Direkt zum Inhalt

Stilles Gedenken?

Friedhöfe als Teil der Siedlungsstruktur

Der Friedhof gilt als Ort des Todes, als Ort der Trauernden und als Ort der Ruhe. Waren Friedhöfe bis ins 18. Jahrhundert zentral im Siedlungskern gelegen, rückten sie danach an die Ortsränder. Die rund 30.000 Friedhöfe in Deutschland zeigen den Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod und den Toten.

Friedhöfe zwischen Vormoderne und Industrialisierung

Friedhof der Gemeinde Lich im Jahr 1977. Die Grabfelder sind um die Kirche angelegt und grenzen unmittelbar an Wohngebäude.

Wur­den in der rö­mi­schen An­ti­ke Fried­hö­fe noch au­ßer­halb der Sied­lun­gen an­ge­legt, so än­der­te sich das mit Auf­kom­men des Chris­ten­tums. Zu­nächst ent­stan­den Grä­ber in und um die Kir­chen. Grün­de hier­für wa­ren christ­li­che Kon­zep­te der Ge­mein­schaft, des Jen­seits­glau­bens so­wie der Hei­li­gen­ver­eh­rung: Be­son­ders be­gehrt wa­ren Be­gräb­nis­plät­ze nah an Re­li­qui­en, die in den Al­tä­ren der Kir­chen be­wahrt wur­den. Noch heu­te zei­gen Grab­denk­mä­ler in Kir­chen des­sen al­te Funk­ti­on als Bei­set­zungs­ort. Erst im spä­ten 18. Jahr­hun­dert wur­de die Kir­chen­bei­set­zung ge­setz­lich ver­bo­ten. Der Kirch­hof blieb al­ler­dings Be­gräb­nis­ort, wo­bei die­se in­ner­städ­ti­schen Fried­hö­fe rund um die Kir­chen meist un­sys­te­ma­tisch an­ge­legt wa­ren und über lan­ge Zeit auch nicht un­be­dingt ge­kenn­zeich­ne­te oder gar be­son­ders ge­stal­te­te Grä­ber auf­wie­sen. Mit dem An­stieg der Be­völ­ke­rungs­zah­len durch die ein­set­zen­de In­dus­tria­li­sie­rung im 18. Jahr­hun­dert wur­den die in­ner­städ­ti­schen Kirch­hö­fe zu klein, Platz- und Hy­gie­ne­pro­ble­me nah­men zu und führ­ten zu ei­ner Wel­le von Fried­hofs­ver­le­gun­gen vor die Stadt­gren­zen um 1800. Vor­bil­der hier­für wa­ren die Re­for­men in Frank­reich nach der Re­vo­lu­ti­on, die Auf­klä­rung brach­te die­se mit dem All­ge­mei­nen Preu­ßi­schen Land­recht 1794 auch ge­setz­lich vor­ge­schrie­ben in die preu­ßi­schen Ge­bie­te.

Struktur der Friedhofsanlagen seit dem 19. Jahrhundert

Friedhof der Gemeinde Pesch im Jahr 2010, Teilansicht. Hinter der Friedhofsmauer, an die abgeräumte Grabsteine lehnen, steht der Neubau eines Einfamilienhauses. Der Friedhof scheint sich am Ortsrand zu befinden.
Foto: Uhlig, Mirko/LVR

Mit der Ver­le­gung der Fried­hö­fe voll­zog sich auch ei­ne Neu­ge­stal­tung. Ei­ni­ge wur­den als rei­ne Zweck­ein­rich­tung an­ge­legt, un­re­gel­mä­ßig und oh­ne sys­te­ma­ti­sches We­ge­netz. Die meis­ten neu an­ge­leg­ten Fried­hö­fe wur­den al­ler­dings nach be­stimm­ten Re­geln sys­te­ma­tisch ge­stal­tet. Um Hy­gie­ne­kon­zep­te hat­te sich seit dem 18. Jahr­hun­dert ein in­ten­si­ver Dis­kurs ge­bil­det, der da­zu führ­te, dass die Sor­ge um ei­ne Ver­schmut­zung von Grund­was­ser und Luft die Neu­an­la­ge der Be­gräb­nis­stät­ten mit­be­stimm­te. So hielt man be­stimm­te Pflan­zen für luft­rei­ni­gend, Fried­hö­fe wur­den nach Mög­lich­keit nicht in di­rek­ter Nä­he von Flüs­sen und Bä­chen an­ge­legt.

