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Kein Fisch mehr an der Angel?

Binnenfischerei, Teichwirtschaft und Fischverarbeitung im Rheinland

Binnenfischerei und Teichwirtschaft sind mehr als die Ausübung eines Handwerks zur Nahrungsbeschaffung. Sie beinhalten gleichermaßen die Bestandspflege und Zucht. Mit der Fischerei verbunden sind zahlreiche Bräuche und Rituale.

Vorratdose für Fisch mit Herings-Motiv, um 1920.
Photo: Hans-Theo Gerhards/LVR

Fisch­ge­rich­te spie­len be­son­ders als Frei­tags- und Fas­ten­spei­se ei­ne wich­ti­ge Rol­le. In Ge­bie­ten na­he ei­nes Ge­wäs­sers ge­hör­te Fisch schon lan­ge zur Nah­rung der Men­schen. Man fisch­te für den Ei­gen­be­darf oder für den Han­del, je­doch in weit­aus ge­rin­ge­ren Men­gen als heu­te. Mit der Ver­än­de­rung der Le­bens­be­din­gun­gen und des Fi­sche­rei­we­sens hat sich die Wert­schät­zung der Mahl­zeit Fisch grund­le­gend ver­än­dert, so galt vor dem Zwei­ten Welt­krieg der He­ring bei­spiels­wei­se als Nah­rung der ar­men Leu­te.

Fischerei und Fischverzehr

Zur Konservierung gesalzene Lachshälften, Wesel 1980er Jahre.
Photo: LVR-Zentrum für Medien und Bildung/LVR

Im Ge­gen­satz zur Jagd er­lang­te die Fi­sche­rei erst spät ei­ne Be­deu­tung als Frei­zeit­be­schäf­ti­gung. Be­reits seit dem Mit­tel­al­ter wa­ren Fi­sche­rei­rech­te ge­setz­lich ge­re­gelt und wur­den er­wor­ben oder er­erbt, al­so nur Be­rufs­fi­schern oder dem Adel vor­be­hal­ten. Be­rufs­fi­scher spe­zia­li­sier­ten sich im – nicht am Meer ge­le­ge­nen – Rhein­land ent­we­der auf ein Ge­wäs­ser, wie den Rhein, oder sie er­wirt­schaf­te­ten in Fisch­tei­chen ih­ren Um­satz. Ne­ben ei­ni­gen Ge­rät­schaf­ten sind für die Fi­sche­rei ins­be­son­de­re spe­zi­el­le Kennt­nis­se not­wen­dig. Be­son­de­re Fang­tech­ni­ken kön­nen je nach Flie­ß­ge­schwin­dig­keit des Ge­wäs­sers nütz­lich sein, so dass sich et­wa Stell­net­ze in nied­ri­gen Ge­wäs­sern durch­setz­ten. Im Ge­gen­satz zur Bin­nen­fi­sche­rei hat die Teich­wirt­schaft und Fisch­zucht im Rhein­land ei­ne bis heu­te be­ste­hen­de Tra­di­ti­on. Die Tei­che sind we­ni­ger Fremd­ein­wir­kun­gen aus­ge­setzt, so dass sich das Öko­sys­tem und die ent­spre­chen­den Be­stän­de hier bes­ser re­gu­lie­ren las­sen und der Ab­satz kon­stan­ter ist. Mitt­ler­wei­le er­folg­te auch bei die­sen Fa­mi­li­en­be­trie­ben der Um­bau auf tech­nisch mo­der­ne An­la­gen.

