Aus dem Alltag herausgehobene Anlässe werden nicht nur mit Brauchhandlungen gekennzeichnet, mit ihnen geht fast immer auch ein besonderes, festliches Essen einher. Die Gerichte, Gebäcke und auch Getränke dieser Tage werden oft mit großem Aufwand vorbereitet.
Brauchtermine als Anlass für festliche Speisen
„Die Herstellung (…) ist, gerade in der Vorweihnachtszeit, von besonderem Reiz.“ –Feiertage wie Ostern, Weihnachten oder Hochzeit wurden im 20. Jahrhundert durch die Zubereitung besonderer Gerichte und Speisen gekennzeichnet. Bei diesen Brauchterminen des Jahres- oder Lebenslaufs wurde eine meist hochwertige, oft als traditionell bezeichnete und regional geprägte Speisenauswahl auf den Tisch gebracht. Der Ratgeber „Geselligkeit im Hause“ aus den 1920er Jahren widmete ein ganzes Kapitel den „Familienfesten“. Auch der Sonntag zählte zu den Festtagen und Kochbücher beschrieben ihn als „der eine (Tag), der immer wieder aus der Mühsal unserer Werkeltage herausstrahlen soll. (…) liebe Hausfrau (…) So ist es deine heilige Pflicht, ihn auch wirklich zum Festtag zu machen.“ Dabei ist es vor allem die christliche Liturgie, welche den Sonntag aus dem Alltag heraushebt. Auch der Umstand, dass der Sonntag meist der einzige arbeitsfreie Tag war, trug zu seiner herausgehobenen Stellung bei. Dementsprechend waren auch die Gerichte etwas Besonderes, denn oft gab es nur an diesem Wochentag Fleisch, den Sonntagsbraten. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wandelte sich die Bedeutung des Sonntags im Alltag, traditionelle Verhaltensmuster lockerten sich dementsprechend. Im katholisch geprägten Rheinland stellten neben dem Sonntag besonders Karneval, Ostern, Pfingsten und Weihnachten bedeutende Brauchtermine dar.
Rheinischer Karneval – Der Alkohol braucht eine feste Grundlage
Im rheinischen Karneval konsumierte man gerne auch alkoholische Getränke. Um die Feiertage dabei gut zu überstehen, bedurfte es entsprechender Speisen. Hier bot sich Fettgebackenes als solide Grundlage für den Alkohol an. So beschrieb ein rheinischer Rezept-Kalender von 1939 das Festessen zu Karneval: „Zur Karnevalszeit wird nirgends so viel Fettgebackenes gegessen wie in den Ländern rechts und links vom Rhein. Vom Samstag vor Rosenmontag bis Karnevalsdienstag durchzieht viele Häuser ein süßer Duft. Da werden Mutzen, Kreppeln und Krapfen gebacken, und mit Stolz trägt die fleißige Hausfrau das Selbstgemachte auf den Tisch.“ Doch auch, weil der Karneval die letzten Tage vor der Fastenzeit darstellt, wurden hier viele Fett- und Eispeisen zubereitet: Eier und Butter hielten sich nur schlecht bis Ostern, so dass sie aufgebraucht werden mussten.
Weihnachten und Ostern: Zeit des Gebäcks
Die Weihnachtszeit war für die Hersteller von Backzutaten die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Mit kostenlosen Heften verbreiteten Firmen wie Reese und Ruf ab den 1950er Jahren verstärkt weihnachtliche Rezepte und bewarben so gleichzeitig ihre Produkte; allen voran der Marktführer Dr. Oetker. Die Dr. Oetker-Werbefigur „Renate“ präsentierte in den 1950er bis 1960er Jahren in Heften mit Titeln wie „Bitte nicht stören – bin bei der Weihnachtsbäckerei“ Rezepte für Honigbrot, Kokosberge und Weihnachtsstollen. Dabei betonte Renate: „Die Zeit der Vorfreude auf das schönste Fest des Jahres ist untrennbar mit der häuslichen Weihnachtsbäckerei verbunden.“ Im ausgehenden 20. Jahrhundert trugen die Hefte dann Titel wie „Weihnachtsträume“ und „Weihnachtszauber“ und präsentierten exotischere Rezepte wie Espresso-Marzipan-Kugeln und Bratapfel-Tiramisu. Festliche Anlässe wurden nun oft nicht mehr mit kulinarisch Bekanntem betont, stattdessen wurde das Ausgefallene und Neue als höherwertig betrachtet. Auch das Osterfest war Anlass für aufwändiges Kochen und Backen und die Verwendung hochwertiger Zutaten. Die Hersteller empfahlen in Rezeptheften der 1950er Jahren zu dieser Gelegenheit zum Beispiel die Zubereitung von Osterbrot und Sahne-Quark-Torte; das Heft von Dr. Oetker betonte: „Selbstgebackener Kuchen (…) und feine Süßspeisen bilden wie immer die Höhepunkte der Feiertage.“
Geburtstag, Taufe, Hochzeit: Festtermine im Lebenslauf
Auch die wichtigen Termine im Lebenslauf wie Geburtstag, Taufe, Kommunion, Konfirmation und Hochzeit waren Anlass für festliches Speisen. Ausgewählte Gerichte, hochwertiges Geschirr, passende Tischwäsche und -dekorationen betonten deren feierlichen Charakter. Eine Hauswirtschaftslehrerin empfahl in ihrem Buch „Kochen und Haushalten“ 1927: „Bei festlichen Gelegenheiten durch einen schön gedeckten Tisch zur Hebung der Festfreude beitragen. Frisches, weißes Tischtuch mit passenden Mundtüchern auflegen, (…) einheitliches Geschirr und Besteck benützen; den Tisch mit frischen grünen Pflanzen oder Blumen schmücken. Speisen sorgfältig angerichtet und verziert auftragen.“ Fotos in Kochbüchern der 1930er Jahre liefern dazu eindrucksvolle Beispiele. Auch in den folgenden Jahrzehnten legte man Wert auf derlei Elemente, allerdings wurden sie häufig edler und kostspieliger – ebenso wie die aufgetischten Gerichte oder Getränke.
Veränderungen in den Brauchkomplexen
Seit den 1950er Jahren kamen durch den verstärkten Zuzug von Menschen anderer Konfessionen und kultureller Hintergründe neue Bräuche ins Rheinland: So feiern viele Muslime besonders das Zuckerfest und das Opferfest – immer haben dabei die Gerichte und Getränke eine große Bedeutung und transportieren den herausgehobenen Stellenwert der Feste. Auch die Bräuche und Speisen der amerikanischen Kultur, wie etwa zu Thanksgiving, werden seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert im Rheinland verstärkt übernommen.