Die Wohngeschichte der Familie Reinsch, die zu Beginn der 1970er Jahre einen Bungalow in einem Neubaugebiet in Quadrath-Ichendorf errichtete und bezog, steht beispielhaft für den enormen Wandel in der Bau- und Siedlungsgeschichte im ländlichen Raum der 1960er und 1970er Jahre.
Neubau eines Bungalows für die Familie
Der Fortschrittsglaube der 1960er und 1970er Jahre in Deutschland führte, zusammen mit dem steigenden Wohlstand der Bevölkerung, zu enormen Wandlungsprozessen in der Bau- und Wohnkultur. Neubausiedlungen aus dieser Zeit prägen bis heute das Bild vieler Orte. Im Jahr 1972 wurden in Deutschland die meisten Neu- und Umbauten in der Geschichte der Bundesrepublik getätigt. Familie Reinsch aus Quadrath-Ichendorf, die aus einem Elternpaar mit Sohn und Tochter bestand, hatte im Oktober 1971 ein Grundstück innerhalb eines Neubaugebietes am Rande des Ortskerns erworben. Noch im Dezember desselben Jahres begann sie mit dem Bau eines Wohnhauses.
Die Familie beauftragte keine professionelle Firma mit den Bauarbeiten, sondern behalf sich mit Freunden, Bekannten und Verwandten, die Maurerarbeiten übernahmen, Fliesen verlegten, tapezierten und sich um Elektrik und Badinstallationen kümmerten. Ein Freund des Vaters war Schreiner. Er fertigte nicht nur sämtliche Türen im Haus, sondern half auch bei der Anschaffung einiger Möbelstücke. Der Vater, Geschäftsführer bei der Provinzial-Versicherung, konnte aufgrund des Verlustes eines Arms während des Zweiten Weltkriegs handwerklich nicht mehr selbst tätig sein, beaufsichtigte jedoch den Hausbau. Der bereits erwachsene Sohn begleitete das Bauprojekt zwei Jahre lang fotografisch, so dass eine ganze Reihe von Dias existieren, die zeigen, dass die komplette Familie auf der Baustelle mit anpackte, selbst die zu Baubeginn erst neunjährige Tochter inklusive gleichaltriger Cousinen und Cousins. Im Mai 1973 konnte der Bungalow bezogen werden.
Nutzung der Räume im Bungalow
Aus Erzählungen der Tochter des Ehepaars Reinsch ist viel über den Alltag im Bungalow bekannt. Frau Reinsch, die täglich frisch kochte und auch noch viel selbst einmachte, benutzte die Küche bis zu ihrem Tod intensiv. Zwar gab es im Keller des Hauses noch eine weitere Küche, welche die Familie aus ihrem alten Wohnhaus mitgenommen hatte und die sie „Kellerküche“ nannte, diese nutzte die Familie jedoch ausschließlich zum Waschen, zum Einmachen größerer Mengen Obst und Gemüse, und für eine allwöchentliche, geruchsintensive Donnerstags-Familien-Tradition: das Reibekuchenbacken. Gegessen wurde ausschließlich im Esszimmer, das der Familie im Alltag auch als Wohnbereich diente. Hier spielten die Kinder, hier wurde an Weihnachten der geschmückte Baum aufgestellt. Das „gute Wohnzimmer“ mit Möbeln im Stil des Neo-Chippendale, die bereits in den 1960er Jahren im alten Wohnhaus gestanden hatten, benutzte die Familie nur zu besonderen Gelegenheiten, zum Beispiel als der Bürgermeister anlässlich der Goldhochzeit von Herr und Frau Reinsch zu Besuch kam. Für größere Feiern mit vielen Gästen gab es im Keller einen Partyraum mit eigener Bar. Nichtsdestotrotz reinigten Mutter und Tochter vierteljährlich nicht nur alle Dekorationsgegenstände im Wohnzimmer, sondern polierten auch die nie genutzten Gläser mit Goldrand und das „gute Geschirr“ im Sideboard. Die Familie besaß weiterhin ihr altes Wohnhaus, ebenfalls in Quadrath-Ichendorf, dessen Garten sie bis in die 1990er Jahre zum Obst- und Gemüseanbau nutzten. Der Garten des Bungalows diente dagegen ausschließlich der Erholung der Familie und dem Schmuck des Hauses. Außerdem wurde die in der „Kellerküche“ gewaschene Wäsche dort auf einer Wäscheleine getrocknet. Die typische Bepflanzung in den 1970er Jahren bestand aus einer gepflegten Rasenfläche sowie Geranien, Dahlien, Nelken und Gerbera.
Übernahme der Bungalow-Einrichtung durch das Museum
Mitglieder der Familie Reinsch bewohnten den Bungalow bis 2010. Der Vater entschloss sich in diesem Jahr, zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau, zum Verkauf des Gebäudes und übereignete dem Landschaftsverband Rheinland zahlreiche Einrichtungsgegenstände aus den 1960er und 1970er Jahren, die bis zu seinem Auszug noch in Gebrauch gewesen waren. Dies stellte einen Glücksfall für das LVR-Freilichtmuseum Kommern dar, plante es doch die Eröffnung des Bungalows Kahlenbusch als erstes Gebäude der neuen Baugruppe „Marktplatz Rheinland“.
Dieser dem Quadrath-Ichendorfer ähnliche Flachdachbungalow war noch vor der Eröffnung des LVR-Freilichtmuseums Kommern 1959 an dessen Peripherie errichtet worden und erst spät in die Museumsplanungen einbezogen worden. Da keine Originaleinrichtung mehr vorhanden war, stattete man die Räume mit zeittypischen Ensembles der 1960er Jahre aus. Zwei komplette Zimmereinrichtungen stammten dabei aus der Schenkung der Familie Reinsch: das Wohnzimmer im Neo-Chippendale-Stil sowie die Tielsa-Einbauküche aus dem Jahr 1973.