An den „tollen Tagen“ steht die Welt im Rheinland Kopf: Narren übernehmen die Rathäuser, die Straßen sind gefüllt von Umzügen und Feiernden. Schon Monate vorher beginnt der Sitzungskarneval in den großen und kleinen Ortschaften. Der Brauch prägt das Bild der Region sogar international. Doch woher kommt der Karneval und welche Strukturen bestehen?
Historische Entwicklung
An den „tollen Tagen“ steht die Welt im Rheinland Kopf: Narren übernehmen die Rathäuser, die Straßen sind gefüllt von Umzügen und Feiernden. Schon Monate vorher beginnt der Sitzungskarneval in den großen und kleinen Ortschaften. Der Brauch prägt das Bild der Region sogar international. Doch woher kommt der Karneval und welche Strukturen bestehen? Als Fest vor Beginn der Fastenzeit entstanden, wurde der Brauchtermin im 19. Jahrhundert institutionalisiert. Schon vorher hatten verschiedene Feste regional und lokal bestanden, die jedoch vor allem durch die Romantik wiederentdeckt und neu belebt wurden. Die folgende Erneuerung war demzufolge bürgerlich-romantisch, vorher bestehende Figuren und Strukturen wurden in Form und Inhalt grundlegend verändert. Gleichzeitig wurde der Brauch nun in geregelte Bahnen gelenkt: 1823 in Köln, 1825 in Düsseldorf, 1826 in Bonn, 1838 in Mainz und 1842 auch im schwäbischen Rottweil gründeten sich „Festordnende Komitees“, welche die Brauchelemente seither maßgeblich prägen. Aufwendige historische Festzüge mit Motto wurden inszeniert. Um 1900 vollzog sich dann die Trennung zwischen den Brauchformen im Rheinland und der Fastnacht im deutschen Südwesten. Bedingt durch die konfessionellen Unterschiede ist Karneval stärker in katholischen Regionen verbreitet: es ist das Fest vor der 40tägigen Fastenzeit vor Ostern, welche sich aus der christlichen Liturgie ableitet.
Im Rheinland institutionalisierte sich ein Sitzungs- und Straßenkarneval. Dabei bestehen heute noch Unterschiede, vor allem zwischen städtischen und ländlichen Formen: in den großen Städten wie Köln oder Düsseldorf sind Umzüge zentraler Bestandteil, die z. T. auch sehr politische Aussagen haben, und durch Brauchfunktionäre organisiert werden, die in den diversen Karnevalsvereinen organisiert sind. Damit verbunden sind auch ein großer finanzieller Aufwand und dementsprechend kommerzielle Interessen. Die Brauchausübenden sind hier teilweise in der Rolle von Zuschauern, wenn sie am Rande, etwa des Rosenmontagszuges, stehen, doch gibt es auch aktive Elemente, wie das Feiern in den Straßen. Im ländlichen Raum hingegen sind die gruppenspezifischen Bezüge stärker und für die lokalen Strukturen sind es eher selbst organisierte Feste und kleine Umzüge, die das Karnevalsgeschehen im Ort bestimmen. Auch hier gibt es jedoch Karnevalsvereine und Komitees, so dass einige Akteure stärker eingebunden sind als andere und die Vereine eine zentrale Rolle für die Gestaltung etwa der Umzüge spielen.
Das Treiben an den „tollen Tagen“ - zur Brauchstruktur
Bereits am 11.11. beginnt der Karneval mit einem Tag voller Geschehen auf den Plätzen und in den Innenstädten: die „närrische Zeit“ wird in den kommenden Wochen aber vor allem durch den Sitzungskarneval getragen: Die Karnevalsvereine und andere Gruppen, wie die „Stunksitzung“ in Köln, organisieren ein Bühnenprogramm, das die Session über aufgeführt wird. Dazu kommen die Vorbereitungen der Umzüge und der eigenen Kostüme.
Die heiße Phase der „tollen Tage“ beginnt dann mit der so genannten Weiberfastnacht, dem Donnerstag vor Aschermittwoch. In Bonn-Beuel übernehmen die Waschfrauen die Herrschaft über das Rathaus, in anderen Orten wird symbolisch der Rathausschlüssel an die Vereine übergeben. An diesem Tag der „Weiber“ trifft man immer wieder auf Männer, deren Krawatten oder Schnürsenkel abgeschnitten sind: die Frauen laufen mit Scheren durch die Straßen und beschneiden symbolisch die Macht der Männer. Von Freitag bis Dienstag finden unterschiedliche Umzüge statt, so etwa in den Kölner Stadtteilen die „Schull- und Veedelszöch“ am Sonntag und vor allem die großen Rosenmontagsumzüge. Der Sonntag, auch Orchideensonntag genannt, ist vor allem in kleineren Städten und Dörfern für den Umzug beliebt. Durchgehend sind die Kneipen mit unterschiedlichsten, alten und jungen Narren gefüllt, die oft kreative, selbstgemachte Kostüme tragen. Der Straßenkarneval wird unabhängig von den Umzügen die „tollen Tage“ über in und vor den Kneipen und im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße gefeiert.
