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Von Muskelkraft zur Motorkraft

Technische Entwicklung in der Landwirtschaft

Der kleine „Elfer Deutz“ wirkt heute neben den großen, multifunktionalen landwirtschaftlichen Zugmaschinen wie ein Spielzeugauto. Für seine Käufer in den 1930er Jahren bedeutete er jedoch eine Revolution auf dem Feld, denn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte die Arbeit mit der eigenen Muskelkraft oder mit Vieh noch zum bäuerlichen Alltag. Der zunehmende Einsatz von Technik veränderte schließlich die Agrarproduktion von Grund auf.

Landwirtschaft mit der Arbeitskraft von Mensch und Tier

Männer, Frauen und Kinder auf einem gepflügten Kartoffelfeld während der Erntearbeiten, Region Bönninghardt 1950er Jahre.

Die Ar­beit in ei­nem land­wirt­schaft­li­chen Be­trieb war in der Ver­gan­gen­heit haupt­säch­lich durch die Mus­kel­kraft von Mensch und Tier ge­prägt. Von der Aus­brin­gung des Saat­guts bis zur Ern­te muss­ten die zahl­rei­chen Auf­ga­ben un­ter teil­wei­se stra­pa­ziö­sen kör­per­li­chen An­for­de­run­gen er­le­digt wer­den. Seit En­de des 19. Jahr­hun­derts än­der­ten die Ein­füh­rung vie­ler tech­ni­scher Hilfs­mit­tel und die Op­ti­mie­rung der An­bau­me­tho­den die Ar­beits­wei­se zu­neh­mend, so­wohl in phy­si­scher wie auch in zeit­li­cher Hin­sicht.
Dem­entspre­chend war die vor­in­dus­tri­ell ge­präg­te Land­wirt­schaft auf ei­ne gro­ße Zahl an Ar­beits­kräf­ten an­ge­wie­sen. Dies galt be­son­ders für die ar­beits­rei­che Ern­te­zeit. Ne­ben den Hof­be­sit­zern wa­ren al­le Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen ge­for­dert, die auf dem Hof leb­ten. Ge­ra­de auch die Kin­der muss­ten mit­hel­fen. Die Bäue­rin­nen wa­ren am viel­fäl­tigs­ten ein­ge­bun­den. Sie hal­fen nicht nur auf dem Feld und im Stall mit, son­dern wa­ren au­ßer­dem für den Haus­halt und meist auch für die Pfle­ge des Ge­mü­se­gar­tens für den Ei­gen­be­darf zu­stän­dig. Des­wei­te­ren wur­den für die ar­beits­rei­chen Pha­sen zu­sätz­li­che Hilfs- und Fach­kräf­te ein­ge­stellt.

Landtechnik gewinnt an Bedeutung

Erfolgte bei der Butterherstellung in der vorindustriellen Milchverarbeitung die im Vorfeld notwendige Entrahmung der Rohmilch noch doch sog. Rahmschüsseln, wurde dieser Arbeitsschritt gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Einführung der Zentrifuge revolutioniert, ca.1920er bis 1940er Jahre.
Foto: Suzy Coppens/LVR

Zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts wuchs die Be­völ­ke­rung im Deut­schen Reich ra­sant, Er­trags­stei­ge­run­gen in der Land­wirt­schaft wa­ren drin­gend nö­tig, um die Ver­sor­gung der Be­völ­ke­rung zu ge­währ­leis­ten. Ne­ben zu­neh­men­dem Ein­satz von Dün­ge­mit­tel kam der Ent­wick­lung und Eta­blie­rung von Land­ma­schi­nen ei­ne be­deu­ten­de Rol­le zu. Wur­den 1908 bei der Wan­der­aus­stel­lung der Deut­schen Land­wirt­schafts-Ge­sell­schaft 5.254 neue Ge­rä­te und Ma­schi­nen prä­sen­tiert, wa­ren es 1914 schon über 10.000.
Die vor al­lem me­cha­nisch be­trie­be­nen In­no­va­tio­nen der Land­ma­schi­nen­her­stel­ler wie Heu­wen­der, Stroh­pres­sen, Kar­tof­fel­ro­der und Mäh­ma­schi­nen wur­den im­mer häu­fi­ger ein­ge­setzt, um den Ar­beits­kräf­te­man­gel durch die Ab­wan­de­rung von Land­ar­bei­tern in die In­dus­trie­räu­me der Städ­te­und den stei­gen­den Kon­kur­renz­druck auf dem in­ter­na­tio­na­len Markt zu kom­pen­sie­ren. Zwi­schen 1900 und 1939 lie­fer­ten dann im­mer öf­ter auch klei­ne Mo­to­ren die An­triebs­kraft für ver­schie­de­ne Ar­beits­schrit­te. Be­son­de­re Be­deu­tung hat­te in die­sem Zu­sam­men­hang die Ent­wick­lung von Elek­tro- und Ver­bren­nungs­mo­to­ren, die fle­xi­bel ein­setz­bar vie­le ver­schie­de­ne Ge­rä­te an­trei­ben konn­ten. Sie wa­ren auch für klei­ne­re Be­trie­be, für die sich die An­schaf­fung gro­ßer Dampf­ma­schi­nen nicht lohn­te, lu­kra­tiv.
Der Ma­schi­nen­ein­satz stieg laut der land­wirt­schaft­li­chen Sta­tis­tik für die Rhein­pro­vinz ra­pi­de an. Wa­ren 1907 bei­spiels­wei­se in der Rhein­pro­vinz 1.301 Hack­ma­schi­nen im Ein­satz, so wa­ren es 1925 be­reits 20.341, von 598 Schrot­müh­len stei­ger­te sich die Zahl im glei­chen Zeit­raum auf 14.029. Be­son­ders hoch ist die Zahl der Milch­zen­tri­fu­gen, 1925 be­sa­ßen be­reits 116.252 Be­trie­be ei­ne sol­che. Auch Elek­tro­mo­to­ren setz­ten sich wei­ter durch: 1925 trie­ben be­reits über 41.000 Mo­to­ren land­wirt­schaft­li­che Ge­rä­te in der Rhein­pro­vinz an. Pas­send da­zu wur­de in den land­wirt­schaft­li­chen Win­ter­schu­len der Lehr­plan an­ge­passt: Seit 1928 ge­hör­te das Fach „Ma­schi­nen­kun­de“ zum Cur­ri­cu­lum.

Traktoren verändern die Produktion

Traktor der Firma Hermann Lanz, Baujahr 1955.
Foto: Suzy Coppens/LVR

Ei­nen re­gel­rech­ten Epo­chen­wech­sel lös­te schlie­ß­lich ei­ne ame­ri­ka­ni­sche Ent­wick­lung aus. Seit En­de des 19. Jahr­hun­derts tüf­tel­ten ame­ri­ka­ni­sche In­ge­nieu­re an ers­ten Trak­to­ren. In Deutsch­land soll­te es noch bis nach dem Ers­ten Welt­krieg dau­ern, bis ers­te Her­stel­ler ei­ge­ne Mo­del­le vor­stell­ten. 1925 ver­zeich­ne­te die land­wirt­schaft­li­che Sta­tis­tik für die Rhein­pro­vinz nur 346 „Kraft­schlep­per“. Die Ma­schi­nen wa­ren für die meis­ten Land­wir­te nicht ren­ta­bel, erst bei ei­ner grö­ße­ren land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­che ab ca. 50 Hekt­ar kam ei­ne An­schaf­fung in Fra­ge.
Das än­der­te sich mit der Ent­wick­lung so­ge­nann­ter „Klein­schlep­per“ in den 1930er Jah­ren – auch für klei­ne­re Be­trie­be rück­te mit die­sen preis­wer­te­ren Mo­del­len die Mo­der­ni­sie­rung ih­res Ho­fes in greif­ba­re Nä­he. Auch die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Agrar­po­li­tik för­der­te die klein­bäu­er­li­che Struk­tur und da­mit den Be­darf an klei­nen Schlep­pern in Deutsch­land. Ei­ne deutsch­land­weit er­fol­gen­de Mo­der­ni­sie­rung der Land­wirt­schaft durch Zug­ma­schi­nen er­folg­te je­doch erst nach dem Zwei­ten Welt­krieg.
Die flä­chen­de­cken­de Tech­ni­sie­rungs­wel­le er­reich­te das von vie­len Kleinst­be­trie­ben ge­präg­te Rhein­land dann ab den 1950er und 1960er Jah­ren. 1955 gab es so vie­le Neu­zu­las­sun­gen von Trak­to­ren wie nie zu­vor. 1960 ver­zeich­ne­te das Lan­des­amt für Sta­tis­tik in NRW über 100.000 Trak­to­ren. Mit dem Trak­tor war der Ver­bren­nungs­mo­tor mo­bil und uni­ver­sell ein­setz­bar ge­wor­den. Es ent­stan­den pas­sen­de An­bau­ge­rä­te – die Land­ma­schi­nen­pro­du­zen­ten stell­ten in die­ser Tech­ni­sie­rungs­pha­se vie­le Neu­ent­wick­lun­gen spe­zi­ell für den Ein­satz am Trak­tor vor. Be­schleu­nigt wur­de dies durch un­zäh­li­ge Vor­trags­ver­an­stal­tun­gen, Mes­sen und Vor­füh­run­gen der Land­wirt­schafts­kam­mern und der Her­stel­ler.