Der ge­fan­ge­ne Fisch ist leicht ver­derb­lich und muss ent­we­der di­rekt ge­kühlt oder in auf­wen­di­gen Pro­ze­du­ren der Vor­rats­hal­tung halt­bar ge­macht wer­den. Gan­ze Wirt­schafts- und Hand­werks­zwei­ge ent­stan­den des­halb rund um den Ver­kauf und vor al­lem das Pö­keln und Räu­chern von Fi­schen. Die ver­wen­de­ten Zu­satz­stof­fe zur Halt­bar­ma­chung des Fi­sches wa­ren vor al­lem Salz, Es­sig, Senf, Ge­la­ti­ne oder Ge­wür­ze und muss­ten grö­ß­ten­teils zu­ge­kauft wer­den. Auf­grund lan­ger Trans­port­we­ge wa­ren ins­be­son­de­re Salz und Ge­wür­ze teu­er und wur­den nur für ed­le Fisch­sor­ten ver­wen­det.

Der Fisch­han­del wur­de in der Re­gel von Hau­sie­rern oder Händ­lern be­trie­ben. Die­se wa­ren zu­meist aus den Nie­der­lan­den an­ge­reist und ver­kauf­ten zu den Markt­ta­gen ih­ren See­fisch an die städ­ti­sche und länd­li­che Be­völ­ke­rung. Auch die sich im Rhein­land an­sie­deln­den Fisch­in­dus­trie­be­trie­be be­zo­gen ih­re Wa­ren di­rekt aus Bel­gi­en oder den Nie­der­lan­den, wenn sie nicht durch die re­gio­na­len Fän­ge ver­sorgt wur­den. Be­son­ders Aal, Stock­fisch, Fo­rel­le, Zan­der, Brat­bück­ling, Rot­au­ge, Schell­fisch, Hecht oder Mu­scheln wur­den den Rhein­län­de­rin­nen und Rhein­län­dern feil­ge­bo­ten.

Belasteter Rhein

Fischer mit Fang, Lobberich (Nettetal) 1979.
Photo: Manfred Müller/LVR

Im Rhein­land muss­te ein Gro­ß­teil des ver­zehr­ten Fi­sches zu­ge­kauft wer­den, da sich be­reits um 1900 die Was­ser­qua­li­tät des Rheins durch die Viel­zahl der be­nach­bar­ten In­dus­trie­an­la­gen deut­lich ver­schlech­ter­te, wor­un­ter bei­spiels­wei­se die tra­di­tio­nel­le Lachs­fi­sche­rei, spä­ter auch die Aal­fi­sche­rei zu lei­den hat­ten. Lan­ge Zeit wur­den in­dus­tri­el­le Ab­wäs­ser fast un­ge­fil­tert in den Rhein eben­so wie in an­de­re Ge­wäs­ser ge­lei­tet. So wa­ren ge­ra­de die auf­stei­gen­den In­dus­tri­en auch im obe­ren Rhein­ver­lauf so­wie Berg­bau und Stahl­in­dus­trie im Ruhr­ge­biet und spä­ter dann auch Kern­kraft­wer­ke für star­ke Ver­schmut­zun­gen ver­ant­wort­lich, da Klär­an­la­gen nicht vor­ge­schrie­ben wa­ren. Che­mie­un­fäl­le be­nach­bar­ter auch aus­län­di­scher In­dus­tri­en, das Ab­flie­ßen von ent­spre­chen­dem Lösch­was­ser aus Groß­brän­den der An­rhei­ner-In­dus­trie und auch Haus­halts­ab­wäs­sern und In­sek­ti­zi­den ta­ten ihr Üb­ri­ges zur Be­las­tung des Rhein­was­sers. Schon seit den 1950er Jah­ren wur­de die Ver­schmut­zung me­di­al dis­ku­tiert und die Was­ser­wer­ke mach­ten sich Sor­gen um die Trink­was­ser­ver­sor­gung, das Fisch­ster­ben im Rhein und in an­gren­zen­den Flüs­sen stieg ra­pi­de an. Das be­deu­te­te auch das end­gül­ti­ge En­de der Be­rufs­fi­sche­rei, denn die Er­trä­ge wur­den im­mer ge­rin­ger.

