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Von „wilden“ Müllkippen zum Grünen Punkt

Müllentsorgung im Wandel

Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts besaß die optimale Verwertung von Lebensmitteln aufgrund des ständigen Mangels in breiten Bevölkerungsschichten große Bedeutung. Angebot und Verarbeitung der Produkte erfolgten saisonal und regional. Dank Fortschritten in der Vorratshaltung und Haltbarmachung seit Mitte des 20. Jahrhunderts, konnten verderbliche Lebensmittel länger gelagert und eine Entsorgung von verdorbenen Überschüssen besser verhindert werden. Trotzdem wurde nicht nur immer mehr Verpackungsmüll produziert, sondern auch die Menge an weggeworfenen Lebensmitteln stieg mit dem Wohlstand.

Weniger Selbstversorgung führt zu mehr Abfall

Henkelmann, in dem das Mittagessen mit zur Arbeit genommen wird. 1950er Jahre.
Foto: Gerhards, Hans-Theo/LVR

Bauchiger Einlege- bzw. Vorratstopf aus Steinzeug zum Einlegen von Sauerkraut. Fassungsvermögen von ca. 30 Litern. Um 1900.
Foto: Gerhards, Hans-Theo/LVR

Durch die In­dus­tria­li­sie­rung und den da­mit ver­bun­de­nen Be­völ­ke­rungs­an­stieg in den Städ­ten wuchs die Müll­men­ge seit En­de des 19. Jahr­hun­derts stark an. Die da­mit ein­her­ge­hen­den ka­ta­stro­pha­len hy­gie­ni­schen Zu­stän­de mach­ten ei­ne ge­re­gel­te Ent­sor­gung des Ab­falls not­wen­dig. 1895 führ­te Ber­lin als ers­te Stadt ei­ne re­gel­mä­ßi­ge Müll­ab­fuhr ein – zu­nächst mit ei­nem Pfer­de­wa­gen. Nach und nach folg­ten wei­te­re Städ­te. Im länd­li­chen Raum spiel­te Ab­fall ei­ne weit­aus ge­rin­ge­re Rol­le. Vie­le Ge­rät­schaf­ten wur­den so­lan­ge re­pa­riert oder um­funk­tio­niert, bis sie tat­säch­lich nicht mehr zu ge­brau­chen wa­ren. Ma­te­ria­li­en wur­den oft wie­der­ver­wer­tet. Pa­pier­müll konn­te noch als Toi­let­ten­pa­pier oder zum An­feu­ern der Spar­her­de ge­nutzt wer­den. Kü­chen­ab­fäl­le und Es­sens­res­te wur­den an das Vieh ver­füt­tert. In ei­ni­gen rhein­län­di­schen Ge­bie­ten exis­tier­te nach­ge­ra­de ein Tausch­han­del zwi­schen den Haus­hal­ten und den Schwei­ne­züch­tern. In Sin­zig wur­den bis et­wa 1970 bei den Land­wir­ten Kar­tof­fel- und Ge­mü­se­ab­fäl­le als Schwei­ne­fut­ter ab­ge­ge­ben. Im Tausch er­hiel­ten die Haus­hal­te da­für nach der Schlach­tung der Tie­re Würs­te und Fleisch. Zur Vor­rats­hal­tung oder zum Trans­port von Le­bens­mit­teln dien­ten bis in die Nach­kriegs­zeit Mehr­weg­be­hält­nis­se, wie Vor­ratstöp­fe aus Stein­gut, Milch­kan­nen oder Hen­kel­män­ner, in de­nen Ar­bei­ter­rin­nen und Ar­bei­ter ih­re be­reits da­heim be­rei­te­te Mahl­zeit in die Fa­bri­ken mit­nah­men. Ver­pa­ckungs­müll gab es des­halb kaum. Die Be­hält­nis­se wur­den bis zum Ver­schleiß ge­nutzt und da­nach oft­mals, wie an­de­re Ge­brauchs­ge­gen­stän­de auch, um­funk­tio­niert.

