Direkt zum Inhalt

Autarkie und Subvention

Die Rolle der Politik in der deutschen Landwirtschaft

Die agrarpolitische Ausgestaltung in Deutschland durchlief im 20. Jahrhundert verschiedene Phasen, wobei der Einfluss der Politik stetig zunahm - von der Kaiserzeit, über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die Bundesrepublik bis hin zur Mitgliedschaft in der EU. Innerhalb der EU ist die Agrarpolitik dabei seit Jahrzehnten der am stärksten vergemeinschaftete Politikbereich. Die wesentlichen Entscheidungen über deren Ausgestaltung in Deutschland fallen daher heute auf EU-Ebene.

Vom Protektionismus der Deutschen Kaiserzeit und der Weimarer Republik

Neben volkswirtschaftlichen Grundlagen der Landwirtschaft werden in diesem Buch auch die Ernährung des deutschen Volkes sowie Landmaschinen thematisiert, 1918.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Fast das ge­sam­te 19. Jahr­hun­dert hin­durch war der Ab­satz land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­te durch den ra­san­ten Be­völ­ke­rungs­an­stieg und die deut­li­che Zu­nah­me der Kauf­kraft ge­si­chert, oh­ne dass wei­te­re agrar­po­li­ti­sche Re­ge­lun­gen von Staats­sei­te not­wen­dig wa­ren. Erst mit dem Deut­schen Kai­ser­reich ab 1871 – ei­ner Zeit, in der sich die Na­ti­on von ei­nem Agrar- zu ei­nem In­dus­trie­land ent­wi­ckel­te – er­folg­ten mit ei­ner Er­hö­hung der Agrar­zöl­le, die zu Las­ten der Kon­su­men­ten ging, pro­tek­tio­nis­ti­sche Maß­nah­men, da die land­wirt­schaft­li­che Kon­kur­renz aus dem Aus­land die Prei­se für Ge­trei­de sin­ken ließ und den Ab­satz hei­mi­scher Feld­früch­te re­du­zier­te.
Nach dem Ers­ten Welt­krieg wur­den die­se Zöl­le dann aus­ge­setzt. Ne­ben die­ser Ab­schot­tungs­po­li­tik ver­such­te die Po­li­tik des Kai­ser­reichs mit Sub­ven­tio­nen, die For­schung in den Be­rei­chen Acker­bau und Vieh­zucht vor­an­zu­brin­gen. Auch die Grün­dung von Land­wirt­schafts­schu­len wur­de in­ten­si­viert, um von po­li­ti­scher Sei­te der ge­stei­ger­ten Nach­fra­ge an Agrar­pro­duk­ten auf­grund von Be­völ­ke­rungs­wachs­tum und Land­flucht zu be­geg­nen.
Die Agrar­po­li­tik der Wei­ma­rer Re­pu­blik war ge­kenn­zeich­net vom so ge­nann­ten Reichs­sied­lungs­ge­setz. Ziel des Ge­set­zes war, dass durch neue agra­ri­sche Klein- und Mit­tel­be­trie­be land­wirt­schaft­li­che Nutz­flä­chen ver­stärkt be­wirt­schaf­tet wer­den soll­ten. Hier­für wur­den die ein­zel­nen Bun­des­staa­ten an­ge­hal­ten, ge­mein­nüt­zi­ge agra­ri­sche Sied­lungs­un­ter­neh­men zu grün­den. Hier­für for­der­te man von den Gro­ßgrund­be­sit­zern die Ab­tre­tung von Tei­len ih­rer land­wirt­schaft­li­chen Flä­chen, mit dem Ziel, aut­ark wirt­schaf­ten­de, klei­ne Bau­ern­hö­fe und mit­tel­gro­ße land­wirt­schaft­li­che Be­trie­be zu för­dern.

