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Anbau und Zukauf

„Intensive Nutzung der Gartenfläche deckte weitgehend die Versorgung …“

„… mit Gemüse, z.B. versch. Kohlsorten (Weißkohl, Rotkohl, Wirsing) ferner Bohnen und Erbsen, ferner Zwiebel, Porree, rote Beete sowie Frühkartoffeln, Salat, Gurken. Hühnerhaltung und vielfach 1 bis 2 Ziegen.“ Nicht nur Arnold S. berichtet aus seiner Kindheit und Jugend in Wassenberg-Myhl, dass der zum Haus gehörende Garten in ländlichen Gebieten Anfang des 20. Jahrhunderts in der Regel als Nutzgarten diente. Der Bericht spiegelt die Versorgung des Haushaltes mit eigenen Lebensmitteln zu dieser Zeit wieder und steht stellvertretend für viele andere.

Nutzgärten zur Selbstversorgung

Nutzgarten hinter einem Wohnhaus in einer Arbeitersiedlung, Alsdorf, Anfang 1990er Jahre.
Photo: Weber, Peter/LVR

Der Nutz­gar­ten ver­sorg­te die Fa­mi­lie mit Grund­nah­rungs­mit­teln wie Ge­mü­se, Obst oder Kar­tof­feln. In vie­len Haus­hal­ten wur­den zu­sätz­lich Tie­re ge­hal­ten, sei­en es wie bei Fa­mi­lie S. Hüh­ner oder Zie­gen, oder, wie bei Frau S. aus Lin­nich-Kör­ren­zig, Ka­nin­chen, En­ten, Gän­se und ein Schwein. So ge­hör­te auch zum Haus der Band­we­ber­fa­mi­lie von Ma­ria Thie­mann in Wup­per­tal-Rons­dorf ein Nutz­gar­ten mit Ka­nin­chen- und Hüh­ner­stäl­len, wel­cher die grund­le­gen­de Ver­sor­gung si­cher­te. Auch Ar­bei­ter­fa­mi­li­en, die in Sied­lungs­häu­sern wohn­ten, ver­sorg­ten sich oft­mals durch zum Haus ge­hö­ri­ge Nutz­gär­ten, wie Chris­ta F. über ih­re Kind­heit in der Krupp-Sied­lung in Rhein­hau­sen-Hoch­em­me­rich be­rich­tet. Die­se wa­ren „von et­wa 5 m Brei­te und 20 m Län­ge. Dort stand auch meist noch ein Ka­nin­chen­stall oder es wur­den ein paar Hüh­ner ge­hal­ten. An­ge­pflanzt wur­de – haupt­säch­lich zur Vor­rats­hal­tung – Boh­nen, Kap­pes [Kohl], Möh­ren, Erb­sen, Por­ree, Grün­kohl, Ro­sen­kohl und Sa­lat der Jah­res­zeit.“

Märkte und lokale Anbieter als Ergänzung

Bandweberhaus im Gelände des LVR-Freilichtmuseums Lindlar. Im Vordergrund befindet sich der rekonstruierte Garten des Hauses. Lindlar 1993.
Photo: Haas, Hans/LVR

Zu­sätz­lich zur Selbst­ver­sor­gung wa­ren Wo­chen- oder Jahr­märk­te wich­tig für die Ver­sor­gung. Die Märk­te fan­den nicht in al­len Ge­gen­den statt, so dass teil­wei­se auch wei­te­re We­ge in Kauf ge­nom­men wur­den: hier bo­ten Hand­wer­ker ih­re Wa­re an, bei­spiels­wei­se Bürs­ten oder Werk­zeu­ge, aber auch Vieh konn­te in man­chen Or­ten auf den an­ge­schlos­se­nen Vieh­märk­ten ge­kauft wer­den. Ge­mischt­wa­ren­lä­den, die sich ge­gen En­de des 19. Jahr­hun­derts in den Städ­ten ver­brei­te­ten, wa­ren auf dem Land sel­ten. An­de­re Le­bens­mit­tel, wie bei­spiels­wei­se Milch, wur­den oft durch bäu­er­li­che Lie­fe­ran­ten be­zo­gen oder di­rekt beim Bau­ern ein­ge­kauft. Fa­mi­lie S. aus Schwep­pen­hau­sen be­zog et­wa ihr Mehl vom Mül­ler und das Öl von ei­ner Öl­müh­le. In Un­zen­berg war es üb­lich, dass „Raps […] in der Öl­müh­le Ohl­wei­ler ge­gen Öl ein­ge­tauscht wur­de.“