Mit dem Wohlstand wächst das Abfallproblem

Mülltonne mit Tragebügel, Klappdeckel mit Griff, mit aufgestanzter Gebührenmarke auf dem Deckel. 1950er-1960er Jahre.
Foto: König, Sabine/LVR

Aufwendig verpackter Parfümerieartikel in einer Schachtel aus Pappe, 1950er Jahre.
Foto: Gerhards, Hans-Theo/LVR

In den Wirt­schafts­wun­der­jah­ren wuchs die Men­ge des Müll­auf­kom­mens ra­pi­de an. Al­lein im Lau­fe der 1950er Jah­re ver­dop­pel­te sich das Müll­vo­lu­men pro Kopf. Fort­schritt und Wer­bung weck­ten neue Be­dürf­nis­se bei den Kon­su­men­ten, auch bei der de­ko­ra­ti­ven Aus­ge­stal­tung der Pro­duk­te. Mehr­weg­ver­pa­ckun­gen wur­den viel­fach durch prak­ti­sche und hübsch auf­ge­mach­te Ein­weg­ver­pa­ckun­gen aus Kunst­stoff er­setzt. Hy­gie­ne- und Par­fü­me­rie­ar­ti­kel in auf­wen­di­gen Schach­teln fan­den im­mer grö­ße­ren Ab­satz. Dar­aus re­sul­tier­te ei­ne star­ke Um­welt­be­las­tung, da die Ge­mein­den auf solch ein ra­sches An­stei­gen der Müll­men­gen in hoffungs­los über­füll­ten Ab­fall­ton­nen nicht vor­be­rei­tet wa­ren und vie­le „wil­de“ Müll­kip­pen ent­stan­den. Mit in Kraft tre­ten des Ab­fall­be­sei­ti­gungs­ge­set­zes 1972 ist je­der Haus­halt seit­dem da­zu ver­pflich­tet, sei­nen Müll durch die Müll­ab­fuhr zu ent­sor­gen. Seit Mit­te der 1980er Jah­re ver­schob sich der Fo­kus von der rei­nen Müll­de­po­nie­rung zur Ab­fall­ver­mei­dung bzw. des­sen Ver­wer­tung. Hier­aus re­sul­tier­te 1991 die Ein­füh­rung des „Grü­nen Punk­tes“ auf Ver­pa­ckungs­ma­te­ria­li­en, die die Wie­der­ver­wer­tung die­ser Wert­stof­fe kenn­zeich­nen soll­te. Das Sys­tem der Müll­tren­nung hat bis heu­te Be­stand. Doch das Sys­tem pro­vo­ziert auch Kri­tik: Das Müll­tren­nungs­sys­tem sei teu­er und kom­pli­ziert. Die häu­fi­ge Zu­ord­nung von Ab­fall­stof­fen in die fal­sche Ton­ne ist noch im­mer ver­brei­tet und sorgt für Kri­tik an der Müll­tren­nung. Ei­ne ho­he Re­cy­cling­quo­te von un­ge­fähr 80 Pro­zent lässt sich zu­dem nur bei Alt­pa­pier und Alt­glas er­zie­len. Hin­zu kommt der in Fu­ßgän­ger­zo­nen und an We­ges­rän­dern acht­los auf die Stra­ße ent­sorg­te Ab­fall von Pas­san­ten, der durch städ­ti­sche Stra­ßen­rei­ni­gun­gen mit er­heb­li­chem Kos­ten­auf­wand be­sei­tigt wer­den muss.

Müllvermeidung als Trend

An einem Baum in der Innenstadt liegt weggeworfener Verpackungsmüll von Fast Food. Bonn 2013.
Foto: Berens, Lara/LVR

Der Weg führt des­halb zu­rück zu Stra­te­gi­en, die Müll von vorn­her­ein zu ver­mei­den ver­su­chen. Auf nicht ab­bau­ba­re Plas­tik­ver­pa­ckun­gen und Tü­ten soll da­bei ver­zich­tet wer­den. Ein Um­den­ken in der Ge­sell­schaft und ei­ne Rück­be­sin­nung auf die res­sour­cen­scho­nen­de Wie­der­ver­wer­tung von Ver­pa­ckun­gen und Ma­te­ria­li­en wer­den an­ge­strebt. Noch im­mer wer­den al­lein in Deutsch­land 500.000 Ton­nen Brot jähr­lich weg­ge­wor­fen, so dass auch ei­ne Rück­be­sin­nung auf die Wer­tig­keit von Le­bens­mit­teln zu­neh­mend ein­ge­for­dert wird. Ein ak­tu­el­les Phä­no­men sind nicht nur die so ge­nann­ten Ta­feln, die über­zäh­li­ge Le­bens­mit­tel an Not­lei­den­de ver­tei­len, son­dern auch das „Con­tai­nern“, bei dem po­li­ti­sche Ak­ti­vis­ten eben­so wie Be­dürf­ti­ge in Su­per­markt­con­tai­nern nach ver­wert­ba­ren Le­bens­mit­teln su­chen.

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