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Von Adebar, dem Klapperstorch

Rituale rund um die Geburt

Bis ins 20. Jahrhundert erfolgte die Geburt in aller Regel zu Hause mit Hilfe einer Hebamme und Nachbarinnen. Da man aufgrund mangelnder medizinischer Kenntnisse den Geburtstermin nur sehr grob bestimmen konnte, war dieses System gegenseitiger Hilfe unabdingbar. Heute dagegen kommen rund 95% der Babys im Krankenhaus zur Welt.

Der Klapperstorch als Erklärungsmuster

Hausschmuck zur Geburt, Storch mit Babypuppe im Schnabel. Merten 1985
Foto: Alois Döring/LVR

Schwan­ger­schaft und Ge­burt wur­den lan­ge Zeit ge­sell­schaft­lich kaum the­ma­ti­siert. Se­xua­li­tät und da­mit auch der schwan­ge­re Kör­per der Frau wur­den ta­bui­siert, er galt als un­an­stän­dig und an­stö­ßig. Sei­ne Ta­bui­sie­rung wur­de vor al­lem durch die bür­ger­li­che Ge­sell­schaft des 19. Jahr­hun­derts vor­an­ge­trie­ben. Stär­ker als zu­vor wur­de hier der Rück­zug ins Pri­va­te und ei­ne Tren­nung von Kin­der­welt und Er­wach­se­nen­welt for­ciert; der Kör­per wur­de zum Ge­gen­stand von Scham. Um den Kin­dern die Ge­burt zu er­klä­ren, oh­ne da­bei Zeu­gung und Ge­burts­vor­gang er­läu­tern zu müs­sen, wur­den Fi­gu­ren her­an­ge­zo­gen, die über Le­gen­den das „plötz­li­che“ Da­sein ei­nes Ge­schwis­ter­chens er­läu­ter­ten. Ade­bar, der Klap­per­storch war die wohl be­kann­tes­te und ver­brei­tets­te Fi­gur. Er brach­te, meist mit ei­nem Körb­chen im Schna­bel, die Ba­bys, nach­dem er der Frau in der Nacht ins Bein ge­bis­sen hat­te. In Kin­der­bü­chern, auf Glück­wunsch­kar­ten, als Holz­fi­gu­ren oder Pup­pen war die kind­ge­rech­te Fi­gur des Ade­bar prä­sent.

Der Klapperstorch heute als Symbol der Geburt

Hausschmuck zur Geburt. Swisttal 2009
Foto: Peter Weber/LVR

Seit den 1960er Jah­ren lo­cker­te sich im Zu­ge von ge­sell­schaft­li­cher Plu­ra­li­sie­rung und durch Eman­zi­pa­ti­on die Ta­bui­sie­rung von schwan­ge­ren Frau­en und Ge­burt lang­sam. Mit dem Ge­bur­ten­rück­gang durch „Pil­len­knick“, ver­mehr­te Be­rufs­tä­tig­keit von Frau­en und ei­nem neu­en Rol­len­bild- und -emp­fin­den wur­de Schwang­er­sein ge­sell­schaft­lich bald po­si­ti­ver kon­no­tiert und stär­ker ge­schätzt. Heu­te ist der freie Um­gang mit Schwan­ger­schaft auch Aus­druck ei­nes of­fe­ne­ren und selbst­be­wuss­te­ren Um­gangs mit dem ei­ge­nen Kör­per und der Se­xua­li­tät. Trotz­dem ist Ade­bar, der Klap­per­storch, im Rhein­land auch heu­te prä­sent. Ob­wohl er nar­ra­tiv wohl nicht mehr ernst­haft als Kin­der­brin­ger an äl­te­re Ge­schwis­ter kom­mu­ni­ziert wird, so ist er et­wa als Sym­bol auf Glück­wunsch­kar­ten zur Ge­burt ab­ge­bil­det oder taucht an Wä­sche­lei­nen hän­gend auf, die von Nach­ba­rIn­nen an Haus­fas­sa­den be­fes­tigt wer­den, um die Ge­burt ei­nes Kin­des öf­fent­lich an­zu­zei­gen.

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