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Zwischen räumlicher Intimität und Zurschaustellung

Repräsentationsfunktionen in den eigenen vier Wänden

Finanzieller Wohlstand spiegelte sich verstärkt ab den Wirtschaftswunderjahren im Mobiliar und technischen Produkten wider. Der soziale Aufstieg sollte Besuchern gerade auch mit der Inneneinrichtung vermittelt werden.

Funktionale Räume zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Aufsatzschrank, 1900 - 1919
Foto: Suzy Coppens/LVR

Bis in das 20. Jahr­hun­dert hin­ein war die Raum­auf­tei­lung von Häu­sern im länd­li­chen Raum noch stark von ih­rer Funk­tio­na­li­tät ab­hän­gig. Die Glie­de­rung der Räu­me ori­en­tier­te sich an der land­wirt­schaft­li­chen und hand­werk­li­chen Ar­beits­welt der Be­woh­ner. Wohn­räu­me wa­ren oft­mals mit Bet­ten und Hand­werks­ge­rä­ten Schlaf­platz und Ar­beits­stät­te zu­gleich. Re­prä­sen­ta­ti­ven Ein­rich­tungs­for­men wur­de von wei­ten Tei­len der Land­be­völ­ke­rung, schon al­lein aus fi­nan­zi­el­len Grün­den, kei­ne Be­deu­tung bei­ge­mes­sen. Dies galt auch für den Her­d­raum, der das Herz­stück länd­li­cher Häu­ser war. Ei­ne Aus­nah­me bil­de­te die „gu­te Stu­be“, die En­de des 19. Jahr­hun­derts mit hoch­wer­ti­gem Mo­bi­li­ar, wie et­wa dem Bü­fett­schrank, in ei­ni­gen, eher wohl­ha­ben­den Bau­ern­häu­sern Ein­zug hielt und nur zu be­son­de­ren An­läs­sen und an ho­hen Fei­er­ta­gen ge­nutzt wur­de. In den Städ­ten da­ge­gen er­folg­te vie­ler­orts be­reits wäh­rend der In­dus­tria­li­sie­rung ei­ne ers­te Tren­nung der Ar­beits­stät­te vom Wohn­be­reich. In bür­ger­li­chen Krei­sen bil­de­ten sich zu­dem erst­mals Pri­vat­räu­me her­aus, wie et­wa das Wohn­zim­mer, die ei­ne Äs­the­ti­sie­rung bür­ger­li­cher Wohn­kul­tur ein­läu­ten, de­ren re­prä­sen­ta­ti­ve Aus­strah­lungs­kraft für uns bis heu­te prä­gend ge­blie­ben ist.

Repräsentation von Wohlstand in den Möbeln der Nachkriegszeit

Frontfassade des Bungalows in Quadrath-Ichendorf mit Vorgarten und Plattenweg.
Foto: Reinsch, Herbert/LVR

Re­prä­sen­ta­ti­ves Woh­nen, so­wohl beim äu­ße­ren Er­schei­nungs­bild des Hau­ses als auch bei der In­nen­ein­rich­tung, ent­stand flä­chen­de­ckend in Fol­ge der pros­pe­rie­ren­den Wirt­schafts­ver­hält­nis­se und des da­mit ein­set­zen­den Bau­booms ab En­de der 1950er Jah­re. Hat­te be­reits der so­zia­le Woh­nungs­bau der Nach­kriegs­zeit tra­di­tio­nel­le, re­gio­nal­spe­zi­fisch ho­mo­ge­ne Bau­sti­le zu­rück­ge­drängt, führ­ten jetzt neu­ar­ti­ge Haus­for­men, wie das aus dem Quel­le-Ver­sand­ka­ta­log be­stell­ba­re Fer­tig­haus, die­sen Trend fort. Ei­ni­ge die­ser neu­en Ar­chi­tek­tur­sti­le, wie der Bun­ga­low, strahl­ten be­reits durch ih­re äu­ße­re Ge­stal­tung bür­ger­li­che Mo­der­ni­tät aus.

Räume der Repräsentation

Kellerküche im Bungalow in Quadrath-Ichendorf, die als Waschküche und zum Zubereiten geruchsintensiver Speisen genutzt wurde. Quadrath-Ichendorf, 1973
Foto: Reinsch, Herbert/LVR

