Direkt zum Inhalt

Leinenweberei

Zwischen privater Produktion und gewerblicher Herstellung

Leinenweberei bezeichnet eine Art der Textilproduktion, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem im ländlichen Raum weit verbreitet war. Leinen als Rohstoff für Kleidung und andere Textilien wird aus der Faser der Flachspflanze gewonnen, die auch auf kargen Böden gut gedeiht. Um die aufwendigen Verarbeitungsprozesse entstanden differenzierte Arbeitsteilungen.

Leinen als Rohstoff für Textilien

Leinenweber am Webstuhl. Dickenschied 1978.
Foto: Detlef Perscheid/LVR

Bis weit ins 19. Jahr­hun­dert hin­ein war Lei­nen ne­ben Wol­le und Hanf die ein­zig ver­füg­ba­re Tex­ti­le. Für Re­gio­nen, in de­nen Flachs an­ge­baut wur­de, wa­ren Lei­nen­pro­duk­te ein wich­ti­ger Ex­port­ar­ti­kel mit ho­her wirt­schaft­li­cher Be­deu­tung. Schon im Mit­tel­al­ter wur­den nicht nur Hem­den und Klei­der, son­dern auch Tisch- und Bett­wä­sche, Sat­tel­de­cken für Pfer­de und Ähn­li­ches aus Lei­nen her­ge­stellt, denn Lei­nen und aus Lei­nen ge­fer­tig­te Tex­ti­li­en sind na­he­zu un­ver­wüst­lich und über­aus stra­pa­zier­fä­hig. Je nach Ver­ar­bei­tung wird der Stoff fein oder grob und ist des­halb für un­ter­schied­li­che Be­dürf­nis­se nutz­bar.

So fand Lei­nen sei­nen Weg in al­le Be­rei­che des täg­li­chen Le­bens: von der Win­del bis zum To­ten­hemd be­glei­te­te es die Men­schen wort­wört­lich haut­nah. Noch heu­te ken­nen wir zahl­rei­che Re­de­wen­dun­gen, die ur­sprüng­lich auf das tra­di­tio­nel­le Lein­en­ge­wer­be zu­rück­ge­hen, z.B. „ei­ne Fahrt ins Blaue ma­chen“, „flach­sen“ oder „ein The­ma durch­he­cheln“.

Man un­ter­schei­det zwi­schen bäu­er­li­cher und ge­werbs­mä­ßi­ger Lei­nen­we­be­rei. Ers­te­re dien­te meist nur zur Si­cher­stel­lung des Ei­gen­be­darfs an Tex­ti­li­en, wäh­rend sich Letz­te­re seit dem Mit­tel­al­ter her­aus­bil­de­te und zum Geld­ge­winn bei­tra­gen soll­te.

Vom Flachs zum Leinen

Flachsspinnen. Die Hand einer Frau führt den Faden in die Drahthäkchen der Spindel ein. Hasselbach 1977.
Foto: LVR-Zentrum für Medien und Bildung/LVR

Der An­bau von Flachs und vor al­lem die spä­te­re Ver­ar­bei­tung der Pflan­ze zu Lei­nen­stof­fen war, egal ob im bäu­er­li­chen oder im ge­werb­li­chen Um­feld be­trie­ben, ei­ne har­te, an­stren­gen­de und lang­wie­ri­ge Ar­beit: Zu­nächst muss­te der Roh­stoff Flachs an­ge­baut wer­den; erst wenn die Pflan­zen ge­ern­tet, ge­trock­net, ge­rös­tet, ge­dro­schen, ge­rei­nigt, ge­schwun­gen und schlie­ß­lich ge­he­chelt wa­ren, konn­te mit dem Spin­nen der lan­gen Flachs­fa­sern zu Garn be­gon­nen wer­den. Die­se Auf­ga­be kam im länd­li­chen Um­feld meist den Mäd­chen und Frau­en zu. Oft­mals tra­fen sich al­le Frau­en der Nach­bar­schaft, um ge­mein­sam ihr Garn zu ver­spin­nen, da­bei wur­den die neu­es­ten Neu­ig­kei­ten aus­ge­tauscht, ge­lacht und ge­sun­gen. In­so­fern hat­te die Flachs­ver­ar­bei­tung auch ei­ne wich­ti­ge so­zia­le Funk­ti­on, die Spinn­stu­be ist ein ver­brei­te­tes Mo­tiv in Er­zäh­lun­gen und auf Bil­dern, die das länd­li­che Le­ben zei­gen.

Das Bleichen des Garns und die Leinenweberei

Zum Bleichen werden die Stoffbahnen auf einer Wiese ausgerollt.