Spezialisierung und Automatisierung

Getreidernte mit dem Mähdrescher, Kallmuth, zwischen 1975-1990.
Foto: Karl Guthausen/LVR

Be­güns­tigt wur­de die Tech­ni­sie­rungs­wel­le auch durch die Schaf­fung ei­nes eu­ro­päi­schen Bin­nen­mark­tes ab 1958. Land­wir­te spe­zia­li­sier­ten sich und grif­fen auf den pas­sen­den Ma­schi­nen­be­satz der Land­ma­schi­nen­her­stel­ler zu­rück. Mit der Pro­duk­ti­on ei­nes selbst­fah­ren­den Mäh­dre­schers, der die ver­schie­de­nen müh­se­li­gen Ar­beits­schrit­te der Ge­trei­de­ern­te und -ver­ar­bei­tung in ei­ner selbst­fah­ren­den Ma­schi­ne ver­ein­te, folg­te En­de der 1950er Jah­re ein neu­er Hö­he­punkt der Tech­ni­sie­rung der Land­wirt­schaft. Grö­ße­re Trak­to­ren mit über 100 PS und mo­der­ne Mäh­dre­scher ge­hör­ten im­mer häu­fi­ger zum Fuhr­park ei­nes Land­wir­tes. Im Stall zähl­ten seit den 1970er Jah­ren mo­der­ne Mel­kan­la­gen, Fut­ter­misch- und Fut­ter­do­sier­an­la­gen zur Stan­dard­aus­stat­tung. Ra­pi­de stei­gen­de Er­trä­ge und Milch­leis­tun­gen wa­ren das Er­geb­nis.
Die voll­um­fäng­li­che Au­to­ma­ti­sie­rung von land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­ons­pro­zes­sen ist mitt­ler­wei­le die Re­gel ge­wor­den. Und trotz Kon­tro­ver­sen um die Aus­rich­tung und Zu­kunft der Land­wirt­schaft be­stimmt bis heu­te ei­ne ra­tio­nel­le, mo­no­kul­tu­rel­le und hoch­tech­ni­sier­te Land­wirt­schaft das Bild in Deutsch­land und Eu­ro­pa.

Weiterführende Literatur

Herr­mann, Klaus: Grund­zü­ge der land­tech­ni­schen Ent­wick­lung in Deutsch­land (1900 bis heu­te). In: Schür­mann, Tho­mas; Wie­se, Rolf (Hg.): Es­sen ist fer­tig! Land- und Er­näh­rungs­wirt­schaft im Agra­ri­um des Frei­licht­mu­se­ums am Kie­ke­berg. Ehestorf 2012.

Klu­ge, Ul­rich: Agrar­wirt­schaft und länd­li­che Ge­sell­schaft im 20. Jahr­hun­dert. Mün­chen 2005.

Wend­ler, Ulf: Mo­tor­trag­pflü­ge, Schlep­per und Mo­tor­mä­her – Die deut­sche Schlep­per­ent­wick­lung bis 1945. In: Fok, Oli­ver; Wend­ler, Ulf; Wie­se, Rolf (Hg.): Vom Klep­per zum Schlep­per. Zur Ent­wick­lung der An­triebs­kräf­te in der Land­wirt­schaft. Ehestorf 1994.

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