Auf den Feldern von „Blut-und-Boden“ – Gleichgeschaltete Landwirtschaft im „Dritten Reich“

Veröffentlichung des Reichsnährstandes, 1938.
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Wie in al­len zen­tra­len Be­rei­chen der Po­li­tik, Ge­sell­schaft und Kul­tur, be­gan­nen die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten gleich nach der Macht­er­grei­fung auch in der Land­wirt­schaft mit der Gleich­schal­tung agra­risch­wirt­schaft­li­cher Struk­tu­ren. Be­reits in der ers­ten Jah­res­hälf­te 1933 er­folg­te die teils zwang­haf­te, teils selbst ein­ge­lei­te­te Ver­ei­ni­gung al­ler land­wirt­schaft­li­cher Be­rufs­ver­tre­tun­gen in die „Reichs­füh­rer­ge­mein­schaft der ver­ei­nig­ten land­wirt­schaft­li­chen Ver­bän­de“. Hier­zu zähl­ten die gro­ße Viel­zahl an Bau­ern­ver­bän­den und ih­re da­zu­ge­hö­ri­gen Dach­or­ga­ni­sa­tio­nen, das agra­ri­sche Ge­nos­sen­schafts­we­sen so­wie der „Deut­sche Land­wirt­schafts­ra­t“, in dem sich die Ver­tre­ter der Land­wirt­schafts­kam­mern aus den ein­zel­nen Bun­des­staa­ten des Deut­schen Reichs zu­sam­men­ge­schlos­sen hat­ten.
In dem im Sep­tem­ber 1933 ge­grün­de­ten „Reichs­nähr­stan­d“ wa­ren bis zum Un­ter­gang des „Drit­ten Reichs“ al­le in der Land­wirt­schaft und der Fi­sche­rei tä­ti­gen staat­li­chen In­sti­tu­tio­nen so­wie In­ter­es­sen­ver­tre­tun­gen und Ver­ei­ne gleich­ge­schal­tet und strikt hier­ar­chisch struk­tu­riert. Zu den Kern­auf­ga­ben des Reichs­nähr­stan­des zähl­te die ideo­lo­gi­sche In­dok­tri­nie­rung und Über­wa­chung der so­ge­nann­ten „Blut­rein­heit“ in­ner­halb der „arisch-bäu­er­li­chen“ Be­völ­ke­rung. Wirt­schaft­lich zen­tra­ler war die Kon­trol­le des Reichs­nähr­stan­des über die ge­sam­te land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on und die da­für ein­ge­setz­ten Mit­tel so­wie die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ver­tei­lung der aga­ri­schen Pro­duk­te, bei der man mit­tels Ge­set­zen und Ver­ord­nun­gen ver­such­te, die Prei­se zu kon­trol­lie­ren. An die Stel­le des frei­en Wett­be­werbs trat ein Sys­tem aus fest­ge­leg­ten Prei­sen und Pro­duk­ti­ons­men­gen. Das „Reich­serb­hof­ge­set­z“ soll­te dar­über hin­aus die Be­sitz­ver­hält­nis­se und das Erbrecht nach na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ideo­lo­gie um­ge­stal­ten. Dem­nach durf­ten Hö­fe, die als „Erb­hö­fe“ ein­ge­stuft wa­ren, nur noch an fa­mi­li­en­zu­ge­hö­ri­ge Er­ben mit deut­scher Staats­an­ge­hö­rig­keit über­ge­ben wer­den. Ei­ne Ver­äu­ße­rung oder Ver­pach­tung an an­de­re Per­so­nen, die die­sen Kri­te­ri­en nicht ent­spra­chen, war un­ter­sagt.
Für den Krieg streb­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ei­ne Stei­ge­rung der land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­on bis zur voll­stän­di­gen De­ckung des ei­ge­nen Be­darfs an, die al­ler­dings nie er­reicht wur­de. Im Ge­gen­satz zum Ers­ten Welt­krieg konn­te je­doch die Ver­sor­gung der Be­völ­ke­rung bis kurz vor Kriegs­en­de auf nied­ri­gem Ni­veau ga­ran­tiert wer­den. Der Man­gel wur­de erst im zer­stör­ten Nach­kriegs­deutsch­land ein drän­gen­des Pro­blem, in des­sen Zu­ge auch der „Reichs­nähr­stan­d“ be­wusst erst 1948 von den Be­sat­zungs­mäch­ten durch den neu ins Le­ben ge­ru­fe­nen „Deut­schen Bau­ern­ver­ban­d“ er­setzt wur­de.