War die letz­te Flachs­fa­ser ver­spon­nen, konn­te das Garn mit Hil­fe ei­ner Has­pel „auf­ge­has­pel­t“ wer­den. Da­nach wur­de es zur Ver­ar­bei­tung auf dem Web­stuhl auf klei­ne Spu­len ge­wi­ckelt. Das fol­gen­de We­ben er­for­der­te viel Sach­ver­stand und ei­ne Men­ge Vor­ar­bei­ten: die Kett­fä­den muss­ten ge­spannt und die Spu­le auf dem We­ber­schiff­chen vor­be­rei­tet wer­den. Meh­re­re Me­ter Tuch er­for­der­ten stun­den- oder so­gar ta­ge­lan­ge Ar­beit.

Wenn das Lei­nen­tuch dann end­lich fer­tig war, leg­te man es auf ei­ner Wie­se zum Blei­chen aus, vie­le Stra­ßen- oder Flur­be­zeich­nun­gen ver­wei­sen heu­te noch auf die­sen Ar­beits­schritt. Der Stoff wur­de da­zu zu­nächst mit ei­ner hei­ßen Lau­ge ge­tränkt, die meist aus Schmier­sei­fe und Bu­chen­a­sche be­stand. Durch die an­schlie­ßen­de Son­nen­ein­strah­lung und re­gel­mä­ßi­ges Be­gie­ßen mit fri­schem Was­ser blich das Lei­nen weiß aus. Da­nach konn­te es noch wei­ter ge­färbt oder auch be­druckt wer­den, be­vor man es schlie­ß­lich zu Klei­dungs­stü­cken, Tisch- oder Bett­wä­sche ver­näh­te.

Leinenweberei als Heimarbeit

Tischdecke aus Leinen, 1950er Jahre
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Im Rhein­land des Mit­tel­al­ters bil­de­ten sich vor al­lem am Nie­der­rhein, rund um Aa­chen, Köln, Kre­feld und Wup­per­tal gro­ße Tex­til­ge­bie­te mit z. T. über­re­gio­na­len Märk­ten her­aus. Der Über­gang von der bäu­er­li­chen Flachs- und Lei­nen­pro­duk­ti­on über klei­ne Ma­nu­fak­tu­ren bis hin zu­r in­dus­tri­el­len Her­stel­lung voll­zog sich jahr­hun­der­te­lang: vie­le Bau­ern­fa­mi­li­en ver­ar­bei­te­ten Flachs und Lei­nen, zu­min­dest für den Ei­gen­ge­brauch, noch bis weit ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein. Be­reits ge­gen En­de des Mit­tel­al­ters kam es aber auch zu ei­ner zu­neh­men­den Spe­zia­li­sie­rung vie­ler Klein­bau­ern zu Haus­we­bern, die mit ge­kauf­tem Garn auf Hand­web­stüh­len Lei­nen­stof­fe her­stell­ten, die dann ge­winn­brin­gend ver­kauft wer­den konn­ten. Die Pro­duk­ti­on des Lei­nens er­folg­te meist in Heim­ar­beit, die Ver­mark­tung lief über ein Ver­lags­sys­tem ab, ähn­lich wie bei der Band­we­be­rei. Die gro­ßen, fa­brik­ar­ti­gen We­be­rei­en, die in der Zeit der In­dus­tria­li­sie­rung ent­stan­den, sorg­ten noch ein­mal für ei­ne Ex­pan­si­on und Ma­schi­ni­sie­rung des Ge­wer­bes. Doch durch das all­mäh­li­che Auf­kom­men der bil­li­ge­ren Baum­wol­le, gin­gen die An­bau­flä­chen und die ver­ar­bei­ten­den Be­trie­be stark zu­rück, denn die Fa­sern der Baum­wol­le konn­ten nicht nur oh­ne wei­te­re Vor­ar­bei­ten so­fort zu Garn ver­spon­nen wer­den, ih­re hö­he­re Dehn­bar­keit mach­te auch ei­ne deut­lich schnel­le­re und leich­te­re Ver­ar­bei­tung mög­lich. Ei­nem kur­zen An­stieg wäh­rend der bei­den Welt­krie­ge, als Deutsch­land wei­test­ge­hend von Baum­woll- und Woll­im­por­ten ab­ge­schnit­ten war - in der Ei­fel wur­de spe­zi­ell der Flachs­an­bau von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten un­ter­stützt und ge­för­dert - folg­te der kon­ti­nu­ier­li­che Nie­der­gang des Flachs­an­baus und da­mit auch des Ge­wer­bes der Lei­nen­we­ber. In den letz­ten Jah­ren be­sinnt man sich vie­ler­orts wie­der auf die Vor­tei­le von rei­nen Lei­nen­stof­fen und so­gar die EU ver­sucht mit För­der­gel­dern, den Flachs­an­bau und die Lei­nen­pro­duk­ti­on wie­der zu be­le­ben. Flachs wur­de 2005 zur Heil­pflan­ze des Jah­res ge­kürt.

Zurück nach oben