Er­gänzt wur­de der Hy­gie­ne­dis­kurs durch neue äs­the­ti­sche Vor­lie­ben: Im frü­hen 19. Jahr­hun­dert wur­den vor al­lem geo­me­trisch an­ge­leg­te Grab­fel­der (meist in ei­ner 4-Fel­der-An­la­ge) an­ge­legt. Auf recht­ecki­gem oder qua­dra­ti­schem Grund­riss teil­te ein We­ge­kreuz die An­la­ge in vier Grab­fel­der, die je nach Ge­samt­grö­ße wei­ter un­ter­teilt wur­den. Ab et­wa 1850 wur­den Fried­hö­fe un­ter dem Ein­fluss der Ro­man­tik zu Land­schafts­gär­ten. Be­son­ders be­liebt wa­ren na­tür­lich an­mu­ten­de ge­schwun­ge­ne We­ge, ein rei­cher Baum­be­stand, Park- und Wald­ele­men­te wech­sel­ten sich ab. Die­se auf­wen­di­gen gärt­ne­ri­schen An­la­gen wa­ren je­doch eher auf Groß­städ­te wie Köln, Düs­sel­dorf oder Bonn be­schränkt. Die ste­ti­ge Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung und Ra­tio­na­li­sie­rungs­ge­dan­ken zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts be­ding­ten schlie­ß­lich auch in den Städ­ten ei­ne Rück­kehr zu geo­me­tri­schen Fried­hö­fen.

Für die Ent­wick­lung der Fried­hö­fe seit den 1950er Jah­ren las­sen sich zwei ge­gen­läu­fi­ge Ten­den­zen fest­stel­len: ei­ner­seits ei­ne star­ke Nor­mie­rung und zu­neh­men­de An­ony­mi­sie­rung, die der The­se ei­ner Ta­bui­sie­rung des To­des ent­spricht, an­de­rer­seits ein öf­fent­lich aus­ge­drück­tes Be­dürf­nis nach äs­the­ti­scher Ge­stal­tung ei­nes in­di­vi­du­el­len Trau­er- und Er­in­ne­rungs­or­tes.

Soziale Segmentierung

Grabmal auf einer Familiengruft aus dem 19. Jahrhundert. Die Grabstelle ist von einem aufwändig gestalteten Zaun umgeben. Lich-Steinstraß 1977.
Foto: Unbekannt/LVR

Die Grab­stät­ten mit ih­ren Grab­mä­lern spie­gel­ten im­mer auch den Zeit­geist wie­der. Über die Jahr­hun­der­te er­hal­ten blie­ben je­doch nur je­ne Grä­ber von rei­chen und ein­fluss­rei­chen Bür­gern, die der är­me­ren Schich­ten wur­den wie­der­be­legt und ver­schwan­den so­mit gänz­lich. So sind die er­hal­te­nen An­la­gen heu­te ins­be­son­de­re Zeu­gen des Selbst­ver­ständ­nis­ses des Bür­ger­tums.

Mit der Neu­an­la­ge von Fried­hö­fen wur­de auch ei­ne Rei­hen­be­le­gung nach Ster­be­da­tum ein­ge­führt, wenn über­haupt wa­ren die Grä­ber hier mit ein­fa­chen Holz­kreu­zen ge­kenn­zeich­net. Nach Ab­lauf ei­ner Sperr­zeit wur­den die Grä­ber neu be­legt. Nur den wohl­ha­ben­de­ren Bür­gern war es mög­lich, sich ein Wahl­grab zu kau­fen, das dann auch ei­ne un­be­fris­te­te Lie­ge­frist ga­ran­tier­te. Die Fried­hofs­neu­ord­nung um 1800 ver­fes­tig­te die be­ste­hen­de so­zia­le Seg­men­tie­rung der Grä­ber­an­la­ge. An den Haupt­we­gen be­fin­den sich bis heu­te die re­prä­sen­ta­ti­ven Wahl­grä­ber. Auch bei den land­schafts­gärt­ne­ri­schen Fried­hö­fen be­stand und be­steht die­se Glie­de­rung: Pri­vi­le­gier­te Grä­ber wur­den an be­son­ders schön ge­le­ge­nen Stel­len plat­ziert, wäh­rend die ar­men Schich­ten der Ge­sell­schaft auch hier in Rei­hen­grä­bern be­er­digt wur­den.

Vom Grabmal als Denkmal zum anonymen Gräberfeld

Grab mit Osterschmuck, Bergheim/Sieg 2010
Foto: Dagmar Hänel/LVR/LVR

Die Grab­mal­kul­tur um 1800 war ge­prägt vom Klas­si­zis­mus. Der Tod wird hier häu­fig mit dem Schlaf as­so­zi­iert, Blu­men und Schmet­ter­lin­ge be­glei­ten har­mo­ni­sche, ent­spannt wir­ken­de Fi­gu­ren. Noch stär­ker emo­ti­ons­ge­la­den wur­den die Grab­mä­ler ab Mit­te des 19. Jahr­hun­dert, als die Vor­stel­lun­gen der Ro­man­tik hin­zu­ka­men. Am in­di­vi­du­el­len Grab wur­de ei­ne Syn­the­se mit der Na­tur an­ge­strebt. Ne­ben Skulp­tu­ren der To­ten war ei­ne Kom­bi­na­ti­on aus christ­li­chen und an­ti­ken Mo­ti­ven weit ver­brei­tet. Trau­er wur­de äs­the­ti­siert, bei­spiels­wei­se in Grab­plas­ti­ken, die trau­ern­de Frau­en dar­stel­len.