Einbauküche, 1973
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Im Ge­gen­satz zur Au­ßen­fas­sa­de be­wegt sich der häus­li­che Ein­rich­tungs­stil auf ei­nem schma­len Grat zwi­schen In­ti­mi­tät und Re­prä­sen­ta­ti­on. Als Re­fu­gi­um ih­rer Be­sit­zer wer­den Wohn­räu­me auf der ei­nen Sei­te mit Mö­beln und Wohn­rau­mac­ces­soires der je­wei­lig in­di­vi­du­el­len Vor­lie­ben aus­ge­stat­tet. Auf der an­de­ren Sei­te wird der Ein­rich­tungs­stan­dard bei Be­su­chen von Freun­den, Be­kann­ten und Nach­barn auch zum Re­prä­sen­tan­ten so­zia­ler Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit. In den neu er­rich­te­ten und grö­ße­ren Wohn­räu­men ab den 1950er Jah­ren war es vie­len Haus- und Woh­nungs­be­sit­zern erst­mals auch fi­nan­zi­ell mög­lich, ein gan­zes Zim­mer mit ei­ner hoch­wer­ti­gen und auf­ein­an­der ab­ge­stimm­ten Wohn­zim­mer­gar­ni­tur aus Edel­holz ein­zu­rich­ten, das mehr re­prä­sen­ta­ti­ve als funk­tio­na­le Auf­ga­ben er­füll­te. Die­se Räu­me wur­den Gäs­ten mit Stolz vor­ge­führt und nur zu be­son­de­ren An­läs­sen ge­nutzt. Sol­che Re­prä­sen­ta­ti­ons­funk­tio­nen tre­ten bei den ein­zel­nen Räu­men in un­ter­schied­li­chem Aus­maß auf. Vor al­lem das Wohn­zim­mer, als zen­tra­ler Ort des ge­sel­li­gen Kon­takts mit Be­su­chern, kann mit sei­nem Mo­bi­li­ar und Raum­schmuck den so­zia­len Sta­tus der Be­woh­ner ver­mit­teln hel­fen. Ne­ben den Wohn­zim­mern wa­ren aber auch die ab den 1960er Jah­ren ver­stärkt auf­tre­ten­den Ein­bau­kü­chen oft­mals rei­ne Schau­ob­jek­te, in de­nen so gut wie nie ge­kocht wur­de. Hier­für gab es z.T. klei­ne­re Kel­ler­kü­chen, wel­che Be­su­cher nicht zu se­hen be­ka­men. Schlaf­zim­mer wur­den im Ver­hält­nis deut­lich we­ni­ger mit re­prä­sen­ta­ti­vem Mo­bi­li­ar aus­ge­stat­tet, da sie zu die­ser Zeit noch oft als in­ti­mer Wohn­be­reich be­trach­tet wur­den. Teu­re Mö­bel drück­ten hier aus die­sem Grund kein Re­prä­sen­ta­ti­ons­be­dürf­nis aus, viel­mehr soll­te das „gu­te Schlaf­zim­mer“ mög­lichst ein Le­ben lang hal­ten.

Möbel als Repräsentation

Nierentisch, 1955.
Foto: Gerhards, Hans-Theo/LVR

Designer-Schreibtisch, der von dem Innenarchitekten Prof. Dr. Hans Hartl (1899-1980) entworfen wurde, 1955
Foto: Gerhards, Hans-Theo/LVR

Wer sei­nen im Wirt­schafts­wun­der er­wor­be­nen Wohl­stand nicht gleich in ei­nem gan­zen, nur der Re­prä­sen­ta­ti­on die­nen­den Raum zur Schau stel­len konn­te oder woll­te, de­mons­trier­te sei­nen Sta­tus über Ein­zel­mö­bel. Zum ei­nen re­agier­ten die Mö­bel­pro­du­zen­ten im Zu­ge der ge­stie­ge­nen Ein­kom­men mit ei­ner im­mer grö­ße­ren An­ge­bots­pa­let­te an kost­spie­li­gen neu­en Mö­bel­for­men, die sich an den neu­en, grö­ße­ren Raum­di­men­sio­nen ori­en­tier­ten, wie dem Vi­tri­nen­schrank oder der ei­ne gan­ze Zim­mer­sei­te ein­neh­men­den Schrank­wand. Zum an­de­ren konn­ten die Be­sit­zer zeit­ge­nös­si­scher Mö­bel, wie den für die 1950er Jah­re ty­pi­schen Nie­ren- oder Dreieck­ti­schen, ih­ren Be­su­chern nicht nur ei­nen mo­der­nen Stil­ge­schmack of­fen­ba­ren, sie konn­ten sich zu­dem mit qua­li­täts­vol­len Aus­füh­run­gen die­ser Mö­bel, wenn sie et­wa mit ei­ner schwe­ren und/oder de­ko­ra­ti­ven Glas­plat­te ver­se­hen wa­ren, auch mit mo­ne­tä­rem Wohl­stand brüs­ten. Be­son­ders gut si­tu­ier­te Haus­hal­te äu­ßers­ten ih­ren Wohl­stand in re­prä­sen­ta­ti­ven De­si­gner­mö­beln, die von re­nom­mier­ten In­nen­ar­chi­tek­ten ent­wor­fen und in Mö­bel­häu­sern ver­trie­ben wur­den.