Der Weg zu einer gemeinsamen EU-Agrarpolitik. Landwirtschaft in der Zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Für die BRD – und da­mit auch für das Rhein­land – sind die we­sent­li­chen Zie­le der Agrar­po­li­tik seit 1955 im Land­wirt­schafts­ge­setz fest­ge­schrie­ben. Die­se fo­kus­sie­ren die Teil­nah­me der Land­wirt­schaft an der volks­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung, die best­mög­li­che Ver­sor­gung der Be­völ­ke­rung mit Er­näh­rungs­gü­tern, den Aus­gleich der na­tur­be­ding­ten und wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le der Land­wirt­schaft, die Stei­ge­rung der Pro­duk­ti­vi­tät so­wie die An­glei­chung der so­zia­len La­ge der in der Land­wirt­schaft Tä­ti­gen an die ver­gleich­ba­rer Be­rufs­grup­pen (Pa­ri­täts­ziel). Ähn­li­che Zie­le sind in den Rö­mi­schen Ver­trä­gen zur Er­rich­tung der Eu­ro­päi­schen Wirt­schafts­ge­mein­schaft von 1957 und in der ak­tu­ells­ten Rechts­grund­la­ge der EU-Vor­ga­ben, im Ver­trag von Lis­sa­bon von 2007, for­mu­liert.
Be­trach­tet man den Ver­lauf der ge­mein­sa­men EU-Agrar­po­li­tik in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­dert, so kann man sie grob in vier Ab­schnit­te un­ter­tei­len. In den frü­hen Jah­ren fo­kus­sier­te man zu­nächst die Schaf­fung von Markt­ord­nun­gen, die ne­ben der Er­näh­rungs­si­che­rung ei­ne Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung, Markt­sta­bi­li­sie­rung und Ein­kom­mens­stüt­zung for­cier­ten. Die­se be­inhal­te­ten ei­nen ho­hen Au­ßen­schutz, ge­währ­ten über den Welt­markt­preis an­ge­sie­del­te Min­des­ter­zeu­ger­prei­se, staat­li­che Auf­käu­fe so­wie Ex­port­sub­ven­tio­nen bei Über­schuss. In den 1950er Jah­ren sub­ven­tio­nier­te die Po­li­tik nach den Kri­sen­zei­ten vie­le land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­te, in­dem sie den Pro­du­zen­ten den Ver­kauf ih­rer Wa­ren zu staat­lich ga­ran­tier­ten Ab­nah­me­prei­sen er­mög­lich­te, d. h. die Land­wir­te muss­ten sich nicht um die Ab­nah­me ih­rer Pro­duk­te durch den Ver­brau­cher sor­gen, staat­li­che Ein­fuhr- und Vor­rats­stel­len der Eu­ro­päi­schen Ge­mein­schaft über­nah­men zu Ga­ran­tie­prei­sen die Über­schüs­se aus der Land­wirt­schaft, um sie spä­ter oder auf an­de­ren Ab­satz­we­gen zu ver­äu­ßern. Der dar­auf dras­ti­sche ein­set­zen­de An­stieg in der Pro­duk­ti­on führ­te mit der Zeit zu ge­wal­ti­gen Über­schüs­sen.
Die­se Po­li­tik wird rück­bli­ckend als ei­ne Fehl­kon­struk­ti­on an­ge­se­hen, die in ei­nem zwei­ten Ab­schnitt, den 1970er bis 1980er Jah­ren, durch Kri­sen ge­kenn­zeich­net war. Die Fort­schrit­te in der Züch­tung und die Zu­ga­be spe­zi­el­len Kraft­fut­ters stei­ger­ten bei­spiels­wei­se die Milch­pro­duk­ti­on um ein Viel­fa­ches. Da­durch kam es in den 1970er Jah­ren zu ei­ner Über­pro­duk­ti­on von Milch. „Milch­se­en“, „But­ter-“ und „Ge­trei­de­ber­ge“ wur­den zu Me­ta­phern für die eu­ro­päi­sche Agrar­po­li­tik. Es gab ei­ne im­men­se Über­pro­duk­ti­on, die mit ei­ner Ex­plo­si­on der Aus­ga­ben ein­her­ging und auf­grund der sub­ven­tio­nier­ten Agrar­ex­por­te ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen für den glo­ba­len Sü­den nach sich zog. So ver­such­te man seit den 1970er Jah­ren dem Über­schuss land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­te in Eu­ro­pa mit­tels po­li­ti­scher Re­gu­lie­run­gen zu be­geg­nen. 1984 führ­te die Eu­ro­päi­sche Ge­mein­schaft z. B. die so­ge­nann­te Milch­quo­te ein. Sie leg­te die Milch­men­ge fest, die je­der Mit­glieds­staat jähr­lich in den Markt ein­füh­ren durf­te. Wur­de bei ei­nem Er­zeug­nis die fest­ge­schrie­be­ne Men­ge über­schrit­ten, griff ein nied­ri­ge­rer Preis. Das mach­te das Ge­schäft für vie­le Be­trie­be un­ren­ta­bel und die Re­gu­lie­rungs­pro­zes­se führ­ten zur Auf­ga­be vie­ler klei­ner milch­wirt­schaft­li­cher Be­trie­be. Die An­zahl der Milch­kü­he ist seit­dem eben­falls rück­läu­fig. 1970 wur­den in Nord­rhein-West­fa­len noch 725.831 Milch­kü­he ge­hal­ten, bis 2013 schrumpf­te ihr Be­stand auf 420.572 Tie­re zu­sam­men.
Ei­ne wei­te­re um­fas­sen­de Re­form, die so ge­nann­te MacS­har­ry-Re­form wur­de 1992 auf den Weg ge­bracht. Die­se ziel­te auf Über­schuss­re­du­zie­rung, Um­welt­schutz so­wie Ein­kom­mens- und Bud­get­sta­bi­li­sie­rung. Drei kon­kre­te Maß­nah­men wur­den da­bei ver­folgt: Die Kür­zung der In­ter­ven­ti­ons­prei­se um 35 %, ein die­ser Kür­zung ent­ge­gen­steu­ern­der Aus­gleich in Form von Flä­chen­bei­hil­fe so­wie ei­ne Ein­däm­mung der Über­pro­duk­ti­on durch ei­ne ver­bind­li­che Flä­chen­still­le­gung. So muss­ten Land­wir­te ei­nen Teil ih­rer Fel­der be­wusst un­ge­nutzt las­sen, um ei­nen An­spruch auf Zah­lun­gen zu be­kom­men. Ne­ben die­ser Markt- und Preis­po­li­tik be­schloss man zu­dem ei­ne Vor­ru­he­stands­re­ge­lung für Land­wir­te ab 55 Jah­ren. Wenn die­se ih­re land­wirt­schaft­li­chen Flä­chen auf­ga­ben und an an­de­re Be­trie­be über­tru­gen, konn­ten sie ei­ne ge­son­der­te Ren­te so­wie Aus­gleichs­zah­lun­gen für die Fa­mi­lie be­zie­hen. Dies ziel­te un­ter an­de­rem auf die Re­du­zie­rung und Mo­der­ni­sie­rung be­ste­hen­der land­wirt­schaft­li­cher Be­trie­be ab. Die vier­te Pha­se schlie­ßt das 20. Jahr­hun­dert ab und führt die Land­wirt­schaft in das neue Jahr­tau­send. 1999 wur­de die Agen­da 2000 be­schlos­sen, die sich auf die Ver­tie­fung des Re­form­pro­zes­ses, die Wett­be­werbs­fä­hig­keit so­wie die länd­li­che Ent­wick­lung fo­kus­sier­te. In der Zu­sam­men­schau wird die EU-Po­li­tik in Be­zug auf die Land­wirt­schaft ger­ne als „Über­re­gu­la­ti­on“ oder „Sub­ven­ti­ons­ma­schine“ dar­ge­stellt. Doch wa­ren die po­li­ti­schen Leit­ge­dan­ken ei­nes zu­sam­men­wach­sen­den Eu­ro­pas vor al­lem auf die Si­che­rung der Nah­rungs­grund­la­ge – nach der exis­tenz­be­dro­hen­den Er­fah­rung der Welt­krie­ge be­son­ders zen­tral – aus­ge­rich­tet. Erst in der Fol­ge zeig­ten sich die Nach­tei­le die­ser Re­ge­lun­gen, die heu­te durch ein kom­pli­zier­tes Sys­tem von Geld­flüs­sen aus­ba­lan­ciert wer­den sol­len. Die meis­ten Land­wir­te sind heu­te des­halb auch Buch­hal­ter, die ei­nen gu­ten Teil ih­rer Zeit in das Aus­fül­len von For­mu­la­ren ste­cken.

Zurück nach oben