der Vor­weih­nachts­zeit, von be­son­de­rem Reiz.“ –Fei­er­ta­ge wie Os­tern, Weih­nach­ten oder Hoch­zeit wur­den im 20. Jahr­hun­dert durch die Zu­be­rei­tung be­son­de­rer Ge­rich­te und Spei­sen ge­kenn­zeich­net. Bei die­sen Brauch­ter­mi­nen des Jah­res- oder Le­bens­laufs wur­de ei­ne meist hoch­wer­ti­ge, oft als tra­di­tio­nell be­zeich­ne­te und re­gio­nal ge­präg­te Spei­sen­aus­wahl auf den Tisch ge­bracht. Der Rat­ge­ber „Ge­sel­lig­keit im Hau­se“ aus den 1920er Jah­ren wid­me­te ein gan­zes Ka­pi­tel den „Fa­mi­li­en­fes­ten“. Auch der Sonn­tag zähl­te zu den Fest­ta­gen und Koch­bü­cher be­schrie­ben ihn als „der ei­ne (Tag), der im­mer wie­der aus der Müh­sal un­se­rer Wer­kel­ta­ge her­aus­strah­len soll. (…) lie­be Haus­frau (…) So ist es dei­ne hei­li­ge Pflicht, ihn auch wirk­lich zum Fest­tag zu ma­chen.“ Da­bei ist es vor al­lem die christ­li­che Lit­ur­gie, wel­che den Sonn­tag aus dem All­tag her­aus­hebt. Auch der Um­stand, dass der Sonn­tag meist der ein­zi­ge ar­beits­freie Tag war, trug zu sei­ner her­aus­ge­ho­be­nen Stel­lung bei. Dem­entspre­chend wa­ren auch die Ge­rich­te et­was Be­son­de­res, denn oft gab es nur an die­sem Wo­chen­tag Fleisch, den Sonn­tags­bra­ten. Im Lau­fe des 20. Jahr­hun­derts wan­del­te sich die Be­deu­tung des Sonn­tags im All­tag, tra­di­tio­nel­le Ver­hal­tens­mus­ter lo­cker­ten sich dem­entspre­chend. Im ka­tho­lisch ge­präg­ten Rhein­land stell­ten ne­ben dem Sonn­tag be­son­ders Kar­ne­val, Os­tern, Pfings­ten und Weih­nach­ten be­deu­ten­de Brauch­ter­mi­ne dar.

Rheinischer Karneval – Der Alkohol braucht eine feste Grundlage

Gasthaus mit Karnevalsdekoration. Lommersum 2009.
Photo: Peter Weber/LVR

Im rhei­ni­schen Kar­ne­val kon­su­mier­te man ger­ne auch al­ko­ho­li­sche Ge­trän­ke. Um die Fei­er­ta­ge da­bei gut zu über­ste­hen, be­durf­te es ent­spre­chen­der Spei­sen. Hier bot sich Fett­ge­ba­cke­nes als so­li­de Grund­la­ge für den Al­ko­hol an. So be­schrieb ein rhei­ni­scher Re­zept-Ka­len­der von 1939 das Fest­es­sen zu Kar­ne­val: „Zur Kar­ne­vals­zeit wird nir­gends so viel Fett­ge­ba­cke­nes ge­ges­sen wie in den Län­dern rechts und links vom Rhein. Vom Sams­tag vor Ro­sen­mon­tag bis Kar­ne­vals­diens­tag durch­zieht vie­le Häu­ser ein sü­ßer Duft. Da wer­den Mut­zen, Krep­peln und Krap­fen ge­ba­cken, und mit Stolz trägt die flei­ßi­ge Haus­frau das Selbst­ge­mach­te auf den Tisch.“ Doch auch, weil der Kar­ne­val die letz­ten Ta­ge vor der Fas­ten­zeit dar­stellt, wur­den hier vie­le Fett- und Eispei­sen zu­be­rei­tet: Ei­er und But­ter hiel­ten sich nur schlecht bis Os­tern, so dass sie auf­ge­braucht wer­den muss­ten.

Weihnachten und Ostern: Zeit des Gebäcks

Heft „Bitte nicht stören – bin bei der Weihnachtsbäckerei – Renate“, Dr. Oetker 1954.
Photo: Sabine König/LVR

