Arbeitsstätte, Anbaugebiet und Erholungsort – der Garten erfuhr im Laufe des 20. Jahrhunderts einen Funktions- und Gestaltungswandel. Vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren führten enorme Wandlungsprozesse in Gesellschaft, Bau- und Wohnkultur nicht nur zu tiefgreifenden Veränderungen in Siedlungen und Häusern, sondern auch in deren Außenbereichen.
Nutzgärten zur Eigenversorgung
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts diente der Garten im ländlichen Raum meist als Nutzgarten. Man baute dort Gemüse, Obst und Kräuter an, hielt Hühner, Gänse oder Kaninchen und stellte auf diese Weise die Versorgung des Haushaltes zumindest in Teilen sicher. Die selbst angebauten Lebensmittel wurden für den Winter konserviert. Anders als heute waren weniger Edelobst und mehr Kartoffeln, Salate und andere Grundnahrungsmittel auf den Gartenflächen zu finden, die vor allem eine ausreichende Kalorienzufuhr sicher stellten. Nur nicht selbst herzustellende Grundnahrungsmittel, wie Zucker oder Reis, wurden zugekauft. In den Städten stand längst nicht jedem Haushalt ein eigener Garten zur Verfügung, jedoch gab es in Form von Klein- und Schrebergartenanlagen auch hier Möglichkeiten zur Gartenarbeit. Viele Unternehmer achteten bei der Planung von Arbeitersiedlungen explizit darauf, ihren Angestellten und deren Familien einen Garten zur Verfügung stellen zu können. Vor allem während des Ersten und Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit erlebte die Bedeutung der Selbstversorgung mit Hilfe eines eigenen Gartens einen Höhepunkt. Viele Städte requirierten zu diesem Zweck sogar Sport- und öffentliche Parkanlagen und wandelten sie zu Gartenparzellen um, die von Familien ohne eigenen Garten zum Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden konnten.
Wohngärten zur Erholung
In der Zeit des Wirtschaftswunders - und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesse - veränderten sich nicht nur Bau- und Wohnkultur grundlegend: zahlreiche Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner, vor allem junge Familien mit Kindern, zogen aus den Großstädten ins unmittelbare Umland. Von dort aus konnten sie bei ausreichender Verkehrsinfrastruktur weiterhin in die Städte pendeln und dort erwerbstätig bleiben, sich aber trotzdem ihren Traum vom Häuschen im Grünen verwirklichen, was als enorme Verbesserung der Lebensqualität angesehen wurde. Das Idealbild des Eigenheims bestand aus einem kleinen, freistehenden Haus mit Terrasse, Balkon und Garten, der nun nicht mehr Nutzgarten, sondern erweitertes, „grünes Freiluft-Wohnzimmer“ sein sollte. Dorthin wollte man sich nach getaner Arbeit zurückziehen, sich erholen und seine Privatsphäre genießen. Entsprechendes Mobiliar, wie Sonnenschirme, Liegestühle und Sitzgruppen für den Garten halfen dabei. Auch in den städtischen Reihenhäusern entstanden mehr und mehr Wohn- anstelle von Nutzgärten. Sofern überhaupt noch ein Nutzgarten angelegt wurde, war dieser meist eher klein und räumlich deutlich vom Wohngarten abgetrennt. Ein typisches Beispiel bildet der Garten des Bungalows der Familie Reinsch, der 1973 angelegt, aber nie als Nutzgarten verwendet wurde. Die Familie besaß noch immer ihr altes Wohnhaus, das sie zwar nicht mehr selber bewohnte, dessen Garten sie jedoch bis in die 1990er Jahre zum Obst- und Gemüseanbau nutzte. Der Garten des Bungalows diente dagegen ausschließlich der Erholung der Familie und dem Schmuck des Hauses. Viele Architekten der 1960er und 1970er Jahre betrachteten Haus und Garten als Einheit und planten Wohnräume so, dass man von ihnen aus den Blick in den Außen-Wohnbereich genießen konnte: ein gepflegter Rasen ersetzte den Teppichboden, Bäume und blickdichte Sträucher, wie Koniferen, entlang der Grundstücksgrenze bildeten die Wände, als Dekoration dienten besondere Pflanzen, die in sorgsam durchdachten Gruppen angeordnet wurden. Für die Bepflanzung wurden oft pflegeleichte Gewächse, die auch den gestalterischen Ansprüchen genügten, verwendet. Es gab spezielle Sortimente für die beliebten Steingärten und Seerosen für künstlich angelegte Wasserbecken. Auffällige und bunte Blütenpflanzen wie Magnolien, Geranien, Dahlien, Nelken, Rittersporn und Rosen kamen als Blickfang in Frage und als neues Material kam in dieser Zeit Beton in Mode. Er konnte regelmäßig und genormt hergestellt werden, galt als pflegeleicht und erfüllte somit alle Ansprüche für Treppen oder Gestaltungselemente und sogar Zäune. Innerhalb des Gartens sollte es keine verdeckten Bereiche geben, alles sollte möglichst offen und groß wirken. Letzteres hat sich inzwischen gewandelt, heute gibt es eher die Tendenz, durch gezieltes Verdecken oder Gliedern einzelner Gartenteile, z. B. durch berankte Bögen, seine Anlage interessanter zu gestalten.
Zurück zum Nutzgarten: Urban Gardening
Reine Ziergärten gibt es immer noch, das Rasenstück ist bis heute zentral geblieben, und viele Familien nutzen ihren Garten nach wie vor als Rückzugsort vom alltäglichen Stress. Man sonnt sich und grillt, die Kinder spielen in Planschbecken oder Sandkästen. Gartenzwerge und Schrebergärten sind für Viele zum Inbegriff der Spießigkeit geworden und Gartenarbeit wird, seit sie kaum noch Notwendigkeit ist, vermehrt als Freizeitbeschäftigung angesehen: das Pflanzen und Jäten ist Entspannung und ein Gegensatz zur meist wenig körperlichen beruflichen Tätigkeit. Gleichzeitig findet auch eine Umorientierung und Rückbesinnung statt und viele Menschen bauen inzwischen wieder selber Obst und Gemüse an. Im Zuge des stärkeren Bewusstseins für Natur und Umweltschutz, für lokale und saisonale Lebensmittel, entsteht eine neue Kultur des Urban Gardening. Selbst in Großstädten findet man inzwischen auf Balkonen, Dachterrassen und leer stehenden Grundstücken immer mehr kleine Nutzgartenflächen. So ist der Garten heute häufig, wenn auch nicht überall, beides: Erholungsort und Anbaufläche gleichermaßen.
Weiterführende Literatur
May, Herbert; Eigmüller, Michaela (Hg.): Siedlung – Architektur – Wohnen. Umbruchzeit – Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land. Bad Windsheim 2011.
LVR-Freilichtmuseum Kommern (Hg.): Moderne Zeiten: Der Marktplatz entsteht. Düren 2015.
LVR-Freilichtmuseum Kommern, Rheinisches Landesmuseum für Volkskunde (Hg.): Kriegs(er)leben im Rheinland: zwischen Begeisterung und Verzweiflung. Mechernich-Kommern 2014.