Die Karnevalstage enden mit der Nubbelverbrennung oder dem symbolischen Vergraben der Fastnacht am Abend des Veilchendienstags: eine Strohpuppe, die während der Narrenzeit meist an Kneipen befestigt ist, nimmt symbolisch alle Sünden auf sich, die in der Karnevalszeit begangen wurden. Diese wird gemeinsam verbrannt oder vergraben und am Mittwochmorgen beginnt dann die Fastenzeit.
Karneval als heidnischer Brauch?
Keinesfalls handelt es sich bei Karneval und Fastnacht um ein heidnisches Ritual zur Austreibung des Winters, vielmehr sind Bezüge und alltagskulturelle Relevanz von christlicher Liturgie und Jahresfestkreis hier besonders deutlich: Der Termin des Brauchkomplexes richtet sich nach dem Osterfest, welches im christlichen Kalender auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsbeginn festgelegt und somit von Jahr zu Jahr variabel ist. Mit dem Epiphania-Fest am 6. Januar endet der Weihnachtsfestkreis, die bereits am 11. November gestartete Narrenzeit steuert auf ihren Höhepunkt zu. Das christliche Fasten 40 Tage vor Ostern beginnt am Aschermittwoch mit dem Ende der „tollen Tage“ von Weiberfastnacht bis Veilchendienstag, damit beginnt auch eine Zeit der Enthaltsamkeit, in der weder Fleisch noch Eier, Zucker oder fettige Speisen gegessen werden dürfen. Deshalb mussten vor der Entwicklung der modernen Konservierungsmethoden alle verderblichen Lebensmittel vorher verbraucht werden, weshalb verschiedenste Fett- und Eiergebäcke fest in das Brauchgeschehen eingebunden sind. Hieraus erklärt sich auch die große Bedeutung von Eiern zu Ostern, welche in der Fastenzeit nicht gegessen werden durften und somit zu den Ostertagen in großer Zahl vorhanden waren. Heute wird noch immer gefastet, doch nicht für alle Jecken schließt sich eine Zeit der Enthaltsamkeit an und viele Gläubige fasten individueller, wenn sie zum Beispiel in der Fastenzeit auf ihr Smartphone verzichten.
Karneval im 21. Jahrhundert
Mit der zunehmenden Entkirchlichung brechen einige alte Strukturen weg, so dass in einem Vakuum auch neue Bräuche wie etwa Halloween entstehen. Der Karneval boomt jedoch weiterhin, immer stärker werden christliche Bedeutungen überschrieben – zwar sind die Symbole noch vorhanden, sie werden aber von vielen Menschen nicht mehr als solche gelesen. In den letzten Jahren und Jahrzehnten wandeln sich die Funktionen weg von religiösen Handlungen hin zu einer Festivalisierung. Einige Elemente des Brauchkomplexes sind „universell“: das Verkleiden und der Ausnahmezustand in den Straßen sind ohne Weiteres auf andere Orte und Akteure übertragbar.
Karnevaleske Formen sind heute profane Elemente, die christliche Symbole in einem Synkretismus mit anderen Zusammenhängen, wie dem politischen, verbinden. Dabei finden karnevaleske Formen ungebrochenen Zulauf. Zumindest eine passive oder in Teilen aktive Teilnahme ist ohne großes Vorwissen oder eine organisierte Form möglich.
Warum feiern die Rheinländer also Karneval? Die Teilnahme daran ist nicht nur einfach und selbstverständlich möglich. Karneval wirkt auch gemeinschaftsstiftend und kann damit in der mobilen und globalen Gesellschaft Beheimatungen schaffen und regionale Identitäten stärken. Für den und die Einzelne können auch das Spiel mit dem Rollentausch und der Verkleidung den Ausschlag zum Feiern geben oder das entgrenzte, ausgelassene Beisammensein den besonderen Reiz der „tollen Tage“ ausmachen.
Weiterführende Literatur
Döring, Alois: Rheinische Bräuche durch das Jahr. Köln 2006.
Frohn, Christina: Der organisierte Narr. Karneval in Aachen, Düsseldorf und Köln von 1823 bis 1914. Marburg 2000.
Mezger, Werner: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur (Konstanzer Bibliothek, Band 15), Konstanz 1991.