Wiederherstellung der Wasserqualität und Stabilisierung der Bestände

Fischtuppen im See: Fische werden erst aufgescheucht, um sie dann mit einem Netz zu fangen. Lobberich (Nettetal) 1979.
Photo: Manfred Müller/LVR

Mit der Ver­schlech­te­rung des Rhein­was­sers ging ei­ne me­dia­le Auf­merk­sam­keit ein­her, das zu­neh­men­de Um­welt­be­wusst­sein führ­te ähn­lich wie beim Wald­ster­ben zu Bür­ger­initia­ti­ven und in der Fol­ge auch zu ge­setz­li­chen Schutz­re­ge­lun­gen. Zu den Maß­nah­men­pa­ke­ten ab den 1970er Jah­ren ge­hör­ten u. a. der Neu- und Aus­bau öf­fent­li­cher Klär­an­la­gen, der Bau be­triebs­ei­ge­ner Klär­sys­te­me, so­wie die Ver­än­de­rung ge­setz­li­cher Re­ge­lun­gen, die für ei­ne ge­rin­ge­re Schad­stoff­be­las­tung der Flüs­se durch In­dus­tri­en und Kom­mu­nen sorg­ten. Die­se Maß­nah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­tua­ti­on der Rhein­fi­sche grif­fen und der Be­stand er­hol­te sich zu­se­hends. Aber auch die Nach­zucht, das künst­li­che Er­brü­ten mit an­schlie­ßen­dem Aus­set­zen der Fisch­b­rut und die Ver­bes­se­rung der Schon­zei­ten hal­fen, die Be­stän­de wie­der zu sta­bi­li­sie­ren. Ei­ni­ge aus­ge­stor­be­ne Fisch­ar­ten, wie der letzt­ma­lig im Jahr 1927 ge­fan­ge­ne Stöhr, konn­ten je­doch auch da­durch nicht wie­der re­kul­ti­viert wer­den.

Wenn­gleich die ge­werb­li­che Fi­sche­rei im Rhein­land auf­grund der ge­sell­schaft­li­chen und in­dus­tri­el­len Ver­än­de­run­gen an Rhein und Ruhr na­he­zu zum Er­lie­gen kam, hielt sich man­cher­orts die Er­in­ne­rung dar­an. Die Fi­sche­rei­bru­der­schaft Berg­heim an der Sieg bei­spiels­wei­se exis­tiert noch heu­te als Zu­sam­men­schluss, der je­ne Fa­mi­li­en um­fasst, wel­che das Fi­sche­rei­recht an der Sieg in­ne­ha­ben. In die Bru­der­schaft wer­den die männ­li­chen Mit­glie­der der Fa­mi­li­en ri­tu­ell auf­ge­nom­men.

Weiterführende Literatur

Servierplatte für Fisch, um 1890.
Photo: Hans-Theo Gerhards/LVR

Saucière mit Fischmotiv, um 1890.
Photo: Hans-Theo Gerhards/LVR

Bö­cking, Wer­ner: Na­chen und Net­ze. Die Rhein­fi­sche­rei zwi­schen Em­me­rich und Hon­nef (Wer­ken und Woh­nen. Volks­kund­li­che Un­ter­su­chun­gen im Rhein­land, Bd. 12). Köln 1982.

Fi­sche­rei­bru­der­schaft Trois­dorf-Berg­heim: 1025 Jah­re Fisch­recht an Rhein und Sieg der Fi­sche­rei­bru­der­schaft zu Berg­heim an der Sieg – Un­ter­stüt­zung des Na­tur- und Land­schafts­schut­zes, Trois­dorf-Berg­heim 2012.

Heiz­mann, Bert­hold: Die rhei­ni­sche Mahl­zeit. Zum Wan­del der Nah­rungs­kul­tur im Spie­gel lo­ka­ler Be­rich­te (Bei­trä­ge zur rhei­ni­schen Volks­kun­de, Bd. 7). Köln 1994.

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