Technisierung als Repräsentation

Fernseh- und Stereomusiktruhe, 1960 - 1961
Foto: Hans-Theo Gerhards/LVR

Par­al­lel zu den Mö­beln trat der Re­prä­sen­ta­ti­ons­ge­dan­ke mit zu­neh­men­der Tech­ni­sie­rung ab Mit­te der 1950er Jah­re auch im Be­reich elek­tro­ni­scher Haus­halts­ge­rä­te, wie dem Fern­se­her, der Wasch­ma­schi­ne und dem Staub­sau­ger auf, die den Be­su­chern stolz prä­sen­tiert wur­den. Vor al­lem der Fern­se­her war am Be­ginn sei­nes We­ges vom Pres­ti­ge­ob­jekt zum Mas­sen­me­di­um En­de der 1950er Jah­re ein Vor­führ­ob­jekt. Das TV-Ge­rät, als so­ge­nann­tes Pho­no­mö­bel oft­mals noch zu­sam­men mit ei­nem Ra­dio­ge­rät und ei­nem Plat­ten­spie­ler in ei­ner Art Holz­tru­he un­ter­ge­bracht, war nicht nur wie das Au­to vor der Tür oder die mo­der­ne Ein­bau­kü­che ein Sta­tus­sym­bol. Viel­mehr be­stimm­te es die Mö­blie­rung des Wohn­zim­mers durch die Aus­rich­tung der Sitz­ge­le­gen­hei­ten nach sei­nem Stand­ort im Raum und mach­te der tra­di­tio­nel­len ge­schlos­se­nen So­fa­ecke ein En­de. So wie der Ein­zug wei­te­rer tech­ni­scher Un­ter­hal­tungs­ge­rä­te, wie des Ton­band­ge­räts, der Ste­reo-An­la­ge, des Vi­deo­re­kor­ders und im­mer grö­ße­rer Flach­bild­fern­se­her in den nach­fol­gen­den Jahr­zehn­ten den Re­prä­sen­ta­ti­ons­cha­rak­ter des Wohn­zim­mers wei­ter­hin do­mi­nier­te und auch im­mer noch be­stimmt, so gilt dies für Com­pu­ter und Spiel­kon­so­len im mo­der­nen Kin­der­zim­mer.

Repräsentation heute

Rundsofa, 1961 - 1962
Foto: Hans-Theo-Gerhards/LVR

Auch in heu­ti­gen Ein­rich­tungs­ma­ga­zi­nen spie­len Re­prä­sen­ta­ti­ons­funk­tio­nen durch Mö­bel ei­ne Rol­le, sie un­ter­lie­gen Mo­de­trends und sind Ge­gen­stand von Dis­kus­sio­nen in Wohn­blogs. Al­ler­dings zo­gen so­zio­kul­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen in den letz­ten Jahr­zehn­ten auch ei­ne ten­den­zi­el­le Be­deu­tungs­ab­nah­me von re­prä­sen­ta­ti­ven Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­den nach sich. Zum ei­nen führ­te die zu­neh­men­de Mo­bi­li­tät da­zu, dass die Ver­wand­ten und Be­kann­ten häu­fig nicht mehr in un­mit­tel­ba­rer Nä­he woh­nen und re­gel­mä­ßig zu Be­such kom­men. Zum an­de­ren wer­den Fa­mi­li­en­fes­te, Ju­bi­lä­en und Fei­er­ta­ge nicht mehr nur zu Hau­se be­gan­gen, son­dern ver­stärkt in Gast­stät­ten oder an­ge­mie­te­ten Räum­lich­kei­ten mit Ca­te­ring-Ser­vice ab­ge­hal­ten. Dem­entspre­chend wird heu­te et­wa die So­fa­land­schaft nicht mehr nur nach re­prä­sen­ta­ti­ven As­pek­ten aus­ge­sucht, son­dern es über­wie­gen die Kri­te­ri­en des be­que­men Sit­zen und Lie­gen. Wich­ti­ger als Mö­bel sind heu­te si­cher­lich die Sta­tus­ob­jek­te rund um Fern­se­her und Lap­top für die Re­prä­sen­ta­ti­on des ei­ge­nen so­zia­len Sta­tus.

Weiterführende Literatur

Bur­kart, Ja­na: Schrank­wän­de und Wohn­land­schaf­ten - "Schö­ner Woh­nen" in den 1960er und 1970er Jah­ren. In: May, Her­bert ; Eig­mül­ler, Mi­chae­la (Hg.): Um­bruch­zeit. Die 1960er und 1970er Jah­re auf dem Land. Bad Winds­heim 2011, S. 227-238.

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