Von einer Notwendigkeit zum Ausdruck des eigenen Lebensstils

Blick in eine Vorratskammer mit Hausbackofen, Lich-Steinstraß, 1977.
Photo: unbekannt/LVR

Buk man Brot zu­nächst vor­rä­tig in grö­ße­ren Men­gen am Back­tag im Ge­mein­de­back­ofen, oder, wenn vor­han­den, im hei­mi­schen Ofen, nahm die Zahl der Lie­fe­ran­ten und Bä­cke­rei­en bis zum aus­ge­hen­den 20. Jahr­hun­dert zu. Brot­ba­cken im ei­ge­nen Ofen wird heu­te, eben­so wie die Be­stel­lung ei­nes Nutz­gar­tens, mehr und mehr zu ei­ner Fra­ge des Le­bens­stils: Man ent­schei­det sich be­wusst für die­se Tä­tig­keit, die kaum mehr ei­ne Not­wen­dig­keit ist, da Le­bens­mit­tel na­he­zu je­der­zeit frisch be­zo­gen wer­den kön­nen. Ei­ne Schil­de­rung wie von So­phie R. aus Brei­ten­be­n­den, die be­rich­tet, dass der Va­ter um drei Uhr in der Nacht auf­ste­hen muss­te, um den Teig für die Bro­te der nächs­ten Wo­chen an­zu­set­zen, da dies „für die Mut­ter zu schwer“ war, wird man wohl heu­te im Rhein­land sel­ten, wenn über­haupt noch fin­den.

Wur­den zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts in den länd­li­chen Re­gio­nen des Rhein­lan­des nur we­ni­ge Nah­rungs­mit­tel auf Bau­ern­hö­fen, dem Wo­chen­markt oder ver­ein­zelt auch in klei­ne­ren Lä­den zu­ge­kauft, hat sich ge­ra­de das Ein­kaufs­ver­hal­ten bis hin zum 21. Jahr­hun­dert stark ver­än­dert. Muss­ten frü­her die im hei­mi­schen Gar­ten ge­ern­te­ten Boh­nen müh­se­lig durch Ein­le­gen in Salz­la­ke kon­ser­viert wer­den, um sie für ei­nen län­ge­ren Zeit­raum vor­rä­tig hal­ten zu kön­nen, ist es heu­te durch die Le­bens­mit­tel­in­dus­trie ei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit, die­se zu na­he­zu je­der Ta­ges- und Jah­res­zeit im Su­per­markt ein­kau­fen zu kön­nen. So be­rich­tet Frau R. aus Wald­lau­bers­heim, dass die Fa­mi­lie sich An­fang des 20. Jahr­hun­derts grö­ß­ten­teils selbst ver­sorg­te, nach 1980 im Gar­ten je­doch nur noch „et­was Obst, sonst nur Kü­chen­kräu­ter“ an­ge­pflanzt wur­den. In­dus­tri­ell pro­du­zier­te und ab­ge­pack­te Nah­rungs­mit­tel so­wie mo­der­ne Ge­frier­mög­lich­kei­ten ra­tio­na­li­sier­ten und ver­ein­fach­ten das Ein­kau­fen und La­gern von Le­bens­mit­tel. Selbst­ver­sor­gung wur­de so­mit im Ver­hält­nis im­mer auf­wen­di­ger und schlie­ß­lich über­flüs­sig.

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