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Vom Nutz- zum Wohngarten und wieder zurück

Veränderungen privater Gartennutzung im 20. Jahrhundert

Arbeitsstätte, Anbaugebiet und Erholungsort – der Garten erfuhr im Laufe des 20. Jahrhunderts einen Funktions- und Gestaltungswandel. Vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren führten enorme Wandlungsprozesse in Gesellschaft, Bau- und Wohnkultur nicht nur zu tiefgreifenden Veränderungen in Siedlungen und Häusern, sondern auch in deren Außenbereichen.

Nutzgärten zur Eigenversorgung

Luftaufnahme des Bandweberhauses im Museum mit dem nach alten Plänen rekonstruierten Garten auf dem Museumsgelände, Lindlar 1993
Foto: Wenig, Dieter/LVR

Zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts dien­te der Gar­ten im länd­li­chen Raum meist al­s Nutz­gar­ten. Man bau­te dort Ge­mü­se, Obst und Kräu­ter an, hielt Hüh­ner, Gän­se oder Ka­nin­chen und stell­te auf die­se Wei­se die Ver­sor­gung des Haus­hal­tes zu­min­dest in Tei­len si­cher. Die selbst an­ge­bau­ten Le­bens­mit­tel wur­den für den Win­ter ­kon­ser­viert. An­ders als heu­te wa­ren we­ni­ger Edel­obst und mehr Kar­tof­feln, Sa­la­te und an­de­re Grund­nah­rungs­mit­tel auf den Gar­ten­flä­chen zu fin­den, die vor al­lem ei­ne aus­rei­chen­de Ka­lo­ri­en­zu­fuhr si­cher stell­ten. Nur nicht selbst her­zu­stel­len­de Grund­nah­rungs­mit­tel, wie Zu­cker oder Reis, wur­den zu­ge­kauft. In den Städ­ten stand längst nicht je­dem Haus­halt ein ei­ge­ner Gar­ten zur Ver­fü­gung, je­doch gab es in Form von Klein- und Schre­ber­gar­ten­an­la­gen auch hier Mög­lich­kei­ten zur Gar­ten­ar­beit. Vie­le Un­ter­neh­mer ach­te­ten bei der Pla­nung von Ar­bei­ter­sied­lun­gen ex­pli­zit dar­auf, ih­ren An­ge­stell­ten und de­ren Fa­mi­li­en ei­nen Gar­ten zur Ver­fü­gung stel­len zu kön­nen. Vor al­lem wäh­rend des Ers­ten und Zwei­ten Welt­krie­ges und in der Nach­kriegs­zeit er­leb­te die Be­deu­tung der Selbst­ver­sor­gung mit Hil­fe ei­nes ei­ge­nen Gar­tens ei­nen Hö­he­punkt. Vie­le Städ­te re­qui­rier­ten zu die­sem Zweck so­gar Sport- und öf­fent­li­che Park­an­la­gen und wan­del­ten sie zu Gar­ten­par­zel­len um, die von Fa­mi­li­en oh­ne ei­ge­nen Gar­ten zum An­bau von Nah­rungs­mit­teln ge­nutzt wer­den konn­ten.

Wohngärten zur Erholung

Bungalow der Familie Reinsch, Rückseite mit Garten, Quadrath-Ichendorf 1973
Foto: Reinsch, Herbert/LVR