Die Weih­nachts­zeit war für die Her­stel­ler von Back­zu­ta­ten die um­satz­stärks­te Zeit des Jah­res. Mit kos­ten­lo­sen Hef­ten ver­brei­te­ten Fir­men wie Ree­se und Ruf ab den 1950er Jah­ren ver­stärkt weih­nacht­li­che Re­zep­te und be­war­ben so gleich­zei­tig ih­re Pro­duk­te; al­len vor­an der Markt­füh­rer Dr. Oet­ker. Die Dr. Oet­ker-Wer­be­fi­gur „Re­na­te“ prä­sen­tier­te in den 1950er bis 1960er Jah­ren in Hef­ten mit Ti­teln wie „Bit­te nicht stö­ren – bin bei der Weih­nachts­bä­cke­rei“ Re­zep­te für Ho­nig­brot, Ko­kos­ber­ge und Weih­nachts­stol­len. Da­bei be­ton­te Re­na­te: „Die Zeit der Vor­freu­de auf das schöns­te Fest des Jah­res ist un­trenn­bar mit der häus­li­chen Weih­nachts­bä­cke­rei ver­bun­den.“ Im aus­ge­hen­den 20. Jahr­hun­dert tru­gen die Hef­te dann Ti­tel wie „Weih­nachts­träu­me“ und „Weih­nachts­zau­ber“ und prä­sen­tier­ten exo­ti­sche­re Re­zep­te wie Es­pres­so-Mar­zi­pan-Ku­geln und Brat­ap­fel-Ti­ra­mi­su. Fest­li­che An­läs­se wur­den nun oft nicht mehr mit ku­li­na­risch Be­kann­tem be­tont, statt­des­sen wur­de das Aus­ge­fal­le­ne und Neue als hö­her­wer­tig be­trach­tet. Auch das Os­ter­fest war An­lass für auf­wän­di­ges Ko­chen und Ba­cken und die Ver­wen­dung hoch­wer­ti­ger Zu­ta­ten. Die Her­stel­ler emp­fah­len in Re­zept­hef­ten der 1950er Jah­ren zu die­ser Ge­le­gen­heit zum Bei­spiel die Zu­be­rei­tung von Os­ter­brot und Sah­ne-Quark-Tor­te; das Heft von Dr. Oet­ker be­ton­te: „Selbst­ge­ba­cke­ner Ku­chen (…) und fei­ne Süß­spei­sen bil­den wie im­mer die Hö­he­punk­te der Fei­er­ta­ge.“

Geburtstag, Taufe, Hochzeit: Festtermine im Lebenslauf

Heft „Osterfreuden – Neue Rezepte aus der Dr. Oetker Versuchsküche“, 1950er-1960er Jahre.

Heft „Gebäck zum Fest“, 1980er-90er Jahre.
Photo: Hans-Theo Gerhards/LVR

Auch die wich­ti­gen Ter­mi­ne im Le­bens­lauf wie Ge­burts­tag, Tau­fe, Kom­mu­ni­on, Kon­fir­ma­ti­on und Hoch­zeit wa­ren An­lass für fest­li­ches Spei­sen. Aus­ge­wähl­te Ge­rich­te, hoch­wer­ti­ges Ge­schirr, pas­sen­de Tisch­wä­sche und -de­ko­ra­tio­nen be­ton­ten de­ren fei­er­li­chen Cha­rak­ter. Ei­ne Haus­wirt­schafts­leh­re­rin emp­fahl in ih­rem Buch „Ko­chen und Haus­hal­ten“ 1927: „Bei fest­li­chen Ge­le­gen­hei­ten durch ei­nen schön ge­deck­ten Tisch zur He­bung der Fest­freu­de bei­tra­gen. Fri­sches, wei­ßes Tisch­tuch mit pas­sen­den Mund­tü­chern auf­le­gen, (…) ein­heit­li­ches Ge­schirr und Be­steck be­nüt­zen; den Tisch mit fri­schen grü­nen Pflan­zen oder Blu­men schmü­cken. Spei­sen sorg­fäl­tig an­ge­rich­tet und ver­ziert auf­tra­gen.“ Fo­tos in Koch­bü­chern der 1930er Jah­re lie­fern da­zu ein­drucks­vol­le Bei­spie­le. Auch in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten leg­te man Wert auf der­lei Ele­men­te, al­ler­dings wur­den sie häu­fig ed­ler und kost­spie­li­ger – eben­so wie die auf­ge­tisch­ten Ge­rich­te oder Ge­trän­ke.

Veränderungen in den Brauchkomplexen

Halloween-Gebäck in der Auslage einer Bäckerei im Rheinland. Vermutlich Eukirchen 2001.
Photo: Peter Weber/LVR/LVR

Seit den 1950er Jah­ren ka­men durch den ver­stärk­ten Zu­zug von Men­schen an­de­rer Kon­fes­sio­nen und kul­tu­rel­ler Hin­ter­grün­de neue Bräu­che ins Rhein­land: So fei­ern vie­le Mus­li­me be­son­ders das Zu­cker­fest und das Op­fer­fest – im­mer ha­ben da­bei die Ge­rich­te und Ge­trän­ke ei­ne gro­ße Be­deu­tung und trans­por­tie­ren den her­aus­ge­ho­be­nen Stel­len­wert der Fes­te. Auch die Bräu­che und Spei­sen der ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur, wie et­wa zu Thanks­gi­ving, wer­den seit dem aus­ge­hen­den 20. Jahr­hun­dert im Rhein­land ver­stärkt über­nom­men.

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