Mit der In­dus­tria­li­sie­rung er­folg­te ei­ne Ver­ein­heit­li­chung: In­dus­tri­ell ge­fer­tig­te Ei­sen­kreu­ze, guss­ei­ser­ne Gra­bein­frie­dun­gen, Gal­va­no­plas­ti­ken und ma­schi­nell po­lier­te Gra­nitstei­ne konn­ten nun aus dem Ka­ta­log be­stellt wer­den. Ge­ra­de das Bür­ger­tum nutz­te Fried­hö­fe und Grab­mä­ler als Zei­chen von Re­prä­sen­ta­ti­on und Sta­tus. Die Fried­hofs­re­form­be­we­gung ab 1920 setz­te hier Ge­gen­punk­te: Sie for­der­te auch aus wirt­schaft­li­chen Grün­den ei­ne Rück­kehr zum zwar in­di­vi­du­ell ge­stal­te­ten Grab – nicht oh­ne Grund hat­ten sich hier vie­le Stein­met­ze und Bild­hau­er or­ga­ni­siert -, pro­pa­gier­ten aber grö­ße­re Schlicht­heit, die Nut­zung re­gio­na­ler Roh­stof­fe und das Bei­be­hal­ten lo­ka­ler Tra­di­tio­nen. Stär­ke­re Re­gle­men­tie­run­gen und Nor­mie­run­gen durch Fried­hofs­ord­nun­gen er­schwer­ten in­di­vi­du­el­le Grab­ge­stal­tun­gen, seit den 1930er Jah­ren sind die gro­ßen, auf­fäl­li­gen fi­gu­ra­len Grab­mo­nu­men­te weit­ge­hend ver­schwun­den, au­ßer als his­to­ri­sche Grab­ma­le.

Erst stär­ke­re Ten­den­zen von In­di­vi­dua­li­sie­rung und Äs­the­ti­sie­rung führ­ten ab den 1990er Jah­ren zu Ver­än­de­run­gen in der Grab­mal­ge­stal­tung, die sich durch Auf­he­bun­gen von Fried­hofs­ord­nun­gen und Än­de­run­gen der Be­stat­tungs­ge­set­ze deut­lich ver­stärk­ten. Dem­ge­gen­über steht ei­ne star­ke Nor­mie­rung und An­ony­mi­sie­rung durch die stär­ke­re Po­pu­la­ri­sie­rung der Feu­er­be­stat­tung so­wie das Auf­kom­men der an­ony­men Bei­set­zung seit den 1970er Jah­ren. Seit den 1990er Jah­ren füh­ren neue Be­stat­tungs­for­men so­wie die Auf­he­bung des Fried­hofs­zwangs zu neu­en Grab- und Bei­set­zungs­for­men wie der Baum­be­stat­tung in spe­zi­ell da­für aus­ge­wie­se­nen Wald­flä­chen oder der Aschen­streu­wie­se.

Weiterführende Literatur

Fi­scher, Nor­bert: Vom Got­tes­acker zum Kre­ma­to­ri­um. Ei­ne So­zi­al­ge­schich­te der Fried­hö­fe in Deutsch­land seit dem 18. Jahr­hun­dert (Kul­tur­stu­di­en, Band 17). Köln/Wei­mar/Wien 1996.

Hap­pe, Bar­ba­ra: Die Ent­wick­lung der deut­schen Fried­hö­fe von der Re­for­ma­ti­on bis 1870. Tü­bin­gen 1991.

Schmied, Ger­hard: Fried­hofs­ge­sprä­che. Un­ter­su­chun­gen zum „Wohn­ort der To­ten“. Op­la­den 2002.

Schep­pers-Lam­bers, Frie­de­ri­ke : Be­er­di­gun­gen und Fried­hö­fe im 19. Jahr­hun­dert in Müns­ter. Dar­ge­stellt an­hand von Ver­ord­nun­gen und Ar­chi­va­li­en (Bei­trä­ge zur Volks­kul­tur in Nord­west­deutsch­land, Band 73). Müns­ter 1992.

De­mir­ci, Ay­han (Hg.): Me­la­ten – My­thos und Le­gen­den. Der be­rühm­te Köl­ner Fried­hof in Ge­schich­ten und An­ek­do­ten, mit ei­ner Ein­lei­tung von Ste­fan Pohl. Köln 1996.

Zurück nach oben