In der Zeit des Wirt­schafts­wun­ders - und der da­mit ein­her­ge­hen­den ge­sell­schaft­li­chen Wand­lungs­pro­zes­se - ver­än­der­ten sich nicht nur Bau- und Wohn­kul­tur grund­le­gend: zahl­rei­che Stadt­be­woh­ne­rin­nen und Stadt­be­woh­ner, vor al­lem jun­ge Fa­mi­li­en mit Kin­dern, zo­gen aus den Groß­städ­ten ins un­mit­tel­ba­re Um­land. Von dort aus konn­ten sie bei aus­rei­chen­der Ver­kehrs­in­fra­struk­tur wei­ter­hin in die Städ­te pen­deln und dort er­werbs­tä­tig blei­ben, sich aber trotz­dem ih­ren Traum vom Häus­chen im Grü­nen ver­wirk­li­chen, was als enor­me Ver­bes­se­rung der Le­bens­qua­li­tät an­ge­se­hen wur­de. Das Ide­al­bild des Ei­gen­heims be­stand aus ei­nem klei­nen, frei­ste­hen­den Haus mit Ter­ras­se, Bal­kon und Gar­ten, der nun nicht mehr Nutz­gar­ten, son­dern er­wei­ter­tes, „grü­nes Frei­luft-Wohn­zim­mer“ sein soll­te. Dort­hin woll­te man sich nach ge­ta­ner Ar­beit zu­rück­zie­hen, sich er­ho­len und sei­ne Pri­vat­sphä­re ge­nie­ßen. Ent­spre­chen­des Mo­bi­li­ar, wie Son­nen­schir­me, Lie­ge­stüh­le und Sitz­grup­pen für den Gar­ten hal­fen da­bei. Auch in den städ­ti­schen Rei­hen­häu­sern ent­stan­den mehr und mehr Wohn- an­stel­le von Nutz­gär­ten. So­fern über­haupt noch ein Nutz­gar­ten an­ge­legt wur­de, war die­ser meist eher klein und räum­lich deut­lich vom Wohn­gar­ten ab­ge­trennt. Ein ty­pi­sches Bei­spiel bil­det der Gar­ten des Bun­ga­lows der Fa­mi­lie Reinsch, der 1973 an­ge­legt, aber nie als Nutz­gar­ten ver­wen­det wur­de. Die ­Fa­mi­lie ­be­saß noch im­mer ihr al­tes Wohn­haus, das sie zwar nicht mehr sel­ber be­wohn­te, des­sen Gar­ten sie je­doch bis in die 1990er Jah­re zum Obst- und Ge­mü­se­an­bau nutz­te. Der Gar­ten des Bun­ga­lows dien­te da­ge­gen aus­schlie­ß­lich der Er­ho­lung der Fa­mi­lie und dem Schmuck des Hau­ses. Vie­le Ar­chi­tek­ten der 1960er und 1970er Jah­re be­trach­te­ten Haus und Gar­ten als Ein­heit und plan­ten Wohn­räu­me so, dass man von ih­nen aus den Blick in den Au­ßen-Wohn­be­reich ge­nie­ßen konn­te: ein ge­pfleg­ter Ra­sen er­setz­te den Tep­pich­bo­den, Bäu­me und blick­dich­te Sträu­cher, wie Ko­ni­fe­ren, ent­lang der Grund­stücks­gren­ze bil­de­ten die Wän­de, als De­ko­ra­ti­on dien­ten be­son­de­re Pflan­zen, die in sorg­sam durch­dach­ten Grup­pen an­ge­ord­net wur­den. Für die Be­pflan­zung wur­den oft pfle­ge­leich­te Ge­wäch­se, die auch den ge­stal­te­ri­schen An­sprü­chen ge­nüg­ten, ver­wen­det. Es gab spe­zi­el­le Sor­ti­men­te für die be­lieb­ten Stein­gär­ten und See­ro­sen für künst­lich an­ge­leg­te Was­ser­be­cken. Auf­fäl­li­ge und bun­te Blü­ten­pflan­zen wie Ma­gno­li­en, Ge­ra­ni­en, Dah­li­en, Nel­ken, Rit­ter­sporn und Ro­sen ka­men als Blick­fang in Fra­ge und als neu­es Ma­te­ri­al kam in die­ser Zeit Be­ton in Mo­de. Er konn­te re­gel­mä­ßig und ge­normt her­ge­stellt wer­den, galt als pfle­ge­leicht und er­füll­te so­mit al­le An­sprü­che für Trep­pen oder Ge­stal­tungs­ele­men­te und so­gar Zäu­ne. In­ner­halb des Gar­tens soll­te es kei­ne ver­deck­ten Be­rei­che ge­ben, al­les soll­te mög­lichst of­fen und groß wir­ken. Letz­te­res hat sich in­zwi­schen ge­wan­delt, heu­te gibt es eher die Ten­denz, durch ge­ziel­tes Ver­de­cken oder Glie­dern ein­zel­ner Gar­ten­tei­le, z. B. durch be­r­ank­te Bö­gen, sei­ne An­la­ge in­ter­es­san­ter zu ge­stal­ten.

Zurück zum Nutzgarten: Urban Gardening

Osterdekoration in einem Vorgarten in Pesch (Nettersheim), 2010
Foto: Uhlig, Mirko/LVR

Rei­ne Zier­gär­ten gibt es im­mer noch, das Ra­sen­stück ist bis heu­te zen­tral ge­blie­ben, und vie­le Fa­mi­li­en nut­zen ih­ren Gar­ten nach wie vor als Rück­zugs­ort vom all­täg­li­chen Stress. Man sonnt sich und grillt, die Kin­der spie­len in Plansch­be­cken oder Sand­käs­ten. Gar­ten­zwer­ge und Schre­ber­gär­ten sind für Vie­le zum In­be­griff der Spie­ßig­keit ge­wor­den und Gar­ten­ar­beit wird, seit sie kaum noch Not­wen­dig­keit ist, ver­mehrt als Frei­zeit­be­schäf­ti­gung an­ge­se­hen: das Pflan­zen und Jä­ten ist Ent­span­nung und ein Ge­gen­satz zur meist we­nig kör­per­li­chen be­ruf­li­chen Tä­tig­keit. Gleich­zei­tig fin­det auch ei­ne Um­ori­en­tie­rung und Rück­be­sin­nung statt und vie­le Men­schen bau­en in­zwi­schen wie­der sel­ber Obst und Ge­mü­se an. Im Zu­ge des stär­ke­ren Be­wusst­seins für Na­tur und Um­welt­schutz, für lo­ka­le und sai­so­na­le Le­bens­mit­tel, ent­steht ei­ne neue Kul­tur des Ur­ban Gar­de­ning. Selbst in Groß­städ­ten fin­det man in­zwi­schen auf Bal­ko­nen, Dach­ter­ras­sen und leer ste­hen­den Grund­stü­cken im­mer mehr klei­ne Nutz­gar­ten­flä­chen. So ist der Gar­ten heu­te häu­fig, wenn auch nicht über­all, bei­des: Er­ho­lungs­ort und An­bau­flä­che glei­cher­ma­ßen.

Weiterführende Literatur

May, Her­bert; Eig­mül­ler, Mi­chae­la (Hg.): Sied­lung – Ar­chi­tek­tur – Woh­nen. Um­bruch­zeit – Die 1960er und 1970er Jah­re auf dem Land. Bad Winds­heim 2011.
 
LVR-Frei­licht­mu­se­um Kom­mern (Hg.): Mo­der­ne Zei­ten: Der Markt­platz ent­steht. Dü­ren 2015.
 
LVR-Frei­licht­mu­se­um Kom­mern, Rhei­ni­sches Lan­des­mu­se­um für Volks­kun­de (Hg.): Kriegs(er)le­ben im Rhein­land: zwi­schen Be­geis­te­rung und Ver­zweif­lung. Me­cher­nich-Kom­mern 2014.

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